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  3. Pflege und Betreuung: Wenn die Mutter ins Heim muss - es aber keinen Platz gibt

Pflege und Betreuung
25.09.2018

Wenn die Mutter ins Heim muss - es aber keinen Platz gibt

Familie Huber im Haus von Uschi Hubers Mutter.
Foto: Daniel Biskup

Die Betreuung von Pflegebedürftigen ist ein Kraftakt für die Gesellschaft. Angehörige wie Uschi und Stephan Huber fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.

Es ist einer dieser warmen Sommertage, an denen schon ein Hauch Wehmut in der Luft liegt. In den Eisdielen und Cafés rund um den Ammersee sitzen die Menschen in der Sonne und genießen die Mittagszeit. Das Thermometer klettert in Richtung 30 Grad, doch im Wetterbericht erzählen sie schon vom Herbst und vom Temperatursturz und dem irgendwie ja auch sehnlichst erwarteten Regen.

Im hellblauen Reihenhaus von Familie Huber in Utting rennt die fünfjährige Emilia auf ihren Vater zu. „Ich habe Durst“, ruft sie und springt ihm mit Anlauf in die Arme. Oben, im ersten Stock, toben die beiden Geschwister: Pia, die Zehnjährige, und Jonas, 8. „Ich muss noch die Koffer packen“, sagt Uschi Huber. Barfuß und mit kurzer Hose steht sie im Flur und streicht ihrer Jüngsten über die langen Haare.

Im Morgengrauen soll es losgehen. Endlich. Acht Tage Jesolo, ein bescheidenes Glück. Doch in die Urlaubsstimmung mischt sich ein Gefühl, das so gar nichts mit Dolce Vita zu tun hat: Denn während Uschi Huber für ihre Familie Sonnencreme und Badehosen für die Reise nach Italien verstaut, ist ihre Mutter Edith Gerum in einer andere Welt angekommen: Sie ist in ein Pflegeheim gezogen. „Heute früh ist sie dort hingekommen“, erzählt Uschi Huber.

Sie hat ihre demente Mutter fünf Jahre zu Hause betreut

Uschi Huber ist eine jener Frauen, denen man schon von Weitem ansieht, dass sie gerne lacht, dass sie anpacken kann, dass sie mitten im Leben steht. „Den Urlaub haben wir uns wirklich verdient“, sagt die 38-Jährige und strahlt. „Da schalten wir einmal komplett ab.“ Ihr Ehemann Stephan lächelt leise. Wenn es nur so einfach wäre. Das Gedankenkarussell herunterfahren, mal nicht an morgen denken und daran, was alles schiefgehen könnte. Dieser kräftezehrenden Was-wäre-wenn-Dauerschleife den Saft abdrehen. Fünf Jahre hat Uschi Huber ihre demente Mutter zu Hause betreut. Neben dem Teilzeitjob als Erzieherin. Neben den drei Kindern, neben der Hausarbeit. Jetzt ist ihre Kraft am Ende.

Uschi Huber weiß, dass sie das Richtige tut, dass ihre Mutter gut aufgehoben ist, dass sie sich selbst überfordert hätte, dass sie sich für nichts rechtfertigen muss. Doch wie das so ist mit dem Verstand – manchmal ist er einfach zu schwach, um sich gegen dieses vermaledeite Bauchgefühl zur Wehr zu setzen. „Die Entscheidung, meine Mutter in ein Heim zu geben, ist für mich schwierig“, erzählt die Frau aus Oberbayern mit ihrem weichen Akzent. „Es ist schlimm. Wahnsinnig schlimm. Aber ohne Unterstützung …“ Ihr Gesicht wird ernst, die Augen suchen einen Punkt, an dem sie sich festhalten können.

