Wir suchen die Vorband für die Toten Hosen
Die Toten Hosen kommen nach Neu-Ulm - und wir suchen die Vorband. Mit Hosen-Frontmann Campino sprach unser Redakteur Ronald Hinzpeter.
Du spielst immer wieder vor riesigen Menschenmengen. Kann dich das noch kicken?
Campino: Das kann mich noch kicken, auch nach 30 Jahren. Es ging mir immer um Begegnungen mit Menschen. Wir bekommen sehr viel zurück, wir geben auch viel. Da läuft ganz schön was ab an so einem Abend. Der Preis dafür ist aber nicht gering. Ich nehm ihn in Kauf.
Welcher Preis ist das?
Campino: Es ist kein Zufall, dass ich den Ansprüchen eines normalen Familienlebens nicht gerecht werden konnte. Es ist immer ein Stück weit eine Entwurzelung, wenn man monatelang durch die Gegend treibt und sich dann erst einmal wieder zuhause einarbeiten muss in dieses andere Leben, wenn man umschalten muss in eine andere Gangart. Es ist verlockend, auf Tournee zu sein, weil da die Regeln für mich einfach sind und ich auf dem Terrain sicherer bin als anderswo. Ich muss zum Beispiel nicht meine Wäsche waschen gehen, ich kann alles abgeben. Aber es gibt kaum Momente, in denen du sagen kannst, ich möchte mich mal hinlegen und mache dann die Tür zu. Das musst du schlucken. Das ist der Moment, in dem sich das pure Vergnügen vom Professionalismus scheidet. Da musst du deine Kräfte einteilen.
Wie bereitest du dich auf die Strapazen vor?
Campino: Wir bereiten uns auf eine Tour vor, so wie sich Sportler auf eine Saison vorbereiten. Ich versuche, ausreichend Schlaf zu bekommen, um der Sache körperlich gewachsen zu sein. Wir spielen abends zwei bis drei Stunden. Es geht darum, die Kraft für ein Konzert bis zu 60 Mal abzurufen in einer relativ kurzen Zeitspanne. Da fängt es an, körperlich anstrengend zu werden. Im Winter hatte ich einen Achillessehnenanriss. Da kannst du nicht zum Trainer sagen, komm tausch mich mal aus, ich muss mich ausruhen.
Wie motivierst du dich bei Durchhängern?
Campino: Ich weiß unser wahnsinniges Glück zu würdigen, dass wir nach all den Jahren den Leuten immer noch etwas bedeuten. Dass ihnen die neuen Lieder immer noch etwas sagen. Jeder Abend ist ein singuläres Ereignis. Das Publikum gibt uns immens viel.
Warum bedeutet ihr den Leuten noch so viel? Woher kommt das?
Campino: Ich versuche mich damit nicht auseinander zu setzen, warum das so ist. Das bringt nichts. Die Leute goutieren, dass wir uns Mühe geben. Die sehen im Verhältnis zu anderen Gruppen, dass wir nicht an der Preisspirale drehen, weder bei den Tickets noch beim Merchandising. Das hat vielleicht auch was mit ehrlicher Arbeit zu tun. Das ist so gewachsen. Da gab es auch mal schwächere Zeiten und schwächere Alben. Die Leute haben uns verziehen. Die kommen nicht wegen einem Hit - sie kommen, weil sie unsere Grundeinstellung gut finden.
Mittlerweile zieht ihr die Fans ja generationsübergreifend an.
Campino: Früher spielten wir nur für eine Clique von Außenseitern, wir waren selber welche und deshalb subkulturmäßig meist in der Hausbesetzer-Szene unterwegs. Du kannst aber die Zeit nicht anhalten. Die Welt hat sich geändert, es ist weitergegangen. Unser Verhältnis zu unserem Lebensinhalt hat sich geändert. Wir haben damals Musik gemacht, um aus dem Alltag auszubrechen, Held sein für eine Nacht. Aus der Schule raus, mit dem Auto nach Frankfurt, auf der Bühne den Horst gemacht, nachts zurück und am Morgen wieder am Schultor gestanden. Irgendwann änderte es sich schleichend, dass dieses Leben unser Hauptinhalt wurde und der Rest der Urlaub war. Mit dieser Veränderung hat sich auch unsere Einstellung geändert. Es ist uns früher echt schwer gefallen, über uns als Musiker zu reden, ohne dabei verkrampft zu wirken, wir hatten nicht diese Selbstsicherheit. Wenn ich bei Einreiseformularen den Beruf angeben musste, habe ich lange gezögert, "Musiker" hinzuschreiben.
Früher hab ihr noch diverse Guerillaktionen gebracht. Ich kann mich erinnern, dass ihr in Stuttgart nach einer Pressekonferenz nachts noch mit ein paar Kollegen in ein Schwimmbad eingestiegen seid, bis die Polizei kam.
