WM-Mord: Ermittler nennen grausame Details
Grausame Details wurden im Prozess um den Mord an einem Rentner und dem Mordversuch an einer Jugendlichen bekannt - geschehen in der Nacht, als Deutschland die Fußball-WM gewann.
Erst im Gerichtssaal werden dem jungen Mann die Handschellen abgenommen. Schüchtern schaut sich der 21-Jährige um, bevor er sich neben seinen Anwalt setzt, anders als viele Angeklagte verdeckt er sein Gesicht nicht, als das Blitzlichtgewitter der Fotografen losbricht. Blaue Jeans, blau-weiß gemusterter Kragenpulli, dunkles mittellanges Haar - ein durch und durch jugendlich wirkender Mann hört am Dienstag aufmerksam zu, als Oberstaatsanwalt Volker Ziegler vor der Jugendkammer des Landgerichts Traunstein die Anklageschrift verliest.
Der zur Tatzeit 20-Jährige muss sich wegen Mordes und Mordversuches verantworten. Er soll auf den Tag genau vor neun Monaten einen 72-Jährigen in Bad Reichenhall auf offener Straße erstochen und eine Jugendliche auf dem Heimweg niedergestochen haben.
Angeklagter soll mit Tat geprahlt haben
Begangen wurden beide Verbrechen am frühen Morgen des 14. Juli 2014 - nur wenige Stunden nach dem Triumph Deutschlands bei der Fußball-WM. Auch in Bad Reichenhall feierten die Menschen den Sieg bis spät in die Nacht. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass der aus Morbach in Rheinland-Pfalz stammende damalige Soldat die Kaserne in dem Kurort in dieser Nacht mit dem festen Vorsatz verließ, jemanden umzubringen. Laut Anklage prahlte er vor Passanten sogar damit, "dass er gerade einen Menschen getötet hat".
Doch im Prozess schweigt der mutmaßliche Mörder. Er nickt nur, als der Vorsitzende Richter Klaus Weidmann ihn fragt, ob die Erklärung seines Verteidigers Harald Baumgärtl zutrifft, dass er die Aussage verweigern werde. Weidmann stellt fest, dass der Angeklagte einen Tag vor Prozessbeginn in der Untersuchungshaft seinen 21. Geburtstag beging, und sagt: "Ich wünsche Ihnen zum Geburtstag, dass Sie im neuen Lebensjahr mit Ihrem Leben gut zurechtkommen."
Dann listet der Oberstaatsanwalt die grausamen Details der mit roher Gewalt ausgeführten Taten auf. "Der Angeklagte führte mindestens 29 Messerstiche gegen den Kopf und Oberkörper des Geschädigten", trägt Ziegler in ruhigem Ton vor. Mehrmals rammte der laut Ermittlungen angetrunkene mutmaßliche Täter das Messer mit 16 Zentimeter langer und drei Zentimeter breiter Klinge in den Schädel des Rentners. Mindestens ein Stich drang ins Gehirn ein, einer durchtrennte die Kopfschlagader.
Eine halbe Stunde später begegnete der Täter seinem zweiten Opfer. Der junge Mann soll die 17-Jährige auf dem Nachhausweg scheinheilig gegrüßt haben, ehe er über sie herfiel. Zunächst stach er ihr das Bundeswehr-Kampfmesser in den Nacken. Als die Jugendliche stürzte, "schlug und stach der Angeklagte weiter auf den Oberkörper und den Schädel ein", heißt es in der Anklageschrift. Auch hinter dieser Tat habe nur die eine Absicht gestanden, das Opfer zu töten.
Wie schon bei dem Rentner zuvor ging auch dieses Mal ein Stich ins linke Auge. "Dabei sah der Angeklagte den vollständigen Verlust des Augenlichts auf dem linke Auge als sichere Folge des gegen das Auge gerichteten Stichs voraus", trägt Ziegler vor. Mit letzter Kraft konnte sich die junge Frau zu einem Haus schleppen und die Bewohner wecken. Mit einem Schädelbasisbruch und zahlreichen Stichverletzungen überlebte sie. Die inzwischen 18-Jährige wird aber mit dem linken Auge nie mehr sehen können.
Angeklagter zeigt keine Regung
Konzentriert und ohne sichtbare Regung hört sich der Angeklagte an, was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft. Nicht anzumerken ist ihm auch, was er über die möglichen Folgen eines rechtlichen Hinweises denkt, den der Vorsitzende Richter noch vor Eintritt in die Beweisaufnahme gibt. Demnach kommen bei einer Verurteilung als Mordmerkmale neben Mordlust auch niedere Beweggründe und Heimtücke infrage. Und: Ins Urteil könnte der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung aufgenommen werden. Nach Verbüßung der Haft müsste dann geprüft werden, ob die Sicherungsverwahrung tatsächlich angeordnet wird - eine von einer Jugendkammer selten verhängte Maßnahme. Der Verurteilte bliebe lange Zeit weggesperrt. Normal sind im Jugendstrafrecht zehn Jahre Haft bei Mord, kommt besondere Schwere der Schuld hinzu, sind es 15 Jahre.
In der Untersuchungshaft hatte sich der nach seiner Flucht aus der Bundeswehr entlassene junge Mann nach anfänglichem Zögern einer Vertreterin der Jugendgerichtshilfe anvertraut. Sie schildert ihn vor Gericht als kontrollierten Menschen, der großen Wert darauf lege, als intelligent angesehen zu werden. Die Eltern hätten sich getrennt, als er fünf Jahre alt war. Lange Zeit lebte er danach im Heim. Die Fachoberschule brach er ab, auch eine Ausbildung zum Metallbauer schmiss er. Dann verdiente er ein wenig Geld mit Kickboxen, ehe er zur Bundeswehr ging. Die Behördenvertreterin erinnerte sich an eine Bemerkung des Angeklagten in den Gesprächen mit ihm: "Hätte ich andere Eltern gehabt, wäre ich mit Sicherheit nicht hier gelandet." dpa
Die Diskussion ist geschlossen.