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Immer mehr Menschen werden pflegebedürftig.
Foto: Daniel Biskup

Die Hubers sind bei weitem nicht die Einzigen, die diese hochemotionale Krise durchleben. Es sind Hunderttausende alleine in Bayern. Immer mehr Menschen werden pflegebedürftig. Statistiken listen in nüchternen Zahlen auf, was Mütter, Töchter, Väter, Söhne in einen Strudel aus Gefühlen und Behörden-Kauderwelsch zieht: Ende 2015 waren in Bayern fast 350.000 Menschen pflegebedürftig – 5,8 Prozent mehr als im Dezember 2013. 30,7 Prozent, also 106.963 Pflegebedürftige, werden in Heimen betreut. 69,3 Prozent werden zu Hause versorgt – das sind mehr als 240.000 Menschen.

Dem Staat spart der Einsatz der Angehörigen gigantische Summen, Experten gehen deutschlandweit von etwa 35 bis 40 Milliarden Euro im Jahr aus. Die Pflegeversicherung nahm 2016 rund 32 Milliarden Euro ein. Wer rechnen kann, kommt um das harte Urteil nicht umhin: Ohne die Familien bräche das System Pflege innerhalb kürzester Zeit in sich zusammen.

Dem Schicksal sind Fünfjahrespläne egal

Und es hätte doch auch alles so schön sein können. Kinder und Mutter leben nicht hunderte Kilometer voneinander entfernt, wie das bei vielen anderen Familien heute so ist. Man hält zusammen. Familie vor Karriere. Stephan Huber, Wirtschaftsinformatiker, macht einen Tag in der Woche Homeoffice, nach der Geburt seiner Kinder nahm er Vätermonate.

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Uschi Huber arbeitet jetzt nur noch zwei Tage die Woche. Nicht der Staat sollte sich um ihre Kinder kümmern, das wollte sie selbst. 2011 war die junge Familie zurück in Uschis Elternhaus in der kleinen Ammersee-Gemeinde Utting gezogen. Aus dem geplanten Umbau wurden zwar ein Abriss und Neubau, doch so konnte sich die junge Familie wenigstens den Wunsch von einem Mehrgenerationenhaus erfüllen: drei Kinderzimmer, die Einliegerwohnung für die Oma, ein kleiner Garten für das Planschbecken und den Sonntagnachmittagkaffee. Ein Kredit half bei der Finanzierung, die Mutter zahlte eine kleine Miete.

Doch das Schicksal richtet sich eben nicht an Fünfjahrespläne und Bilderbuchvorstellungen. Dass mit der Mutter irgendetwas nicht stimmte, wurde schon bald deutlich. „Am Anfang hat sie Zucker und Salz verwechselt, hat das Pulver für die Spülmaschine in ihre Teetasse geschüttet, ist mit dem Auto an den geparkten Fahrzeugen hier in der Straße entlanggeschrammt“, erinnert sich Uschi Huber. Sie verliere ihren Kopf, habe ihre Mutter immer gesagt. Die Enkel lachten über die verrückte Oma.

Doch der Zustand der heute 77-jährigen Edith Gerum verschlechterte sich. Und zwar rapide. Fünf Jahre ist es her, seit die Diagnose Alzheimer-Demenz gestellt wurde – die Zahl der heute in Bayern lebenden Menschen mit dieser Krankheit wird auf etwa 230.000 geschätzt. Bis 2032 werden es 340.000 sein.

Aus der Mutter wird das Kind, aus dem Kind die Mutter

Seither bestimmt die Pflege der kranken Mutter ihr Leben, jeden Tag, jede Stunde. Ihr Mann kramte Handgriffe aus dem Gedächtnis, die er vor 20 Jahren im Zivildienst gelernt hat: Wie man alte Menschen am besten hochhebt. Sie selbst brachte sich Strategien im Umgang mit der Demenzkranken bei: Gleich früh den Fernseher einschalten etwa, damit die Mutter Stimmen hört. „Meine Mama hat panische Angst vor dem Alleinsein“, erzählt Uschi Huber. Sobald sich niemand um sie kümmerte, machte sie sich auf die Suche, verließ das Haus, rief im Garten um Hilfe. Immer wieder kam es zu Stürzen. „Ich konnte noch nicht einmal mehr zum Einkaufen gehen.“

Am liebsten hätte die Mutter sogar mit im Ehebett geschlafen, um den einzigen Personen, zu denen sie noch so etwas wie eine Bindung verspürt, nahe zu sein. Die Generationen tauschen die Rollen: Aus der Mutter wird das Kind, aus dem Kind die Mutter. Das Schlimmste ist aber wohl: Demenz kennt keine Hoffnung. Wen sie packt, für den geht es bergab. Gnadenlos.

