Was Bayerns Gerichte besser machen müssen
Affären haben den Ruf der bayerischen Justiz angekratzt. Das spürt auch der Augsburger Landgerichtspräsident Herbert Veh. Was die Gerichte aus seiner Sicht besser machen müssen.
Herr Veh, der Ruf der Justiz in Bayern hat gelitten. Der Fall Gustl Mollath spielt eine Rolle, aber auch andere Verfahren, in denen die Arbeit von Richtern kritisiert wurde. Wie kommt das bei Ihnen an?
Eine solche Kritik geht nicht einfach an einem vorüber. Man wird darauf angesprochen. Einige Verfahren haben in der öffentlichen Bewertung zweifellos schlechte Noten bekommen. Das hat zum Beispiel den Vorwurf eingebracht, die Justiz sei selbstgerecht und nicht in der Lage, Fehler zu korrigieren. Das wirkt nach.
Was kann die Justiz tun, um diesem negativen Bild entgegenzuwirken?
Wichtig ist, dass die Justiz tagtäglich zeigt, dass sie fair und rechtsstaatlich agiert. Dann lässt sich erkennen, dass im Rahmen der Gesetzesanwendung Fehler auch korrigiert werden können. Ich glaube, dass zum Beispiel das Wiederaufnahmeverfahren im Fall Mollath ein Stück Vertrauen in die Justiz zurückgebracht hat.
Aber dauert es nicht oft viel zu lange, bis die Justiz reagiert?
Im angesprochenen Fall gab es eine Zeit, in der sich in der öffentlichen Debatte das Gefühl aufgebaut hat, es sitze jemand zu Unrecht in der Psychiatrie und es tue sich nichts. Man muss aber zum Beispiel sehen, dass der Gesetzgeber für ein Wiederaufnahmeverfahren bewusst hohe Hürden errichtet hat. Wenn Staatsanwälte und Richter diese Hürden ernst nehmen und genau prüfen, sollten sich daraus keine Vorwürfe entwickeln. Zum Selbstverständnis der Justiz muss es gehören, nach Recht und Gesetz und bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden und auch in Kauf zu nehmen, dafür kritisiert zu werden.
Sind die Hürden für Wiederaufnahmeverfahren dann nicht zu hoch?
Ich meine, dass diese Hürden im Grundsatz berechtigt sind. Es wäre falsch, ein rechtskräftiges Urteil vorschnell infrage zu stellen, wenn nichts wesentlich Neues vorzuweisen ist.
Dann müssen die Urteile aber eine hohe Qualität haben und Fehler, so gut es geht, vermieden werden. Wird die Justiz dem überhaupt gerecht?
Einzelne Ausreißer wird es immer geben. Richter sind natürlich nicht unfehlbar. Ich bin aber überzeugt, dass die Justiz mit den entscheidenden Fragen eines Verfahrens gewissenhaft umgeht. Deshalb setzen Verurteilungen eine sehr sorgfältige Prüfung voraus, ob ein strafbares Verhalten erwiesen ist oder nicht. Bei anderen Fragestellungen muss man differenzieren. Beim Massengeschäft am Amtsgericht kann es nicht so ablaufen wie beim Schwurgericht. Sie können nicht bei jedem Angeklagten die Persönlichkeit so gründlich durchleuchten wie in einem Mordprozess.
Der Fall des Augsburger Laborarztes Bernd Schottdorf hat der Justiz Kritik eingebracht. Seit zwei Jahren existiert eine Anklage wegen Betrugs gegen ihn. Der Prozess hat noch immer nicht begonnen. Wird Herr Schottdorf geschont?
Verfahrensdauern, wie Sie sie hier ansprechen, sind unbefriedigend. Zum konkreten Fall kann ich mich nicht äußern, weil zu diesem Komplex vom Landtag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden ist. Auf eines möchte ich aber hinweisen: Verfahren mit Angeklagten, die in Untersuchungshaft sitzen, sind von Gesetzes wegen beschleunigt und vorrangig zu betreiben. Wenn Sie eine Vielzahl solcher Haftsachen zu bearbeiten haben, rücken andere Verfahren nach hinten.
