Warum die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden muss
Ein Prozess ist im Regelfall öffentlich. Wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, hagelt es oft Kritik - wie aktuell im Mordfall Franziska. Warum dem Gericht aber keine andere Wahl blieb.
Strafrichter im Mittelalter hatten es einfach: Sie waren zugleich auch Ermittler und Ankläger. Ihre Entscheidungen trafen sie in einem Geheimverfahren und mussten sie vor niemandem rechtfertigen. So war das, im Inquisitionsprozess. Heute setzt die Justiz auf viel mehr Transparenz. Doch die Frage, wann die Öffentlichkeit von einem Prozess ausgeschlossen werden darf, führt immer wieder zu hitzigen Diskussionen.
Dürfen Besucher normalerweise einen Prozess live verfolgen?
Ja. Einer der Grundsätze des modernen Gerichtsverfahrens ist, dass es öffentlich stattfindet. Das gilt nicht nur für das Urteil, sondern für die gesamte Verhandlung. So soll die Arbeit der Richter kontrolliert werden können und Willkür ausgeschlossen sein. Öffentlichkeit bedeutet, dass unbeteiligte Zuschauer und Pressevertreter im Saal sein dürfen. Zeugen dürfen vor ihrer richterlichen Vernehmung noch nicht teilnehmen, damit sie nicht beeinflusst werden. Film- und Tonaufnahmen während der Verhandlung sind verboten.
Für welche Art von Prozessen gilt die Grundregel nicht?
Prozesse gegen zur Tatzeit jugendliche Straftäter (14 bis 18 Jahre) finden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Bei Verfahren gegen Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) ist die Öffentlichkeit zugelassen, kann aber ausgeschlossen werden, wenn das im Interesse des Heranwachsenden ist. Ebenfalls nicht öffentlich sind Verhandlungen wenn es um Familienangelegenheiten, Vormundschaften, Betreuungen, Unterbringungen oder Erbschaften geht. In einem Disziplinarverfahren kann es im überwiegenden Interesse der Beteiligten sein, dass die Öffentlichkeit nichts davon erfährt.
Wo ist das gesetzlich geregelt?
Die grundsätzliche Regelung zur Öffentlichkeit trifft das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), und zwar in den Paragrafen 169 bis 175. Dass Jugendstrafverfahren nicht öffentlich sind, besagt das Jugendgerichtsgesetz (JGG) in Paragraf 48.
Welchen Spielraum für Ausnahmen haben Richter im Strafprozess?
Hier wird es nun kompliziert. Der zentrale Paragraf 171b des Gerichtsverfassungsgesetzes hat mehrere Absätze, die mit verschiedenen Verben operieren. In Absatz 2 heißt es, „die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden“, wenn ein Zeuge unter 18 in Prozessen um Tötungsdelikte, Sexualstraftaten oder Misshandlung Schutzbefohlener aussagt. In Absatz 1 heißt es: „Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden“, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung „schutzwürdige Interessen“ verletzen würde. An dieser Stelle haben Richter den meisten Spielraum. Denn dieser Absatz gibt ihnen ausdrücklich die Möglichkeit zur Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und dem öffentlichen Interesse. Oft werden in der Praxis Zuhörer und Presse aus dem Saal geschickt, wenn es um intime Informationen, sexuelle Details oder psychische Erkrankungen geht. Die Schutzwürdigkeit gilt sowohl für den Angeklagten, als auch für Opfer und Zeugen. In Einzelfällen hat der Bundesgerichtshof sogar für zulässig erklärt, dass die Anklage ohne Öffentlichkeit verlesen wurde. In seltenen Fällen können Richter Prozesszuhörer hinausschicken, den Medienvertretern aber die Anwesenheit erlauben. Eine Besonderheit der Regelungen in §171b GVG: Die Entscheidungen des Gerichts sind im Prozess nicht anfechtbar, die Beteiligten müssen sie akzeptieren und können sie erst in einer Revision monieren.
Wie ist die Lage im Fall Franziska?
Hier gibt es eine spezielle Konstellation. Zwei minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs des Angeklagten Stefan B. und zwei Ex-Freundinnen haben unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt. Für diesen Fall sieht Absatz 3 des Paragrafen 171b GVG seit 2013 zwingend vor („Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn...“), dass auch die Plädoyers hinter verschlossenen Türen stattfinden. Das Schwurgericht in Ingolstadt hatte also keine andere Wahl, will es sich nicht dem Risiko einer erfolgreichen Revision aussetzen. Auch wenn damit nicht nur Opfer und Zeugen geschützt wurden, sondern auch der Täter.
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