Pflege ist kein Schnäppchen.
Foto: Daniel Biskup

Vor wenigen Wochen war es dann, als die Seniorin ohnmächtig in ihrem Stuhl im Garten zusammensackte. Sofort wurde sie ins Krankenhaus nach Landsberg gebracht, wo sie fast vier Wochen blieb. Spätestens zu diesem Zeitpunkt setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich etwas ändern muss. Und zwar grundlegend, nicht für ein paar Stunden, nicht für ein paar Tage.

Es gibt nicht genügend Pflegeplätze

In Herrsching, im Haus am Pilsensee, einer gerontopsychiatrischen Pflegeeinrichtung, die sich um Demenzkranke kümmert, ist sie untergekommen, erst mal nur zur Probe, das Heim behält sich vor zu prüfen, ob es mit der neuen Bewohnerin überhaupt zurechtkommt. So lange bleibt die Unsicherheit. Der Eigenanteil geht an die 2000 Euro, Pflege ist kein Schnäppchen. Doch es ist nicht nur das schlechte Gewissen der Angehörigen, das den Umzug in ein Heim so schwierig macht – es gibt schlicht nicht genug Plätze für all jene, die dringend professionelle Betreuung brauchen.

„Wir haben lange, lange gesucht“, erinnert sich Stephan Huber. Erst durch den Krankenhausaufenthalt und die Unterstützung einer Sozialarbeiterin der Landsberger Klinik kam Tempo in den Prozess. Auch das Heim in Herrsching hat zwei dicke Ordner mit Wartelisten im Regal stehen, schnell geht da eigentlich gar nichts. Ein Mahnmal, das als Symbol für politisches Versagen gelten muss. Noch immer haben die Parteien kein umfassendes Konzept für ein Thema, das weite Teile der Bevölkerung umtreibt.

Wo es beim Thema Kinderbetreuung und Familienfreundlichkeit in den vergangenen Jahren große Fortschritte gab, klafft bei der Pflege der Alten eine gigantische Lücke. Hilfe kommt eher tröpfchenweise: Seit dem 1. September zahlt Bayern ein Pflegegeld von 1000 Euro – pro Jahr. Die Pläne, die in großen Pressekonferenzen medienwirksam verkündet werden, halten der dramatischen Realität kaum stand. Patient: Pflegebranche – Diagnose: chronisch krank.

Die 24-Stunden-Hilfe als Alternative

Mit noch einem Punkt sind Stephan und Uschi Huber nicht alleine: Eine Studie der DAK zeigte im vergangenen Jahr, dass sich vor allem Angehörige von Demenzkranken häufig bei der aufzehrenden Betreuung alleingelassen fühlen. 86 Prozent der Befragten gaben an, mehr finanzielle Hilfe zu brauchen. Zwei von drei erhofften sich mehr Unterstützung durch professionelle Dienste. 60 Prozent erwarteten für sich und ihre dementen Familienmitglieder mehr Selbsthilfe-, 42 Prozent mehr Informationsangebote. Jeder dritte pflegende Angehörige will günstigere Möglichkeiten, sich von privaten Pflegekräften unterstützen zu lassen. Unterstützung, die mehr ist als ein Dienst, bei dem im Minutentakt kalkuliert wird.

Uschi Huber kennt das nur zu gut, auch sie erhoffte sich Hilfe von Profis. Die bekam sie: Waschen und Füttern im Schweinsgalopp, nach nicht einmal zehn Minuten fiel die Tür schon wieder ins Schloss und sie war allein mit ihrer dementen Mutter. Ein Anbieter für Tagespflege quittierte den Dienst, weil sich die renitente Seniorin weigerte, ins Auto zu steigen. „Dann haben wir überlegt, ob wir uns eine 24-Stunden-Hilfe ins Haus holen“, erzählt sie.

