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Dringender Bedarf an Organspenden: Uniklinikum Augsburg kämpft gegen Wartelisten-Tod

Gesundheit

Zu wenig Organspenden: „Den Tod auf der Warteliste erleben wir hier regelmäßig“

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    Obwohl sich in Umfragen immer wieder eine überwältigende Mehrheit der Deutschen für die Organspende ausspricht, können viel zu wenige Organe transplantiert werden.
    Obwohl sich in Umfragen immer wieder eine überwältigende Mehrheit der Deutschen für die Organspende ausspricht, können viel zu wenige Organe transplantiert werden. Foto: Marie Reichenbach, dpa

    Herr Professor Anthuber, Sie sind der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg, die sich auf die Transplantation von Nieren spezialisiert hat – wie viele Menschen warten aktuell auf eine Niere bei Ihnen im Haus?
    PROF. DR. MATTHIAS ANTHUBER: Etwa 140 bis 150 Patientinnen und Patienten und sie warten im Schnitt acht Jahre. Viele müssen wir im Verlauf von der Liste nehmen, weil sie durch die lange Wartezeit entweder zu alt, zu krank werden oder gar versterben – den Tod auf der Warteliste erleben wir hier regelmäßig. Noch schlimmer stellt sich die Situation für Patienten und Patientinnen dar, die auf ein Herz, eine Leber oder eine Lunge warten...

    Bei Nieren kann auch eine Lebendspende helfen...
    ANTHUBER: Das stimmt und das wird bei uns auch gemacht. Allerdings muss man dazu sagen: Hätten wir nicht so einen eklatanten Mangel an Spenderorganen, würde man die Lebendspende nicht so stark forcieren müssen. Jede Lebendtransplantation ist mit einem, wenn auch geringem, Risiko für den Spender verbunden. Sie entnehmen schließlich einem gesunden Menschen ein wichtiges Organ, und jede Operation kann, selbst bei sorgfältigster Durchführung, zu Komplikationen führen.

    Der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg, Professor Matthias Anthuber (rechts), wurde erst kürzliche von Landrat Martin Sailer für seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Organspende ausgezeichnet.
    Der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg, Professor Matthias Anthuber (rechts), wurde erst kürzliche von Landrat Martin Sailer für seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Organspende ausgezeichnet. Foto: Julia Pietsch, Landratsamt

    Bei Umfragen spricht sich immer eine überwältigende Mehrheit der Menschen für die Organspende aus, woran hakt es in der Praxis?
    ANTHUBER: Es hakt an mehreren Stellen: Oft liegt es an der Bequemlichkeit der Menschen, sie wollen sich mit dem Tabuthema Tod nicht auseinandersetzen. Wir haben aber nach wie vor auch ein großes Informationsdefizit. Vor allem das Verständnis des medizinischen Laien zum Hirntod ist ein großes Problem. Immer wieder ist die Befürchtung zu hören, dass für schwer verletzte Unfallopfer nicht mehr alles für deren Rettung getan wird, weil man ihre Organe haben will. Im Grunde ist das ein unvorstellbarer Vorwurf gegenüber den Ärztinnen und Ärzten auf den Intensivstationen. Das Gegenteil ist der Fall: Bevor es zu einer Organtransplantation kommen kann, müssen zwei unabhängige Ärzte, die nichts mit Transplantationen zu tun haben, den Hirntod diagnostizieren. Wird er festgestellt, laufen die organfunktionunterstützenden medizinischen Maßnahmen bei dem hirntoten Organspender weiter, bis die Organe entnommen werden. Bei dem Patienten, der kein Organspender ist, diagnostiziert nur ein Arzt den Hirntod, danach werden die Geräte in Absprache mit den Angehörigen abgestellt. Organspender haben also sogar mehr Sicherheit.

    Es herrscht also ein Misstrauen in die Transplantationsmedizin?
    ANTHUBER: Ja, wir beobachten leider immer wieder ein großes Misstrauen in die Ärzteschaft. Der Transplantations-Skandal aus dem Jahr 2012 hat noch immer Folgen. Von diesem Vertrauensbruch haben wir uns leider noch immer nicht erholt.

    Damals sollen einige Transplantationskliniken ihre Patienten auf der Warteliste durch Manipulation von Labordaten kränker gemacht haben, damit sie schneller ein Organ erhalten...
    ANTHUBER: Die Transplantationsmedizin steht immer wieder im Verdacht, dass auch Geldzuwendungen bei der Organverteilung eine Rolle spielen könnten. Dabei stimmt auch das nicht, wir haben über das Eurotransplant-System transparente und gerechte Zuteilungsrichtlinien, die sich an den kurz-, mittel- und langfristigen Erfolgsaussichten einer Transplantation orientieren. Und Geld verdienen die Krankenhäuser durch die Meldung von Organspendern und die Realisierung von Organspenden keines, im Gegenteil.

