Privatschule – wie das schon klingt. Ein bisschen nach Kindern wohlhabender Familien in schicken Uniformen, nach altehrwürdigen Gemäuern, nach vorgepflastertem Erfolgsweg. Nach heimeligem Internatsleben oder harter Hand. Und am Nachmittag sind Reitunterricht und Ruderclub angesagt. „Hanni und Nanni“ oder „Maxton Hall“ – je nachdem, welche Serien man gesehen und Bücher gelesen hat, rufen Privatschulen dann noch ganz andere Bilder hervor.
Soweit die Klischees. Aber wie lernen Kinder und Jugendliche wirklich an Privatschulen? Ein Blick auf die Schülerzahlen zeigt: Privatschulen sind in Deutschland längst nicht so selten und besonders, wie es manchmal scheint. Jede achte allgemeinbildende Schule ist in privater Trägerschaft, in Bayern sind es sogar noch etwas mehr. Es sind evangelische Grundschulen dabei, genauso wie katholische Realschulen, Waldorf-, Montessori- und internationale Schulen. Die Zahl der Privatschulen ist in den vergangenen zehn Jahren um acht Prozent gestiegen, jedes zehnte Kind besucht eine.
Die anhaltend hohe Nachfrage nach Privatschulen zeigt: Eltern verlassen sich bei der Ausbildung ihrer Kinder nicht mehr unbedingt auf den Staat und nehmen dafür mitunter auch viel Geld in die Hand. Was macht das mit Kindern und Jugendlichen, dem Bildungssystem – und schlussendlich unserer Gesellschaft?
Franz-von-Assisi-Schule: Christliche Rituale und fächerübergreifender Unterricht
Ein Frühlingsmorgen an der Franz-von-Assisi-Grundschule in Augsburg. Sonnenstrahlen blitzen durch das Glasdach der lichtdurchfluteten Aula. Die Tür zum Klassenzimmer steht weit offen, ein paar Drittklässler haben ihren Lernort in einer Nische gefunden und lernen gemeinsam auf Sitzkissen am Boden. Andere packen schnell ihre Unterlagen ein und laufen in Richtung Schulbibliothek. Und auch wenn es auf den ersten Blick etwas wuselig zugeht: Bis auf die vielen kleinen Schritte treppauf, treppab oder den Gang entlang herrscht im Schulhaus geschäftige Stille. Woran sie in den ersten beiden Schulstunden genau arbeiten, entscheiden die Kinder alleine. Auch ob sie lieber rechnen, lesen oder an ihrem Kunstwerk weitermalen. Ihre Lehrerin Marina Sasu hat Aufgaben und Lernumgebung vorbereitet und begleitet die Schüler zurückhaltend. Gezielt geht sie auf Einzelne zu und leitet an, wenn es Fragen gibt, oder fordert durch einzelne Nachfragen zum Nachdenken heraus.
Gelernt wird hier in „Freier Stillarbeit“ nach dem „Marchtaler Plan“, einem Konzept für katholische Schulen aus den 80er Jahren, das Elemente der Pädagogik von Maria Montessori aufgreift. Neben fächerübergreifend vernetztem Unterricht spielen christliche Rituale eine wichtige Rolle im Schulalltag. Jeden Tag versammelt sich die Klasse im Morgenkreis, um Zeit für Besinnung zu finden und gemeinsam über biblische Erzählungen, Gebete und Lieder oder christliche Feste und Bräuche nachzudenken. Etwa zwölfmal im Jahr feiern Schüler und Lehrer gemeinsam mit dem Schulpfarrer Gottesdienste, manche als Andacht in kleiner Runde im extra dafür eingerichteten „Haus der Stille“. In zwei Gewächshäusern auf dem Dach bauen die Klassen ihr eigenes Gemüse an, welches sie bei reicher Ernte im Sommer gemeinsam in der Schulküche verwerten. Daneben gibt es sogar eine Schuldruckerei, in der die Kinder mit einzeln gesetzten Lettern eigene Druckwerke fertigen.

