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Foto: Tom Weller, dpa
Foto: Tom Weller, dpa

Seit Mitte März gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Wirklich umgesetzt wird sie nicht. Dennoch läuft den Pflegeeinrichtungen das Personal weg.

Gesundheit
26.07.2022

Ärger und Verwirrung um die einrichtungsbezogene Impfpflicht

Von Fabian Huber

Plus Einem Pflegeheim wandert ungeimpftes Personal ab. Die Leitung schreibt einen Brandbrief. Er landet bei Bayerns Gesundheitsminister Holetschek. Doch der reizt seinen Spielraum bereits aus.

Eigentlich liegt Heimenkirch, Landkreis Lindau, nur zehn Kilometer Luftlinie von Vorarlberg, am Westzipfel Österreichs, entfernt. Doch für Pflegekräfte sind das Welten. Denn während jenseits der Grenze die Impfpflicht krachend gescheitert ist, steht in Deutschland unter dem Bruchstrich parlamentarischer Verhandlungen ein kleinster gemeinsamer Nenner namens „einrichtungsbezogene Impfpflicht“. Personal aus dem Gesundheitssektor muss sich hierzulande impfen lassen.

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Roland Fink nennt das Bundesgesetz einfach: „das i-Tüpfelchen“.

So hat es der Leiter vier Westallgäuer Pflegeheime, darunter eben eines in Heimenkirch, in einem Brandbrief niedergeschrieben, auf drei Seiten, eine schonungslose Sezierung seiner Sorgen: Pflegenotstand, Fachkräftemangel, Überlastung. Am konkretesten wird Fink aber, als er auf die Corona-Impfung zu sprechen kommt: Zehn Beschäftigte hätten ihm schon gekündigt, wegen der pandemischen Mehrbelastung, aber auch, weil sie die Vakzine ablehnten. Zwei davon hätten bereits in Vorarlberg eine neue Stelle gefunden. Sein Heim, so schreibt er, sei kurz davor, den „täglichen Arbeitsbetrieb nicht mehr aufrechterhalten zu können."

Finks Brief wandert an die oberste Stelle: zu Minister Holetschek

Fink schickt den Brief an Markus Reichart. Er ist nicht nur Bürgermeister von Heimenkirch, sondern auch schwäbischer Vorsitzender des Bayerischen Gemeindetags, und als der sich auf der Präsidiumssitzung vergangenen Mittwoch umhört – ob es das Problem auch in anderen Regierungsbezirken gebe –, da sieht er reihum nickende Köpfe. So wird es Reichart später erzählen. Er sagt: „Die Gesundheitsämter schreiben ungeimpfte Fachkräfte gezielt an. Das löst Frust aus. Immer mehr sagen: Ich lasse mich nicht mehr bevormunden.“

Finks Brief also wanderte weiter, an die oberste Stelle, zum bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek.

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Der CSU-Mann galt noch nie als Freund einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Als die Bundesregierung sie Mitte März in Gesetzesform goss, stellte Holetschek für Bayern einen Stufenplan vor. Seine Stufen führten hinauf in den Spielraum. Und der war groß: Die bayerischen Gesundheitsämter sollten ungeimpfte Pflegekräfte zunächst melden, dann über eine Impfung aufklären, schließlich vorwarnen. Das Bundesgesetz sah bei Verstoß ein maximales Bußgeld von 2500 Euro samt Betretungsverbot der Einrichtung vor. Bayerische Bilanz von Anfang Juli: 56.000 bis 57.000 ungeimpfte Beschäftigte im Gesundheitsbereich, null Bußgelder, null Betretungsverbote. Holetschek nennt das im Gespräch: „Augenmaß“.

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Foto: Sven Hoppe, dpa
Foto: Sven Hoppe, dpa

Noch nie ein Freund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gewesen: Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU)

"Wir haben den Gesundheitsämtern im Rahmen unserer Vollzugshinweise mitgeteilt, dass bei der Prüfung von Sanktionen das Thema der Versorgungssicherheit maßgeblich zu berücksichtigen ist. Was nützt es uns, wenn das Personal nicht mehr da ist und die Patienten nicht mehr versorgen kann? Dann haben wir tatsächlich nichts erreicht", sagt der Minister. "Deshalb legen wir in Bayern das Gesetz breit aus mit Augenmaß und Priorität für die Versorgung. Anders als viele andere Bundesländer kommunizieren wir das klar."

Tatsächlich wird das Gesetz der Ampel-Koalition deutschlandweit gedehnt. Laut Bild am Sonntag wurden in zwölf von 16 Bundesländern insgesamt mehr als 190.000 ungeimpfte Beschäftigte identifiziert. Betretungsverbote gab es nur in 70 Fällen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg.

Als ein Brief vom Landratsamt kommt, drohen 14 Angestellte mit Kündigung

Aus einer Impfpflicht ist eine Art Meldepflicht geworden. Es bleibt nur die Hülle. Und ganz viel Verwirrung. Wie in den Pflegeheimen von Roland Fink.

Vor zwei Wochen schickte ihm das zuständige Landratsamt Lindau ein Musterschreiben des bayerischen Gesundheitsministeriums. Darin der Hinweis auf die Impfpflicht seiner Belegschaft. Es sei lediglich die Rechtslage wiedergegeben, aber keine Drohung durch das Landratsamt formuliert worden, heißt es von behördlicher Seite.

Und dennoch: Laut Fink spielen 14 Angestellte mit dem Gedanken, sich umzuorientieren, sollte der Bescheid durchgesetzt werden. Zwei Angestellte hätten direkt nach dem Schreiben gekündigt. Das Personal flieht. Und das, obwohl eine direkte Gefahr überhaupt nicht in Vollzug scheint. Denn auch das Landratsamt Lindau beugt sich der Direktive des bayerischen Gesundheitsministeriums: „Auch wir kennen die Aussagen von Minister Holetschek und werden mit größtmöglichem Augenmaß vorgehen und dabei die Aufrechterhaltung der Versorgung selbstverständlich im Fokus haben.“

Ab Oktober zählen noch mehr Pflegekräfte als ungeimpft

Bisher verhängte das Landratsamt kein einziges Bußgeldverfahren. Das sei aufgrund der langen Vorläufe nicht „möglich“ gewesen. Das "möglich" schreibt die Behörde tatsächlich in Anführungszeichen. Es klingt nach Trotz. „Wir als Landratsamt wissen um die schwierige Kommunikation des Bundes und auch des Freistaats Bayern bei diesem Thema.“

Könnten die Ämter sich ihre Anschreiben also nicht einfach sparen? „Nein“, sagt Minister Holetschek. „Wir müssen ja ein Verfahren durchführen. Das gehört zum Vollzug eines Gesetzes.“ Und so bleibt eben ein Gesetz, das irgendwie umgesetzt wird. Aber irgendwie auch nicht. Holetschek fordert, die einrichtungsbezogene Impfpflicht zum 30. September auszusetzen. Ab diesem Tag zählt nur noch als vollständig geimpft, wer drei Spritzen erhalten hat. Dann würden nach Zahlen der Bayerischen Krankenhausgesellschaft weitere 20 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitssektor ihren Immunisierungsstatus verlieren. Und noch mehr Probleme auf die Pflegeheime zurollen. „Wir werden dranbleiben“, sagt Holetschek. „Aber ein Bundesgesetz aussetzen kann nur der Bund selbst." Und von dem habe es bisher noch keine Rückmeldung gegeben.

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