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Foto: Marcus Merk
Foto: Marcus Merk

Der Rettungsdienst ist ausgelastet. Auch in der Region könnte es besser laufen

Lesetipp
16.12.2022

Warum Rettungsdienste in der Region an ihre Grenzen kommen

Von Christina Heller-Beschnitt

Plus Rettungsdienste sollen Leben retten und stehen selbst kurz vor dem Kollaps. Vor allem Bayern sei ein Sorgenkind. Hier berichten Helfer aus der Region von vier Problemen.

Wer einen Unfall hat, ein plötzliches Stechen in der Brust spürt oder keine Luft mehr bekommt, der vertraut darauf, dass in kürzester Zeit ein Rettungswagen kommt. Doch nun warnt das deutschlandweite "Bündnis pro Rettungsdienst", dass die Helfer in der Not selbst kurz vor dem Kollaps stehen. Und der Chef des Berufsverbands Rettungsdienst, Marco König sagte unserer Redaktion: „Bayern ist unser Sorgenkind.“ Was heißt das für die Region? Wie dramatisch ist die Lage vor Ort?

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Drei Anrufe sollen Klarheit bringen. Sie gehen an drei Männer, die in der Region beim Rettungsdienst arbeiten. An Alexander Herrmann, der den Rettungsdienst für das Bayerische Rote Kreuz in Dillingen leitet. An Patrick Haaf, der den Rettungsdienst der Malteser in Memmingen koordiniert. Und an Markus Adler, der bei den Johannitern für den Rettungsdienst in ganz Schwaben zuständig ist. Was sie sagen, lässt sich in vier Problemfelder unterteilen.

Stellen von Notfallsanitätern bleiben lange unbesetzt

Das erste Problem lässt sich mit dem Schlagwort Personal zusammenfassen. Im Rettungsdienst fehlen Fachkräfte. Zwar bewerben sich viele junge Menschen für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter oder zur Notfallsanitäterin, doch offene Stellen für ausgebildete Notfallsanitäter lassen sich kaum besetzen.

Um eine Ausbildung bewerben sich vier bis fünf Mal mehr Menschen, als er einstellen kann, sagt der Dillinger Alexander Herrmann. Auf eine Stellenanzeige, die seit einem halben Jahr im Netz steht, melde sich kaum jemand. Ähnlich ist es bei Patrick Haaf in Memmingen. Auch er sucht seit einem Jahr einen neuen Kollegen oder eine neue Kollegin, doch es finde sich niemand. Woran das liegt, kann er sich nicht erklären. Markus Adler von den Johannitern hat eine Vermutung: "Notfallsanitäter werden in ganz vielen Bereichen gesucht. Im Krankenhaus arbeiten sie zum Beispiel in den Notaufnahmen. Aber die Krankenhäuser bilden nicht selber aus", sagt er.

Und deshalb hat Adler auch eine Forderung in Richtung der Krankenkassen. Sie stellen das Budget für den Rettungsdienst zur Verfügung. "Wir könnten viel mehr Menschen ausbilden, als es das Geld von den Krankenkassen zulässt", sagt Adler. "Notfallsanitäter werden dringend gesucht, deshalb wäre mein Appell an die Kassen, dass wir mehr ausbilden können, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken", sagt er.

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Der Rettungsdienst wird immer häufiger wegen Lappalien gerufen

Das zweite Problem ist, dass der Rettungsdienst immer häufiger gerufen wird, obwohl er nicht nötig wäre. "Von zehn Notfalleinsätzen, zu denen ich fahre, sind vielleicht zwei echte Notfälle dabei", sagt der Memminger Patrick Haaf. Markus Adler, der Johanniter, schätzt, dass etwa die Hälfte der Fälle, zu denen ein Rettungswagen gerufen wird, kein Notfall seien. Oft alarmierten Menschen den Rettungsdienst etwa, weil sie schon seit längerem unter Bauchschmerzen litten, weil sie leichtes Fieber hätten oder ihnen die Wartezeiten bei einem anderen Arzt zu lang seien, sagt Haaf. Er gibt zu bedenken: "Wer mit Blaulicht zu einem Patienten fährt, riskiert immer sein eigenes Leben. Wenn hinter dem Notruf eine Lappalie steckt, ist das sehr frustrierend."

Solche Einsätze sind zudem ein Problem für das gesamte System. Ein Rettungswagen, der unnötig verständigt wurde, fehlt, wenn wirklich ein Notfall eintritt.

Das dritte Problem ist, dass Rettungswagen häufig für Krankentransporte eingesetzt werden. Sie sind zwar häufig unterwegs, aber nur selten wirklich im Rettungseinsatz. Der Malteser Patrick Haaf sagt etwa: "Die Schicht der Krankenwagen-Besatzungen endet in Memmingen um 16.30 Uhr. Danach übernehmen diese Einsätze die zwei Rettungswagen, die wir hier haben", sagt Haaf. Sie fahren dann ältere Menschen, die zur Dialyse im Krankenhaus waren, zurück ins Heim. Oder verlegen Patienten von einem Krankenhaus ins nächste. Alles Aufgaben, für die Krankenwagen und ihre Mannschaft vorgesehen sind. Das bindet Kapazitäten. In anderen Bundesländern – beispielsweise Baden-Württemberg – werde deshalb strikt zwischen Krankenwagen und Rettungswagen getrennt, sagt Haaf. Einen Ansatz, den er besser findet.

Rettungswagen müssen weite Wege zum nächsten freien Krankenhaus zurücklegen

Und viertens müssen Rettungswagen oft lange Strecken zurücklegen, um eine Notaufnahme zu finden, die noch Patienten annimmt. Alexander Herrmann schildert, wie das im Kreis Dillingen ablaufen kann: Wenn das Krankenhaus in Dillingen die Notaufnahme schließt, weil sie voll ist, fahren erst einmal alle zum Krankenhaus in Wertingen. Auch dort erreicht die Notaufnahme irgendwann ihre Grenzen. Das setzt sich fort wie ein Dominoeffekt. Am Ende fahren Rettungswagen aus dem Kreis Dillingen nach Nördlingen, Günzburg, Augsburg oder Heidenheim. "Das kommt regelmäßig vor", sagt er. Und solange der Rettungswagen unterwegs ist, kann die Besatzung niemand anderem helfen. Dieses Problem habe sich auch deshalb so verschärft, weil viele Krankenhäuser gar keine Notaufnahme mehr hätten, sagt der Johanniter Markus Adler.

Am Ende läuft es immer wieder auf das Gleiche hinaus: Ein Patient, der wirklich einen Rettungswagen benötigt, muss mitunter länger warten, bis einer kommt. Warum? Weil der eigentlich nächste Rettungswagen gerade unterwegs ist – auf Krankentransport, auf der Suche nach einer offenen Notaufnahme oder zu einem unnötigen Einsatz. Deshalb schickt die Leitstelle einen Wagen mit einer weiteren Anfahrt. Und das dauert. Auch in der Region türmen sich also die Sorgen auf. "Noch ist die Notlage nicht eingetreten, aber wir steuern eindeutig darauf zu", sagt Alexander Herrmann.

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