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Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild)
Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild)

Mehr als zehn Hektar Natur werden täglich in Bayern verbaut.

Flächenverbrauch
27.01.2023

Flächenfraß in Bayern: Jeden Tag verschwinden 14 Fußballfelder Natur

Von Sonja Dürr, Sarah Ritschel

Plus Es ist ein Kampf ums Grün in Stadt und Land. Dabei müht man sich schon lange, den Flächenverbrauch zu senken. In München macht eine Initiative jetzt Ernst.

Stefan Hofmeir ist geborener Münchner. Die Stadt seiner Kindheit und Jugend sah ganz anders aus als heute. „Ich kann mich erinnern, wie in der Nähe des Michaelibads noch Felder waren, auf denen Bauern Getreide geerntet haben“, sagt der 52-Jährige. Heute liegen rund um das Bad im Stadtteil Neuperlach ein Hostel, eine Autovermietung, eine Cocktailbar. Von den Wiesen ist nur der Ostpark geblieben – eine Grünanlage mit Biergarten und Sportplätzen.

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60.000 Unterschriften: Initiative will Münchner Grünflächen retten

Ein Park, den Hofmeir und sein Team erhalten wollen – möglichst ewig. Sechs Jahre lang warb die Initiative, die unter anderem vom Bund Naturschutz, der ÖDP und über 50 anderen Gruppen befürwortet wird, um die Unterstützung der Münchnerinnen und Münchner. Jetzt hat sie 60.000 Unterschriften der Stadt übergeben. Ihre Forderung: alle verbleibenden städtischen Grünflächen retten und vor der Umwidmung in Bauland bewahren. 

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Foto: Stefan Hofmeir
Foto: Stefan Hofmeir

Stefan Hofmeir, Initiator des Bürgerbegehrens "Münchens Grünflächen erhalten".

„Wir sind keine Bauverhinderer“, sagt Hofmeir. „Aber auch in einer wachsenden Stadt wie München brauchen die Menschen Erholungsgebiete, muss man Kinder rauslassen können zum Fußballspielen und Austoben“, findet der Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik. Die Landeshauptstadt sei eine der am meisten versiegelten Großstädte Deutschlands – und das Bürgerbegehren beziehe sich auf „lediglich fünf Prozent des Münchner Stadtgebiets“. 

Flächenverbrauch: Bayern verbaut jeden Tag 14 Fußballfelder Natur

Der Kampf ums Grün, er wird längst nicht nur in der Landeshauptstadt geführt. Seit Jahren müht man sich, den Flächenverbrauch im Freistaat zu reduzieren. CSU und Freie Wähler haben im Koalitionsvertrag geschrieben, dass er bis 2030 auf fünf Hektar pro Tag sinken soll. Doch davon ist die Staatsregierung weit entfernt, wie die aktuellsten Zahlen des Statistischen Landesamts aus dem Jahr 2021 belegen. 10,3 Hektar Fläche wurden danach täglich in Bayern bebaut – mit Gewerbegebieten, Straßen oder Wohnsiedlungen. Umgerechnet sind das 14 Fußballfelder Natur, die jeden Tag verloren gehen. Zwar ist der Flächenverbrauch im Vergleich zu den beiden Jahren davor leicht gesunken. Doch nach wie vor ist Bayern trauriger Spitzenreiter in Deutschland, was den Flächenfraß angeht. 

Seit Jahren kritisiert der bayerische Bauernverband, dass mit der Ressource Boden viel zu verschwenderisch umgegangen wird, dass viel zu viel Fläche zugebaut wird. Fläche, auf der sich Getreide, Kartoffeln oder Gemüse anbauen lassen – oder Futter für Milchkühe. „Die Fläche reicht jetzt schon nicht mehr“, sagt der neue Bauernpräsident Günther Felßner. Er hat unlängst eine „verpflichtende gesetzliche Obergrenze“ ins Gespräch gebracht. Das Ziel, den Flächenverbrauch auf fünf Hektar am Tag zu verringern, müsse spätestens 2030 erreicht werden. Wenn nicht, sei das „Prinzip der Freiwilligkeit im Flächenschutz gescheitert“. 

