Für eine Strafe hatte es dann doch nicht gereicht: Freispruch, so lautete am Mittwochnachmittag am Landesgericht im oberösterreichischen Wels das Urteil der Richterin für den 61-jähirgen Angeklagten Roman M. aus Starnberg. Die österreichische Staatsanwaltschaft hatte dem Kleinunternehmer vorgeworfen, mit gefährlichen Drohungen in E-Mails an die bekannte Impf-Befürworterin Lisa-Maria Kellermayr für deren Suizid im Sommer 2022 mitverantwortlich gewesen zu sein. Das Schöffengericht in Wels sah dies als nicht erwiesen an. Es gehe eben nicht rein um den Vorwurf der gefährlichen Drohung, so die Richterin in ihrer Urteilsbegründung, in diesem Fall wäre allein ein deutsches Gericht zuständig gewesen. Gegenständlich sei die Kausalität der Drohung zum Suizid der Ärztin, sprich: Ein direkter Zusammenhang der Mails von Roman M. an Kellermayr mit ihrem Suizid. Und den, sagte die Richterin, könne man eben nicht nachweisen.
Gegen Roman M. wird in Deutschland weiter ermittelt
Der Angeklagte habe bis zum Versand der Mails im März 2022 – M. schrieb an die Ärztin sie sei eine „Kreatur“, man „beobachte“ sie und werde sie „vor ein Volkstribunal stellen“ – nicht wissen können, dass es bereits weitere, konkrete Morddrohungen gegen Kellermayr gab. Auch könne man nicht davon ausgehen, dass Kellermayrs Gesundheitszustand, der vor allem von M.s Verteidigern im Prozess bis in die kleinsten Details dargelegt wurde, dem Angeklagten zum Zeitpunkt seiner E-Mails bekannt gewesen sei. Aus Sicht der Richterin fehle damit die Vorhersehbarkeit, wozu M.s Drohungen führen hätten können. Es sei ein „gesamtes Bedrohungsbild“ gewesen – vor wem aber genau Kellermayr Angst gehabt hätte, könne man im Nachhinein nicht sagen: Ein „nachweislicher Beitrag“ zum Entschluss Kellermayrs zum Suizid fehle im gegenständlichen Fall.

„Ich war ehrlich gesagt schon über die Anklage überrascht“, sagte einer der Verteidiger Roman M.s direkt nach dem Urteil. Der Anwalt will in den Mails seines Mandanten auch keinen „Hass im Netz“ erkennen können. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft hat nun drei Tage Zeit, um Rechtsmittel einzulegen. Gegen den als „Claas der Killer“ bekannten, anonymen Verfasser von Drohmails wird in Deutschland weiter ermittelt – er hatte vor Kellermayrs Suizid mehrere explizite Morddrohungen an die Ärztin verschickt.

In den insgesamt vier Prozesstagen in Wels kamen zahlreiche Zeugen zu Wort – darunter auch der Vater der verstorbenen Ärztin, der bis heute an eine Mordtheorie glaubt. Am Dienstag sprach der Psychiater Peter Hofmann vor dem Gericht, er hatte zu Kellermayrs Gesundheitszustand ein umfassendes Gutachten erstellt. Auch Hofmann ging ausführlich auf die offenbar lange Leidensgeschickte Kellermayrs ein: „Suizidgedanken waren ein Bestandteil ihres Lebens“, sagte der Psychiater, seit ihrer Kindheit sei die Ärztin „in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört“ gewesen. Zur Frage, was schlussendlich zum Suizid geführt habe, sagte Hofmann: „Ich gehe davon aus, dass die Frau wirklich Angst gehabt hat“, die Sicherheitsvorkehrungen, die Kellermayr nach den Drohungen in ihrer Praxis installiert habe, seien nicht ohne Grund getroffen worden. Depressionen hätten ebenso eine Rolle gespielt, schlussendlich aber habe „die Angst überwogen“.

Von der Verteidigung M.s wurde immer wieder auf ein Dokument Kellermayrs verwiesen, dass diese bereits vor dem letzten E-Mail-Austausch verfasst habe. Dieses würde zeigen, dass Kellermayr ihr Ableben schon lange geplant habe. In ihrem Abschiedsbrief erwähnte Kellermayr allerdings neben der Polizei, von der sie sich im Stich gelassen fühlte, auch Roman M. – für Psychiater Hofmann ein Indiz, dass dessen E-Mails tatsächlich einen Beitrag zum Suizid-Entschluss geleistet hätten.
Oberösterreich gilt als Hochburg der Szene in Österreich
Auffällig zurückhaltend agierten während des Prozesses die Ankläger der Staatsanwaltschaft: Während ausführlich der Gesundheitszustand von Kellermayr thematisiert wurde, nutzten die Ankläger kaum die Möglichkeit, die Motivationen M.s, Kellermayr per Mail zu drohen, zu beleuchten. Eine private Freundin Kellermayrs berichtete am Dienstag von „schwersten Angstzuständen“ Kellermayrs und davon, dass die Ärztin sich das „Volkstribunal“, mit dem M. gedroht hatte, „wie einen Lynchmob“ vorgestellt habe.
Das Urteil in Wels gilt durchaus als richtungsweisend in der Debatte über Drohungen und Hass im Netz. In der Szene der Coronaleugner und „Querdenker“ dürfte es mit Genugtuung aufgenommen werden: Oberösterreich gilt seit der Pandemie als eine der Hochburgen der Szene in Österreich, die hier entstandenen verschwörungsideologischen Internet-Plattformen und Sender erreichten zu Corona-Zeiten Einfluss im gesamten deutschsprachigen Raum.
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