Ein Modell, das immer beliebter wird. Unterstützung kommt meist aus dem osteuropäischen Ausland. Bis zu 300.000 Arbeitsmigranten, so schätzen jedenfalls Sozialexperten, pflegen Senioren in Deutschland. Aber 24 Stunden sind in Wahrheit eben doch nur 8 Stunden täglich, mit zwei freien Tagen die Woche und Urlaubsanspruch. „Der Rest wäre an mir hängen geblieben – neben meinem Beruf und den drei kleinen Kindern“, sagt Uschi Huber. „Ich hatte ja ohnehin ganz oft das Gefühl, dass die Kinder zu kurz kommen.“

Vom finanziellen Kraftakt, den eine 24-Stunden-Kraft für die Familienkasse bedeutet hätte, ist da noch gar nicht gesprochen. Die stationäre Pflege, sie ist eben fast immer der letzte von vielen Schritten.

Viele Einrichtungen haben nur zwei Kurzzeitplätze

Das Absurde: Es ist noch nicht einmal ein Mangel an Geld, der es den Angehörigen so schwer macht. „Wir hätten sehr wohl einen Anspruch auf Kurzzeitpflege gehabt, aber das Geld mussten wir immer verfallen lassen“, erzählt Stephan Huber. Mal für ein paar Tage Entlastung, mal für eine Woche in Urlaub. Schön wär’s. „Wir haben sämtliche Heime angerufen, überall hieß es: Wir sind überfüllt, wir haben keinen Platz. Das heißt, wir können das Geld, das uns zusteht, gar nicht ausgeben, weil wir keine Betreuungsmöglichkeit finden.“

Zwischen Theorie und Praxis liegen eben auch hier Welten. Die meisten Einrichtungen haben gerade einmal ein, zwei Kurzzeitplätze – bisweilen, so makaber es klingen mag, nur für ein Zeitfenster zwischen dem Tod des einen Bewohners und dem Einzug des nächsten.

Wer auf einer Warteliste steht, kann entweder versauern oder muss spontan sein. Doch Spontaneität und Familie, das geht in den seltensten Fällen zusammen. Was nutzt ein Kurzzeitpflegeplatz, der kurzfristig frei wird, wenn gerade keine Ferien sind und ein Urlaub gar nicht möglich? Der Mensch als Manövriermasse eines bürokratisierten und unterversorgten Systems. „Es ist der totale Witz“, ärgert sich Uschi Huber. „Hilfe vom Staat? Das kannst du vergessen!“

Nur mehr Pflegekräfte entspannen die Situation

Dass die Politik keine Wunder vollbringen kann, das wissen freilich auch die Hubers. Doch was ist mit den kleinen Schritten? Ideen hätten die Betroffenen zuhauf. Zumindest finanziell gestärkt werden müssten die sozialen Berufe, findet etwa die Familie aus Utting. „Wer kann sich denn heutzutage als Altenpfleger noch das Leben leisten?“, fragt sie. Nur mehr Geld bringt mehr Pflegekräfte, und nur mehr Pflegekräfte entspannen die Situation in den Heimen.

Die Zahlen geben eine grobe Ahnung vom Ausmaß des Pflegemangels: In der Altenpflege sind deutschlandweit 36.000 Stellen nicht besetzt. Die Lage in den Bundesländern unterscheidet sich erheblich. Laut Bundesregierung kommen in Berlin rein rechnerisch auf 100 offene Stellen in der Altenpflege 43 Bewerber, in Bayern sogar nur 14. Wenn eine Prognose der Bertelsmann-Stiftung Wirklichkeit wird, muss Bayern in der ambulanten Pflege im Jahr 2030 mit einer Versorgungslücke von 14.149 Vollzeitkräften rechnen. In der stationären Altenpflege werden gar 47.945 Fachkräfte fehlen. So bleibt die Pflege eine Mängelverwaltung.