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Der Bauernverband warnt: "Die Fläche reicht nicht mehr"

Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann ist froh über den Vorstoß der Landwirte – schon, weil sich das Problem allein durch freiwillige Maßnahmen nicht lösen lasse. Wenn Bayern alle drei Tage die Fläche eines durchschnittlichen landwirtschaftlichen Betriebs verliere, „ist der Punkt erreicht, an dem wir über ein Gesetz nachdenken müssen“, sagt Hartmann. „Die Beton- und Asphaltwalze, die über Bayern rollt, muss endlich eingedämmt werden.“ 

Vor fünf Jahren haben die Grünen selbst einen Versuch unternommen, den Flächenfraß zu begrenzen. Das Volksbegehren „Betonflut eindämmen“ erreichte doppelt so viele Unterstützer wie nötig. Doch der Verwaltungsgerichtshof stoppte es aus formalen Gründen. 

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Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa
Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Ludwig Hartmann, bayerischer Fraktionsvorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Im bayerischen Wirtschaftsministerium betont man, dass die Richtgröße von fünf Hektar Flächenverbrauch pro Tag im bayerischen Landesplanungsgesetz aufgenommen wurde und daher auch berücksichtigt werden müsse. Das gelte sowohl für neu geschaffenen Wohnraum, für Radwege oder bei Gewerbebauten. Zudem werde das sogenannte Anbindegebot verschärft, wonach Siedlungen und Gewerbegebiete nur an bestehende Siedlungsgebiete anschließen dürfen. Die Realität aber sah in den letzten Jahren anders aus: In vielen Kommunen sind Gewerbegebiete auf der grünen Wiese entstanden. Zudem müssten Kommunen künftig konsequent begründen, warum sie neue Siedlungsflächen benötigen und im Vorfeld prüfen, ob nicht vorhandene Brachflächen oder Leerstände stattdessen genutzt werden könnten. 

Dem Münchner Stadtrat ist das Bürgerbegehren zu radikal

Angebote für die Kommunen gibt es. Mit Förderprogrammen wie „Innen statt Außen“ oder „Flächenentsiegelung“ werden sie unterstützt, wenn sie etwa Ortskerne wiederbeleben. Und im Bauministerium hat man vor kurzem erst wortgewaltig einen „Wohnbau-Booster“ gezündet, der unter anderem zusätzliche Förderanreize verspricht, wenn Wohnungen in Ortskernen gebaut werden. 

Nach wie vor aber geht die meiste Fläche für Wohnsiedlungen verloren. 41,5 Prozent der neu beanspruchten Flächen waren das im Jahr 2021. Auch Solarparks spielen eine immer größere Rolle. 14 Prozent der Flächen gingen dafür drauf. Bauernpräsident Felßner fordert, PV-Anlagen vor allem auf Dächern und über Parkplätzen anzubringen. Und Grünen-Politiker Hartmann sagt: „Wir brauchen Schutzgebiete für die Landwirtschaft.“ 

Bürgerbegehren ringt mit der Stadt München um einen Kompromiss

In der Landeshauptstadt ringen die Vertreter des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“ mit der Stadt gerade um einen Kompromiss. Dem Stadtrat, grün-rot regiert, ist die Forderung des Bürgerbegehrens zu radikal. Nur die ÖDP und zwei Räte der Freien Wähler unterstützen sie, selbst die Grünen sind dagegen, „weil es der Stadt jeden Gestaltungsspielraum rauben würde“, hieß es kürzlich von der Fraktion. 

Hofmeir hält dagegen: „Es bringt den Leuten nichts, wenn irgendwo im Münchner Westen ein neuer Landschaftspark als Ausgleichsfläche ausgewiesen wird, wenn man gleichzeitig die Grünfläche vor ihrer Haustür wegrationalisiert.“ Gelingt den Beteiligten kein gemeinsamer Nenner, könnte es Mitte Mai zum Bürgerentscheid kommen. Dann sollen die Münchnerinnen und Münchner selbst abstimmen, wie es mit ihren 1200 Parks und Grünflächen weitergeht. 

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