Wieso liegen die Verfahren teilweise so lange bei den Gerichten?
Wenn die Justiz, trotz erfreulicher Verstärkungen im Richterbereich in den letzten beiden Jahren, unterbesetzt ist, dann hat das Folgen. Dann wird eine Tat im Einzelfall auch mal erst nach drei Jahren verhandelt, die Zeugen können sich nicht mehr so gut erinnern, und der Beschuldigte muss lange mit der Unsicherheit über den Verfahrensausgang leben. Wir versuchen, Erledigungs-Staus durch Umschichtungen so gut es geht zu vermeiden. Aber es gelingt nicht immer.
Das Augsburger Landgericht hat zusätzliche Richter bekommen. Warum ist das noch immer zu wenig?
Es hat in der Tat eine deutliche Verbesserung gegeben, davon hat die Augsburger Justiz, nicht zuletzt auch das Landgericht, profitiert. Was uns aber große Sorgen bereitet, sind extrem umfangreiche Verfahren, die wir im Augenblick in Augsburg zu bewältigen haben und die sich um Umsatzsteuerhinterziehung drehen. Im Gesamtkomplex ist die Rede von etwa 180 Beschuldigten. Einige Verfahren sind inzwischen erledigt. Allein beim Landgericht haben wir aktuell 13 offene Verfahren aus diesem Bereich anhängig, großteils mit mehreren Angeklagten. Damit kann eine einzige Kammer des Gerichts samt Geschäftsstelle durchaus ein Jahr oder länger beschäftigt sein.
Hat das Selbstbewusstsein der Richter durch die Debatten um die Justiz gelitten?
Ich denke, dass sich die große Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen im teils entstandenen Bild eines angeblich selbstherrlichen Justizsystems nicht korrekt wiedergegeben sieht. Unsere Richter sind Spiegelbild ihrer Zeit. Ich erlebe sie als selbstbewusst und zugleich genügend selbstkritisch. Ich sehe, dass die jetzige Richtergeneration beileibe nicht von oben herab agiert, sondern auf die Betroffenen eingeht und im Verfahren selbst ihre Entscheidungen auch gut erklärt. Was die Kollegen irritiert, ist die Erkenntnis, dass – ausgelöst durch einzelne Fälle – ein negatives Bild von der Justiz entsteht, das nicht dem Erleben der Richter entspricht.
Wie wirkt sich die öffentliche Kritik auf die Justiz aus?
Es wächst das Bewusstsein, dass es nicht ausreicht, nur im Prozess zu agieren. Die Justiz muss sich der Debatte in der Öffentlichkeit stellen und ihre Arbeit noch besser erklären. Die Frage ist, wen man mit welchen Mitteln erreicht. Die Medienlandschaft ist vielfältig wie nie zuvor. Das heißt aber nicht, dass Richter im Internet bloggen oder ihr Urteil auf Facebook veröffentlichen müssen. Wir haben noch keine eindeutigen Antworten gefunden.
Herr Veh, Sie sind jetzt 60 Jahre alt. Schauen Sie vor allem zurück auf Ihre Karriere oder wollen Sie noch eine neue Aufgabe anpacken?
Natürlich schaut man auch zurück. Ich bin aber außerordentlich gerne Präsident dieses Gerichts. Ich habe hier noch Aufgaben zu bewältigen, die einen allzu ausgeprägten Rückblick nicht erlauben. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob wir neue Gebäude brauchen. Das Strafjustizzentrum platzt aktuell aus allen Nähten. Auch die Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr ist eine Herausforderung. Es gilt noch einiges anzupacken. Interview: Jörg Heinzle und Holger Sabinsky-Wolf.
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