Campino (ausweichend): Es gibt immer noch ein gewisses Bedürfnis, im Hochsommer schwimmen zu gehen... Aber damals waren viele Sachen wirklich anders. Wenn ich sage, wir trinken vor Auftritten nicht mehr, wird das immer dargestellt als Wandlung vom Saulus zum Paulus. So ganz extrem ist das nun auch wieder nicht. Nach dem Konzert wird schon noch hin und wieder ein Bierchen getrunken und ab und zu ist auch eine fette Party dabei. Aber alles unter der Maßgabe, wann man wo zu sein hat und wo man was abzuliefern hat. Wir sind nicht mehr so naiv wie früher: Sobald wir die Düsseldorfer Stadtgrenzen hinter uns gelassen hatten, ging die Party los, wir haben rumgealbert, Spaß wurde ganz groß geschrieben. Da haben sich die Verhältnisse ein bisschen verrückt. Wir müssen jetzt auch nicht mehr an jeder Raststätte Fußball spielen. Weil wir ohnehin nur einmal im halben Jahr eine Pressekonferenz gegeben haben, konnten wir uns leisten danach abzustürzen. Wir sind nach den Konzerten oft in den Städten geblieben, denn auf uns hat keiner gewartet. Heute ist da ein Terminkalender, der wird durch andere alltägliche Sachen bestimmt. Ich würde mich nicht mehr gut fühlen, wenn ich ein Konzert spiele, und dann da zwei bis drei Tage in der Gegend versacke. Und dabei zu wissen, dass mein Sohn in Berlin auf mich wartet. Da setzt man mittlerweile andere Prioritäten.
Bedauerst du, dass sich das geändert hat?
Campino: Absolut nicht!
Könnt ihr euch eigentlich noch irgendwo ungestört hinsetzen, wenn ihr unterwegs seid?
Campino: Das war nie das Problem, das geht eigentlich schon. Ich versuche ja nicht die Welle zu machen, wenn ich da irgendwo sitte. Ich renne ja nicht mit fünf Security-Typen rum. Ich hab meistens 'ne Mütze auf. Wenn mich die Leute im Vorbeigehen erkennen, fragen sie sich: "Isser das?" Nee, der kann doch in Echt nicht so alt sein (lacht). Ich mag Anonymität sehr gerne. Die ist zu Zeiten ein unheimlicher Luxus. Deshalb fahre ich sehr gerne mit der Mannschaft des FC Liverpool zu den Auswärtsspielen. Da ziehe ich mir ein Trikot über, bin einer von tausenden und werde auch so aufgenommen. Ich habe über die Jahre einen sehr engen Kontakt zur Mannschaft gehabt.
A propos Fußball. Hattet ihr eigentlich richtig Stress mit Bayern-Fans wegen eurem Lied "Bayern" mit solchen Zeilen wie "Ich würde nie zum FC Bayern München gehen"?
Campino: Ja! Wir haben das allerdings nie bierernst genommen. Wir sahen uns ja immer als diejenigen, die den Mond anbellen, als Drittligisten (Anhänger von Fortuna Düsseldorf, die Red.). Ich weiß gar nicht, ob wir das Lied gemacht hätten, wenn wir Fans von Werder Bremen oder vom HSV gewesen wären. Da wären wir viel zu sehr auf Augenhöhe gewesen. Als Düsseldorf-Fan dachte ich, das könnten die nicht ernsthaft als Provokation sehen und würden den Witz dahinter verstehen. Aber, so ist es eben auch im Fußball: Es hat für mehr Erregung gesorgt, als wenn wir den Papst angegriffen hätten. Ich bin froh, dass über die Jahre damit jetzt lockerer umgegangen wird. Obwohl es hier im Süden noch weite Landstriche gibt, in denen Leute sagen, die Toten Hosen sind für mich gegessen. Diese Verballhornung ist doch der reine Neid gegenüber denjenigen, die meistens den ersten Preis holen.
Was habt ihr für Pläne noch als Band? Werden die Ziele nicht langsam rar?
Campino: Ob wir jetzt in Darmstadt spielen oder in Hilden in der Teestube oder in Buenos Aires - das macht keinen Unterschied. Wir empfinden das nicht so, als müssten wir jedes Mal die Welt aus den Angeln heben. Es ist immer schön, an Orten zu spielen, wo man sonst nicht hinkommt. Die ganzen Reisen haben meinen Horizont ganz schön erweitert. Ich hoffe aber allen Ernstes, dass wir unser bestes Lied noch nicht geschrieben haben, dass wir auf der intellektuellen Ebene immer noch zulegen können.
Die Texte sind ernster geworden. Geht es in die Richtung weiter?
Campino: Das weiß ich nicht. Es geht nicht darum dazusitzen und auf den großen Wurf zu warten. Oder noch auf dieses oder jenes Problem aufmerksam zu machen und einen tollen Denkanstoß zu geben. Ich wollte diesmal ganz bewusst vermeiden, dass wir wieder was Ausgeglichenes abliefern: Das Balladenstück, den Hit, hier das Partylied, dort das betretene Lied. Das ging mir auf den Zeiger. Ich wollte, dass das Pendel in eine Richtung ausschlägt. Wie es weitergeht, hängt von so vielen Dingen ab. Man schafft es ja nicht, sein Privatleben vor der Proberaumtür zu lassen.
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