All das wäre ohne das starke Engagement der Familien nicht möglich, sagt Schulleiterin Teresa Turner. „Wir haben ein sehr reiches Schulleben, weil sich Eltern durch die bewusste Wahl der Schule eher berufen fühlen, sich einzubringen. Wir fordern das auch ein. Nur durch dieses Elternengagement können wir Aktionen und Projekte anbieten, die es sonst nicht gäbe.“ Gut 150 Mütter und Väter helfen regelmäßig, manche mehrere Stunden in der Woche. Eltern zahlen 67,50 Euro Schulgeld im Monat, hinzu kommen Beiträge für die Ganztagsbetreuung und den Schulbusbetrieb. 70 Prozent der Kinder an der Bekenntnisschule müssen katholisch sein, das gibt der Freistaat Bayern vor. Aber auch die anderen sind getaufte Christen. „Wir haben deutlich mehr Anmeldungen als Plätze und sind eine katholische Schule – deshalb nehmen wir bevorzugt katholische Kinder auf. Der christliche Wertekonsens ist uns sehr wichtig“, betont Turner.
Privatschulen müssen allen Schülern offenstehen – unabhängig vom Besitz der Eltern
Privatschulen finanzieren sich zum Teil aus staatlichen Mitteln, zum Teil aus Schulgeld. Welche Kinder sie aufnehmen, dürfen sie gemäß ihrem Profil selbst aussuchen. Allerdings gibt es dafür klare Regeln – sogar im Grundgesetz. Artikel 7 sieht vor, dass der Staat Privatschulen nur genehmigen kann, „wenn eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“. Kurz gesagt: Privatschulen müssen allen Schülerinnen und Schülern offen stehen – egal, wie viel Geld die Eltern haben.
Dass das der Realität entspricht, bezweifelt Marcel Helbig. Der Bildungsforscher vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe sagt: „Was das Grundgesetz eigentlich wollte, dass private Schulen nicht eine Schulform für die sozial besser gestellten Schichten sind, ist in der sozialen Realität vielerorts nicht mehr vorzufinden.“ In diesem Zusammenhang spricht Helbig auch das Schulgeld an. Können sich Menschen aus sozioökonomisch benachteiligten Milieus nicht vorstellen, dass sie sich einen Privatschulbesuch leisten können, werden sie ihre Kinder dort nicht hinschicken: „Wir sehen deutlich mehr Akademikerkinder und weniger Transferleistungsempfänger an privaten Schulen und weniger Migrantenkinder.“ Dass Familien unter bestimmten Umständen weniger oder nichts zahlen müssen, werde aber nicht genügend offengelegt, so Helbig.
Bayern hat 2023 mit einem Erlass klargestellt, dass Familien angemessen darüber informiert werden müssen, wie sie Zugang zu einer Privatschule und eine Ermäßigung beim Elternbeitrag erhalten können. Bildungsforscher Helbig bezeichnet die Regelung als vorbildlich – er ist aber skeptisch, wie konsequent sie umgesetzt und kontrolliert wird.
Freie Waldorfschule Augsburg: kreativ und vernetzt
Die Freie Waldorfschule Augsburg wurde in den vergangenen Jahren aufwendig saniert. Niedrige Holzbänke, Sitzhocker aus rotem, blauem und gelbem Stoff, liebevoll gemalte Tafelbilder und überall Aquarelle und kleine Kinderkunstwerke: Das Zimmer der ersten Klasse ist ein heimeliger Ort. Nicht immer sitzen die Kinder auf den Bänken. Passt es in den Unterricht, laufen sie drumherum, setzen sich mit Kissen daneben und nutzen sie als Tisch, legen sich auf den Boden und gehen auf Entspannungsreise. Weil hier viel gemalt und gewerkelt wird, gibt es ein Waschbecken am hinteren Ende des Klassenzimmers, über dem Lappen, Pinsel und Malutensilien verstaut sind. Es ist ein gemütlicher Raum, der Lust aufs Lernen weckt.