Wie oft habe sie sich mit Pflegern und Schwestern unterhalten. Jeder Einzelne habe versichert, wie gerne er mehr Zeit damit verbringen würde, die Alten zu trösten, einfach einmal zehn Minuten zuzuhören, auch wenn die Patienten ihre Geschichte zum fünften Mal erzählen, erzählt Uschi Huber. Wenn doch nur mehr Zeit da wäre. „Eigentlich hätten wir uns sogar gewünscht, dass es jemanden gibt, der auch uns mal zehn Minuten zuhört“, bekennt die 38-Jährige.

Die Gesellschaft könnte ihr soziales Gewissen und Wissen stärken

Wie wäre es außerdem, wenn Kinder nicht mehr fürchten müssten, den finanziellen Kraftakt der elterlichen Pflege stemmen zu müssen? Wer in die Pflegeversicherung einzahlt, müsse sich doch auch darauf verlassen können, dass sie im Alter einspringt und das Vermögen der Angehörigen nicht angetastet wird. „Heute ist es doch so, dass der gesunde Mittelstand zur Kasse gebeten wird, wenn ein Elternteil pflegebedürftig wird“, ärgert sich Stephan Huber.

Doch die Pflegeversicherung ist eben nur eine Teilkaskoversicherung. Und warum nicht tatsächlich ein verpflichtendes soziales Jahr für junge Menschen einführen? „Ich glaube, das würde dem Sozialstaat schon viel bringen“, sagt Huber. „Vielleicht würde das auch zu einem Umdenken in der Gesellschaft führen“, ergänzt seine Frau. Eine Gesellschaft, bei der die Karriere einen hohen Stellenwert hat, bei der um den besten Schulabschluss, das höchste Gehalt, die weiteste Urlaubsreise gewetteifert wird, könnte so ihr soziales Gewissen und Wissen stärken.

Und der Staat selbst könnte beweisen, dass er seine Familien nicht im Stich lässt. Nötig wird ein politischer und gesellschaftlicher Kraftakt so oder so. Denn wer über die aktuellen Zahlen der Pflegebedürftigen schon erschrocken war, der sollte sich die Prognosen nur im Sitzen ansehen: Im Jahr 2025 könnte sich die Zahl der in Heimen versorgten Pflegebedürftigen deutschlandweit auf rund 1,05 Millionen Menschen belaufen.

Im Heim erhält Uschi Hubers Mutter eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung

Fast vier Wochen sind vergangen, seit Uschi Huber ihre Mutter Edith ins Pflegeheim gebracht hat. Ein Zweibettzimmer teilt sich die 77-Jährige mit einer Zimmergenossin. Und hart waren sie, die ersten Tage – für Uschi. „Ich glaube, ich hatte mehr Probleme damit als meine Mutter“, sagt sie und muss schmunzeln. „Ich hatte immer das Gefühl, ich schiebe sie ab. Und jetzt hat sie sogar eine kleine Clique gefunden.“

Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die eine Familie zwischen all den Verpflichtungen des Alltags nicht leisten kann, erfährt die demente Seniorin im Herrschinger Heim. „Jetzt ist sie nie alleine“, erzählt Uschi Huber. Die Erleichterung ist ihr anzumerken. Vielleicht liegt das auch daran, dass ihr selbst eine gewaltige Last von den Schultern genommen wurde.

Die Familie hat endlich wieder Zeit füreinander. Es ist ja auch einiges los: Pia, die älteste Tochter, ist aufs Gymnasium gewechselt, alle waren sie nach dem ersten Schultag zusammen zum Essen ausgegangen, um den neuen Lebensabschnitt zu feiern.

Dieser Text ist in unserer Sonderbeilage zur Landtagswahl erschienen, die am 25. September der Augsburger Allgemeinen und ihren Heimatzeitungen beilag. Die ganze Beilage finden Sie hier auch als E-Paper.

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