Vor 50 Jahren: Das tödliche Polizei-Desaster in München
Vor 50 Jahren überfielen zwei Männer eine Münchner Bank und nahmen Geiseln. Es war das erste Verbrechen dieser Art in der Bundesrepublik und endete dramatisch.
Es waren Szenen, die heute unvorstellbar sind: In einer Münchner Bankfiliale nehmen bewaffnete Räuber Geiseln – und vor der Tür rangeln tausende Gaffer um die beste Sicht, es herrscht Volksfeststimmung. Gleichzeitig streiten Polizei und Staatsanwaltschaft hinter den Kulissen um die Einsatzleitung. Am Ende schießen nicht dafür ausgebildete Beamte – live im Fernsehen übertragen – auf einen mit Geisel im Fluchtauto sitzenden Täter. Beide sterben. Am heutigen Mittwoch jährt sich der erste Bankraub mit Geiselnahme in der Geschichte der Bundesrepublik zum 50. Mal.
Die Polizei ist nicht ansatzweise auf ein solches Szenario vorbereitet, als Hans Georg Rammelmayr und Dimitri Todorov, damals 31 und 24 Jahre alt, an jenem Mittwochnachmittag im Jahr 1971 die Filiale der Deutschen Bank auf Münchens Prachtmeile Prinzregentenstraße überfallen. Die beiden nehmen fünf Geiseln und fordern zwei Millionen Mark, einen Fluchtwagen und freies Geleit. Andernfalls würden sie die Geiseln töten.
Überfall auf eine Münchner Bank: Täter sollen ausgeschaltet werden
Während das Geld herbeigeschafft wird, sammeln sich vor der Filiale nicht nur mehrere Hundertschaften der Polizei, sondern auch tausende Zuschauer. „Väter nahmen ihre Jüngsten zwecks besserer Sicht huckepack, Mädchen in Hotpants schäkerten mit Polizisten, die ihre Maschinenpistolen verschämt zur Seite drückten. Auf der Fress-Terrasse des Feinkostgeschäfts Käfer ließen Twens in Maßanzügen Sektpfropfen in den Himmel knallen“, schildert es damals ein Reporter der Zeit. Derweil zieht Oberstaatsanwalt Erich Sechser die Einsatzgewalt an sich, gegen den Widerstand des Polizeipräsidenten. Damit setzt sich die harte Linie durch: Sechser entscheidet, die Täter auszuschalten.
Der Moment kommt gegen Mitternacht, als Rammelmayr sich nach achtstündigen Verhandlungen zu der gefesselten und mit verbundenen Augen im Fluchtwagen sitzenden, erst 20-jährigen Ingrid Reppel setzt: Ein Kugelhagel zersiebt den Wagen. Rammelmayr stirbt noch vor Ort, Reppel bald darauf auf dem OP-Tisch. Todorov ergibt sich nach einer weiteren Schießerei in der Bankfiliale, sitzt anschließend 22 Jahre lang im Gefängnis.
Die Kritik an dem Einsatz beginnt umgehend und hält bis heute an: „Es war völlig klar, dass Sechser billigend in Kauf genommen hat, dass auch die Geisel zu Tode kommt“, sagt Polizeirechtsexperte Michael Kniesel rückblickend. Dies sei aus heutiger Perspektive völlig unvorstellbar. „Für mich war das ein strafrechtlich relevantes Verhalten.“ Zumindest sind die strukturellen Defizite, die damals am tragischen Ausgang beteiligt waren, inzwischen gelöst. So ist heute klar, dass in solchen Fällen ein Einsatzleiter der Polizei das Sagen behält und deren Auftrag zur Gefahrenabwehr über dem Strafverfolgungsauftrag der Staatsanwaltschaft steht.
Überfall auf eine Münchner Bank: Heute wären Präzisionsschützen und -schützinnen am Werk
Dieser Einsatzleiter würde heutzutage auch niemals mehr persönlich vor Ort etwa mit den Geiselnehmern sprechen. Dafür gibt es eigens geschaffene Verhandlungsgruppen – so wie es auch Spezialeinsatzkommandos gibt, die den nach harten politischen Debatten zwischenzeitlich in den meisten Polizeigesetzen verankerten „gezielten Todesschuss“ als letztes Mittel auch ausführen können. „Da sind heute Präzisionsschützen am Werk“, erläutert der ehemalige Bonner Polizeipräsident Kniesel. In München absolvierten damals Hobby-Jäger unter den Polizisten noch rasch ein Schießtraining in einer Kiesgrube, weil außer ihnen niemand mit einem Gewehr umgehen konnte.
Die Geisel starb dennoch, getroffen von fünf Kugeln, mutmaßlich auch abgegeben vom Geiselnehmer. Dabei gab es vorher mehrere Sekunden lang eine ideale Möglichkeit, den alleine zum Auto laufenden Rammelmayr zu treffen. „Es ist ja erst geschossen worden, als der Täter schon im Fahrzeug saß, das ist eindeutig zu spät gewesen“, urteilt Feltes. Grund für die Verzögerung waren wohl die Abläufe beim Erteilen des Schießbefehls. Auch diese sind heute anders geregelt. Heute würde auch, so betont Feltes, ein Scharfschütze den Befehl verweigern, wenn er eine Gefahr für die Geisel erkenne. „Das war damals nicht denkbar.“
Die Diskussion ist geschlossen.