Die bayerische Staatsregierung kassiert ihr eigenes Prestigeprojekt: Schülerinnen und Schüler sollen nun doch erst in der achten Jahrgangsstufe ein staatlich mitfinanziertes digitales Endgerät bekommen - und nicht schon ab der fünften. Erst vor einem Jahr hatte der Freistaat die sogenannte 1:1-Ausstattung aller Kinder und Jugendlichen an weiterführenden Schulen auf den Weg gebracht. Jetzt folgt die Rückabwicklung.
Den Plan, erst ab der achten Klasse jedem Kind ein Tablet bereitzustellen, begründete Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Kabinettsklausur vom Wochenende mit „klassischen Bildungsidealen“. Bei den Jüngeren soll „der Schwerpunkt auf Schreiben, Lesen, Handschrift“ liegen, sagte Söder.
350 Euro für ein Tablet zahlt der Staat
Die neue Idee kam von Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler). Vergangenes Jahr noch hatte Stolz zum Start der Digitalisierungsoffensive die 1:1-Ausstattung als „echten Meilenstein für unsere gesamte Schullandschaft“ bezeichnet. Spätestens bis zum Jahr 2028 sollten alle Kinder ab Jahrgangsstufe fünf ein Tablet bekommen. Und die Umsetzung hat längst begonnen - mit einem staatlichen Zuschuss von jeweils 350 Euro für persönliche Tablets. „Gemeinsam mit der Schulfamilie stärken wir die Medienbildung, steigern die Unterrichtsqualität und gewährleisten Bildungsgerechtigkeit“, so Stolz einst. Auch Söder hatte öffentlichkeitswirksam die ersten Tabletklassen besucht.
Die neue Regel begründet Stolz damit, dass digitale Bildung „immer einen pädagogischen Mehrwert und einen zielgerichteten und verantwortungsvollen Einsatz“ brauche. „Das heißt für mich ganz klar: umso jünger, umso weniger. Denn gerade in den ersten Schuljahren ist der Erwerb von analogen Kompetenzen entscheidend.“

Die Entscheidung, die 1:1-Ausstattung künftig ab der achten Jahrgangsstufe umzusetzen, habe man „auf Basis pädagogischer Erwägungen und nach sorgfältiger Auswertung der Rückmeldungen aus den Schulen getroffen“. Offenbar waren aber die wichtigen Schulverbände in Bayern nicht eingeweiht. Ulrich Babl, Vorsitzender des Realschullehrerverbands (brlv), sprach am Dienstag von „Planungschaos und Unsicherheit an den Schulen“. Zwar sei eine Umsetzung bis 2028 ohnehin unrealistisch gewesen. Der Zeitpunkt der Kehrtwende aber könnte für die Schulen ungünstiger kaum sein.
„Die Planungen für das nächste Schuljahr laufen auf Hochtouren, Medienkompetenzteams arbeiten seit Monaten an schlüssigen Konzepten und zahlreiche Kolleginnen und Kollegen haben bereits alles auf den Weg gebracht“, sagte Babl. Er hofft, dass den Schulen bei den neuen Vorgaben „ein großes Maß an Eigenverantwortlichkeit“ bleibt. Gegenüber unserer Redaktion sichert das Kultusministerium diese pädagogischen Freiheiten zu. Schulen könnten bei Bedarf auch schon in der siebten Klasse starten. Ferner gibt es demnach bereits jetzt 450.000 Geräte in den Schulhäusern, die Lehrkräfte und Schüler auch in den unteren Klassen nutzen können.
Babl vermutet hinter dem Tabletstopp „eine willkommene Möglichkeit, eine Sparmaßnahme durchzusetzen“. Auch die Präsidentin des größten bayerischen Lehrkräfteverbands BLLV, Simone Fleischmann, reagiert gewohnt deutlich: „Erst rein und jetzt wieder raus, das geht nicht!“, kritisiert sie. Es erschwere wichtige digitale Bildung und Medienerziehung. Der Gymnasiallehrer und Bildungsinfluencer Bob Blume befürchtet im Spiegel, „dass drei weitere Schuljahre vergeudet werden, in denen die Schülerinnen und Schüler Umgang, Reflexion und Anwendung digitaler Endgeräte hätten lernen können“.
Absolut anderer Meinung ist der Augsburger Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer. Er fordert, dass im nächsten Jahr gar keine weiteren Tabletklassen eingerichtet werden. Stattdessen müssten die bisherigen Erfahrungen ausgewertet werden. Er wisse „von Situationen in den Klassenzimmern, in denen Schüler während des Unterrichts Spiele spielen, sinnlos umherwischen und keine Kontrolle mehr über das Lernen haben“.
Lehrkräfte an Gymnasien wollen mehr analoge Bildung
Positiv auf die Rolle rückwärts reagiert auch der Philologenverband (bpv), in dem ein Großteil der bayerischen Gymnasiallehrkräfte organisiert ist. Bei einer bpv-Umfrage im Frühjahr 2024 hatten sich 89 Prozent der befragten Lehrkräfte für „verstärktes analoges Lernen statt allumfassender Digitalisierung“ ausgesprochen. Andere europäische Länder hätten bereits negative Erfahrungen mit einer zu frühen schulischen Digitalisierung gesammelt, erklärte Verbandschef Michael Schwägerl. Tatsächlich hatten etwa Schweden und Dänemark zuletzt den Digitalunterricht reduziert. Diese Länder bewegten sich jedoch auf einer komplett anderen Ebene als Bayern, oft hatten Schülerinnen und Schüler dort gar nicht mehr mit Papier und Stift gearbeitet.
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