"Wir brauchen mehr Pflegekräfte"
In vielen Kliniken streiken die Mitarbeiter, weil der Druck so extrem steigt. Es fehlt Personal. Was der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft fordert.
Herr Hasenbein, in Bayern – so auch am Klinikum Augsburg – streiken die Pflegekräfte. Sie beklagen einen extremen Druck. Immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Patienten versorgen. Viele arbeiten längst selbst an ihrem körperlichen und seelischen Limit. Sie sind der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Verstehen Sie die Streikenden?
Siegfried Hasenbein: Ja, ich habe Verständnis für die Pflegekräfte. Denn das, was sie beklagen, dass sie überlastet sind, dass sie dringend Verstärkung brauchen, das ist ja nicht von der Hand zu weisen. Das ist eine korrekte Zustandsbeschreibung. Die Frage ist nur, welchen Weg gehen wir, um diesen Missstand zu lösen?
Aber der Pflegenotstand ist doch kein neues Thema. Seit Jahren spitzt sich die Lage zu, seit Jahren weisen die Pflegekräfte auf unhaltbare Arbeitsbedingungen hin ...
Hasenbein: Das stimmt, die Situation ist nicht neu. Und ja, die Lage hat sich weiter zugespitzt. Zwei Gründe gibt es meines Erachtens dafür: Zum einen haben die Anforderungen in den Krankenhäusern zugenommen. Im Fachjargon sprechen wir von Leistungsverdichtung. Die Pflegekräfte müssen immer mehr leisten. Sie müssen immer schwerer erkrankte Patienten in immer kürzeren Zeitabständen versorgen. Zum anderen hat sich aber auch der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhausträger massiv erhöht. Und das zusammen ergibt die missliche Situation, die wir haben.
Aber das ist doch seit Jahren absehbar. Da muss doch was geschehen, da muss man etwas ändern ...
Hasenbein: Wer ist man? Das ist die große Frage. Ich gebe Ihnen recht, es muss sich etwas ändern. Aber „man“ können nicht die Krankenhausträger und Krankenhausdirektoren allein sein. Denn ihnen zu unterstellen, dass sie bewusst zu wenige Pflegekräfte einstellen oder sie zu schlecht bezahlen, ist falsch. Da würde man ihnen sehr unrecht tun.
Das heißt, die Krankenhäuser müssen anders finanziert werden?
Hasenbein: Ja, das ist das Wichtigste: Ich sehe zwei ganz große Bedarfe, die wir haben, die aber leider zum Teil nicht kurzfristig gelöst werden können: Wir müssen zum einen das Krankenhausfinanzierungs- und vergütungssystem auf neue Beine stellen. Zumindest in dem Punkt, dass die Krankenhäuser endlich ihre Personalkosten refinanziert bekommen. Nachdem wir das immer noch nicht erreicht haben, lastet auf den Krankenhäusern ein enormer Spardruck. Das zweite ist kein wirtschaftliches Thema, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung: Wir brauchen mehr junge Menschen, die in den Pflegeberuf eintreten. Denn wir können viel tun und etwa Mindestzahlen an Pflegekräfte festlegen, die für so und so viel Patienten zuständig sind – das alles läuft aber doch ins Leere, wenn es auf dem Arbeitsmarkt keine Nachwuchskräfte gibt.
Aber es ist doch auch nachvollziehbar, dass der Beruf wenig attraktiv ist, wenn man weiß, wie körperlich und psychisch anstrengend diese Arbeit ist und wie schlecht sie bezahlt ist.
Hasenbein: Dass der Pflegeberuf ein körperlich und psychisch herausfordernder Beruf ist, das ist völlig richtig. Aber ich finde es schade, dass immer nur diese eine Seite so im Vordergrund steht. Der Pflegeberuf ist auch ein sehr erfüllender Beruf. Der Dienst am Menschen, gepaart mit einer hervorragenden Technik, ist ein spannender Beruf – das kommt leider immer zu kurz.
Aber der Beruf ist zu schlecht bezahlt.
Hasenbein: Dem kann ich so nicht zustimmen. Das ist so ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine junge Pflegekraft erhält direkt nach ihrer dreijährigen Ausbildung ein Monatsgehalt von 2635 Euro brutto. Da kommen noch die üblichen Zuschläge etwa für Nacht- oder Sonntagsdienste hinzu. So kommen als Einstiegsgehalt rund 3000 Euro heraus. Ich glaube nicht, dass dies ein schlechtes Gehalt für eine junge Kraft unmittelbar nach der Ausbildung ist. Nach zehn Jahren in dem Beruf können Pflegekräfte im Schnitt 3300 bis 3400 Euro verdienen. Außerdem haben wir eine Fülle an Aufstiegsmöglichkeiten, in dem sich Pflegekräfte spezialisieren können beispielsweise auf Intensivstationen, auf den Operationsbereich oder die Onkologie. Mit einer Spezialisierung kann eine Pflegekraft zwei Vergütungsgruppen höher steigen, so sind dann Verdienstmöglichkeiten von 3500, 3600 Euro brutto im Monat möglich. Das kann man im Jahresgehalt mal 13 nehmen. Und das ist noch lang nicht das Ende der Karriereleiter. Sie können beispielsweise eine Gruppen- oder Stationsleitung übernehmen, das ist dann natürlich auch mit einem höheren Gehalt verbunden. Ich will damit sagen, Sie können als Krankenpfleger heute weit mehr als ein durchschnittlicher Facharbeiter verdienen. Das heißt nicht, dass ich mir nicht mehr Geld für die Pflegekräfte vorstellen kann und es ihnen gönnen würde. Aber wie gesagt, das muss finanziert werden.
Nicht wenige fordern eine neue Finanzierung der Krankenhäuser aus Steuergeldern. Es wird oft auf das skandinavische Modell verwiesen, bei dem Krankenhäuser offenbar finanziell besser gestellt sind ...
Hasenbein: Dieses Modell kann man diskutieren. Aber naheliegend wäre für mich zunächst einmal, dass man im bestehenden Finanzierungssystem etwas ändert. Jetzt finanzieren ja die Krankenversicherungen den Krankenhausbetrieb. Und hier muss es doch möglich sein, dass die Krankenhäuser ihre Personalkosten und deren Steigerungen etwa aufgrund des Mehrbedarfs oder aufgrund tariflicher Erhöhungen finanziert bekommen. Das kann und wird zur Folge haben, dass die Krankenversicherungsbeiträge steigen werden. Aber ich bin fest überzeugt, dass dies eine große Mehrheit der Versicherten akzeptieren würde, wenn man es dementsprechend kommuniziert und den Nutzen der Patienten erklären würde.
Was müsste konkret jetzt geschehen?
Hasenbein: Als Erstes muss die neue Bundesregierung im Pflegebereich ein Signal setzen. Sie muss klarmachen: Ja, wir haben die Situation erkannt. Wir stellen die Finanzierung um. Die Krankenhäuser müssen mehr Personal einstellen und die Tariferhöhungen auch finanzieren können. Letzteres ist leider nicht der Fall. Und dann müssen alle in der Gesellschaft, nicht nur die im Pflegebereich Aktiven, die jungen Menschen davon überzeugen, dass der Pflegeberuf nicht nur ein stressiger Beruf ist, sondern ein sehr erfüllender Dienst am Nächsten. Nur so können wir gewährleisten, dass mehr junge Leute in der Pflege arbeiten wollen. Und wir brauchen mehr Pflegekräfte.
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