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Frühe psychische Erkrankungen bei Kindern: Experte warnt vor zu später Hilfe

Kindergesundheit

„Sehr beunruhigend ist, wie jung die Menschen schwer psychisch erkranken“

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    Münchner Kinderpsychiater ist besorgt, wie jung die Menschen schwer psychisch erkranken. Es gibt immer mehr Depressionen im Kindesalter, aber auch Essstörungen treten verstärkt und früher auf.
    Münchner Kinderpsychiater ist besorgt, wie jung die Menschen schwer psychisch erkranken. Es gibt immer mehr Depressionen im Kindesalter, aber auch Essstörungen treten verstärkt und früher auf. Foto: Nicolas Armer, dpa (Archivbild)

    Herr Professor Schulte-Körne, gerade ist wieder eine Diskussion entbrannt, ob Kinder und Jugendliche einen besseren Schutz im Umgang mit sozialen Medien brauchen. Sie sind der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der LMU in München - machen soziale Medien Kinder und Jugendliche krank?
    PROF. DR. GERD SCHULTE-KÖRNE: So einfach kann man das nicht sagen. Erschreckend ist die viele Zeit, die Kinder und Jugendliche heute vor dem Smartphone und damit meist in den sozialen Medien verbringen. Entscheidend ist: Welche Funktionen übernehmen die sozialen Medien? Da beobachten wir ja seit der Corona-Pandemie, dass sich der soziale Austausch ins Digitale verlagert. Und damit können Kompetenzen im sozialen Austausch verloren gehen, weil es natürlich einen Unterschied macht, ob ich jemanden persönlich treffe oder mich mit ihm nur digital austausche. Was uns aus medizinischer Sicht am meisten beunruhigt, sind die vielen Fehlinformationen über Erkrankungen in den sozialen Medien, etwa über Symptome, aber auch die Verbreitung von Idealen, was den eigenen Körper angeht.

    Sie meinen beispielsweise die vielen Tipps zum Abnehmen, oder?
    SCHULTE-KÖRNE: Die sind gerade für Mädchen sehr gefährlich. Denn sie finden diese Informationen in der Pubertät vor, in einer Zeit, in der sich der Körper verändert und man nach Anerkennung, nach Erfolg sucht. Und ihnen wird erklärt, dass sie nur toll sind, wenn sie das eine oder andere Produkt verwenden oder ein bestimmtes Schönheitsideal erreichen. Was die Sache überdies so gefährlich macht: Die Auseinandersetzung findet in einem isolierten Raum statt.

    Professor Gerd Schulte-Körne ist der Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am LMU Klinikum in München. Er wünscht sich ein stärkeres Bewusstsein für psychische Erkrankungen - gerade bei Kindern und Jugendlichen werden schwere psychische Erkrankungen oft sehr spät diagnostiziert.
    Professor Gerd Schulte-Körne ist der Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am LMU Klinikum in München. Er wünscht sich ein stärkeres Bewusstsein für psychische Erkrankungen - gerade bei Kindern und Jugendlichen werden schwere psychische Erkrankungen oft sehr spät diagnostiziert. Foto: dpa, privat

    Die Folge können Essstörungen sein, oder?
    SCHULTE-KÖRNE: So ist es. Wir haben bei uns im Haus eine enorm hohe Inanspruchnahme von Essstörungen. Studien belegen auch, dass Essstörungen bei jungen Leuten seit der Corona-Pandemie deutlich zugenommen haben. Und wenn sie mit den jungen Patientinnen und Patienten sprechen, dann erzählen sie auch, dass sie in den sozialen Medien gesehen haben, wie toll es ist, so auszusehen und dass sie konkreten Anleitungen gefolgt sind. Soziale Medien können also krankheitsverstärkend wirken und junge Menschen irreleiten.

    Brauchen wir also aus Ihrer Sicht eine Altersbeschränkung für soziale Medien oder ein Verbot?
    SCHULTE-KÖRNE: Ich habe hier keine eindeutige Position. Was ich seit Langem fordere, ist eine verstärkte Aufklärung und mehr Prävention.