Etwa 400 Kinder und Jugendliche lernen hier von der ersten bis zur zwölften Klasse, am Ende stehen reguläre Abschlüsse wie Mittlere Reife und Abitur. Der Lehrplan ist vernetzt und künstlerisch angelegt. Wie an der Franz-von-Assisi-Schule gilt auch hier: Nicht alle, die an der Waldorfschule lernen wollen, können aufgenommen werden. Denn auch hier gibt es normalerweise mehr Anmeldungen als Plätze.
Die Schule betont: Zuerst kommt die Aufnahme, dann der finanzielle Aspekt. Sind die Kinder schon früher mit Waldorfpädagogik in Berührung gekommen? Sind Geschwister an der Schule? Und welche Charaktere sind vertreten, damit die Klasse ausgewogen ist? Erst wenn feststeht, wer alles aufgenommen wird, geht es laut Geschäftsführerin Annika Mayer ums Schulgeld. Eltern können anhand einer Tabelle einsehen, wie hoch ihre Beiträge im Verhältnis zum Einkommen der Familie sein sollten. Wenn eine Familie 2000 Euro zu versteuerndes Monatseinkommen hat, kostet der Schulbesuch eines Kindes 140 Euro im Monat. Bei einer Familie mit 12.500 Euro sind es 569 Euro. Die Geschäftsführerin versichert aber: Man schaue genauer hin, wenn sich das jemand nicht leisten könne, und finde einen Weg, den Schulbesuch trotzdem zu ermöglichen.

Das Schulwerk der Diözese Augsburg ist Träger von 46 Schulen in der Region
Ein Träger, der auf den Webseiten seiner Privatschulen transparent über das Schulgeld und mögliche Ermäßigungen aufklärt, ist das Schulwerk der Diözese Augsburg, dem auch die Franz-von-Assisi-Schule angehört. An den 46 Schulen in Bayerisch-Schwaben und dem angrenzenden Oberbayern lernen rund 20.000 Schülerinnen und Schüler, das erhobene Schulgeld variiert stark nach Schulart und Region. Im Schnitt sind es 35 Euro monatlich, ein zweites Kind zahlt nur die Hälfte, ein drittes gar nichts. Auch in sozialen Härtefällen seien Ermäßigungen oder eine Befreiung möglich, sagt Schulwerksdirektor Peter Kosak: „Es wird keine Familie geben, die unsere Schulen besuchen will und die es sich finanziell nicht leisten kann und deswegen nicht kommen kann.“
Bildungsforscher Marcel Helbig lobt die Transparenz hinsichtlich der Finanzierung, die er oft bei katholischen und evangelischen Schulen vorfindet. Die große Verbreitung von christlichen Schulen in Bayern sieht er aber kritisch: „Man kann sich die Frage stellen, warum die Kirche in der säkularen Welt von heute noch so ein großer Schulträger sein sollte. Auch wenn die Kirchen im Mittelalter die ersten Bildungsträger waren, heißt das nicht, dass sie auch heute noch pädagogisch tätig sein müssen.“

Dazu sagt Schulwerksdirektor Kosak: „Ich glaube aber tatsächlich, dass wir ein anderes Profil haben.“ Als christlich-katholisch hätten die Schulen eine wichtigere Aufgabe, als nur Ergänzung zum staatlichen Schulwesen zu sein – nämlich jenseits der Wissensvermittlung die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen zu fördern. „Wir müssen das Kind so annehmen, wie es ist, und ihm alle Chancen geben, damit es sich entwickeln kann, wie es von Gott gewollt ist. Das passiert in unserem Bildungssystem noch nicht in ausreichendem Maß.“
Doch in einem Punkt sind sich Bildungsforscher Helbig und Schulwerksleiter Kosak einig: Was Lehre und Methoden angeht, haben sich private und öffentliche Schulen in den vergangenen Jahrzehnten ein Stück weit angenähert. An der Franz-von-Assisi-Grundschule wird die Pädagogik von Maria Montessori hoch geschätzt, Elemente ihrer Lehre sind aber auch an öffentlichen Grundschulen keine Seltenheit mehr. Von den Freiheiten, die Privatschulen für neue Konzepte nutzen, profitieren so auch die öffentlichen Schulen.

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