    Es heißt auch immer wieder, dass die Kliniken sich zu wenig für die Organspende einsetzen...
    ANTHUBER: In Teilen stimmt das. Da gibt es durchaus noch Luft nach oben. Ein Problem ist sicherlich auch, dass circa 80 Prozent der deutschen Krankenhäuser defizitär sind. Dort wird darauf geachtet, dass möglichst viele Operationen, die ja die Kliniken über die dadurch erwirtschafteten Fallpauschalen refinanzieren, stattfinden. Die Abwicklung einer Organspende ist aber eine sehr personal- und ressourcenintensive Angelegenheit, weil der Organspender ein Bett auf der Intensivstation belegt und OP-Kapazität bereit gestellt werden muss.

    Sie sprechen sich seit Jahren für die Widerspruchslösung aus. Das heißt, jeder wäre Organspender, es sei denn, er widerspricht. Wäre das überhaupt die Lösung, würden die Organspenden steigen?
    ANTHUBER: Nicht sofort, aber langfristig würde die Zahl der Organspenden durch die Widerspruchslösung über eine Änderung in der Mentalität der Bevölkerung steigen. Heute ist die Organspende noch die Ausnahme, unter den Bedingungen der Widerspruchslösung würde sie die Regel. Das haben die Entwicklungen in anderen Ländern eindeutig gezeigt. Wir brauchen diese Widerspruchslösung jetzt auch endlich und ganz dringend in Deutschland! Auch finde ich es ausgesprochen fragwürdig, dass das politische Deutschland aus ethisch-moralischen Gründen die Widerspruchslösung ablehnt, wir aber täglich Organe transplantieren dürfen, die aus unseren Nachbarländern stammen, wo die Widerspruchslösung zum Teil seit Jahrzehnten getragen von einer breiten Zustimmung durch die jeweilige Bevölkerung umgesetzt ist. Konsequenterweise müsste die Politik der deutschen Transplantationsmedizin verbieten, Organe aus diesen Ländern zu transplantieren.

    Apropos Politik: Im Koalitionsvertrag steht nur: Man wolle die Zahl von Organ- und Gewebespenden deutlich erhöhen und dafür die Voraussetzungen verbessern, das will man schon lang...
    ANTHUBER: Ich habe die Hoffnung, dass trotz der herausfordernden weltpolitischen Lage der Deutsche Bundestag das Thema Organspende zeitnah noch einmal aufgreift. Zuletzt waren wir ja nach der Enttäuschung 2020 schon wieder einen großen Schritt vorangekommen in Folge der Bundesratsinitiative aus dem letzten Jahr. Im Übrigen ist Bayern mit Gesundheitsministerin Judith Gerlach, und auch ihrem Vorgänger, Klaus Holetschek, stark und vielschichtig engagiert. Frau Gerlach setzt sich leidenschaftlich für die Widerspruchslösung ein. Doch Bayerns Engagement alleine reicht leider nicht: Bei der Organspende fehlt die konsequente bundespolitische Willenserklärung.

    Was heißt das konkret?
    ANTHUBER: Wir brauchen auf bundespolitischer Ebene die Entscheidung für die Einführung der Widerspruchslösung und dann auch das intensive und nachhaltige politische Engagement in der Umsetzung nicht nur der gesetzlichen Regelung, sondern auch aller Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Organspende, wie zum Beispiel regelmäßige Informations- und Aufklärungskampagnen im öffentlichen Raum, an den Schulen und Universitäten, an Ausbildungsstätten, Unterstützung der Krankenhäuser etc.

    Was muss sich ändern?
    ANTHUBER: Die Kliniken müssen finanziell so ausgestattet werden, dass die Organspende wenigstens kostendeckend ist. Organspende muss durch Überzeugungsarbeit und ein auskömmliches Finanzierungsangebot zu einer Pflichtaufgabe für Kliniken werden.

    Nach 2020 gab es hier eine Aufbesserung der Förderung...
    ANTHUBER: Die reicht aber nicht. Es ist nicht nur mehr Geld nötig: Vor allem braucht es mehr Aufklärung, das Thema muss präsenter sein. Spanien ist da ein gutes Vorbild: Dort hat man es vor etlichen Jahren mit einem starken staatlichen Engagement geschafft, dass die Organspende von allen Bevölkerungsschichten breit unterstützt wird. Während in Deutschland auf eine Million Einwohner gerade mal zehn Organspender kommen, sind es in Spanien 45.

    Zur Person: Prof. Dr. Matthias Anthuber, 66, ist seit 21 Jahren der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg. Der dreifache Familienvater war auch Handballnationalspieler. Ende Juni verabschiedet er sich in den Ruhestand.

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