    Was heißt das konkret?
    SCHULTE-KÖRNE: Mentale Gesundheit muss endlich Teil des Schulunterrichts sein. In der Schule muss viel stärker über den Umgang mit sozialen Medien aufgeklärt werden – aber auch über Suchtmittel wie Cannabis und Alkohol. Die Kinder und Jugendlichen müssten hier Kompetenzen erlangen für den Umgang. Und wir müssen den Kindern und Jugendlichen mehr analoge Alternativen zu den digitalen Medien bieten. Das mag rückwärtsgewandt klingen, aber Kinder und Jugendliche brauchen mehr kreative Angebote, die Emotionen wecken: Sich in Kunst auszuprobieren ohne Leistungsdruck, Musik zu erleben ohne Leistungsdruck. Wir führen ja eine große Spardebatte und leider wird meistens bei den Kindern und in der Kultur gestrichen, weil sich die Folgen hier nicht so konkret in wirtschaftlichen Zahlen messen lassen. Für die psycho-soziale und die emotionale Gesundheit der Menschen sind diese Sparmaßnahmen aber gravierend.

    Was beobachten Sie in Ihrem Klinikalltag?
    SCHULTE-KÖRNE: Sehr beunruhigend ist, wie jung die Menschen schwer psychisch erkranken. Wir sehen wesentlich mehr Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen im frühen Alter, die oft mit erheblichen psychischen Belastungen einhergehen. Kinder und Jugendliche entwickeln viel früher Essstörungen. Es gibt mehr Depressionen im Kindesalter. Ein großes Problem ist: Die schweren psychischen Erkrankungen, wie Psychosen, werden oft sehr spät diagnostiziert. Dabei hätte man die Entwicklung oft gut beeinflussen können, wenn die Familien früher unterstützt worden wären, aber zu viele Familien werden allein gelassen. Allerdings holen sich viele Familien auch aus Angst keine Hilfe.

    Aus Angst wovor?
    SCHULTE-KÖRNE: Psychische Erkrankungen sind leider immer noch sehr stigmatisierend. Viele Eltern wollen keine psychische Diagnose für ihr Kind, weil sie Nachteile befürchten, weil sie Angst haben, dass ihrem Kind dann beispielsweise bestimmte berufliche Wege verbaut sind. Wir müssen hier auch als Gesellschaft sehr aufpassen: Wir dürfen psychisch kranke junge Menschen nicht an den Rand drängen, sie gehören in die Mitte unserer Gesellschaft.

    Aber warum werden immer mehr junge Leute psychisch krank?
    SCHULTE-KÖRNE: Nicht vergessen darf man, mit wie vielen großen Krisen Kinder und Jugendliche heute aufwachsen. Wir Erwachsene glauben oft, das beschäftigt nur uns. Aber all die Kriege, die Klimakrise, all die Bedrohungen, das belastet auch viele unserer Kinder enorm. Und mit vielen Kindern wird darüber nicht gesprochen, sie werden mit ihren Ängsten und Sorgen völlig allein gelassen.

    Viele Eltern kennen aber vielleicht auch nicht die frühen Anzeichen für eine psychische Erkrankung. Worauf sollten sie achten?
    SCHULTE-KÖRNE: Aufmerksam sollten Eltern immer dann werden, wenn sich im Verhalten ihres Kindes etwas anhaltend verändert: Wenn es beispielsweise stark abnimmt oder verstärkt Sport treibt; wenn es sich generell zurückzieht, ohne Grund traurig ist oder Stressreaktionen zeigt, etwa kaltschweißig wird oder schnell atmet, obwohl es keine Auslöser dafür gibt. Im Gespräch mit Eltern zeigt sich immer wieder, dass sie Veränderungen sehr wohl bemerkt haben, sie aber nicht für so wichtig erachtet haben. Das ist auch etwas, was sich ändern muss: Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein für psychische Erkrankungen. Bei ersten Anzeichen muss ebenso rasch gehandelt werden wie bei körperlichen Symptomen.

    Zur Person

    Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, 64, ist seit 2006 Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am LMU Klinikum in München

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