i
Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbolbild)
Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbolbild)

Nur mit wenigen Klicks aufs Handy sind heute sexuelle Darstellungen von Kindern zu haben, warnen Expertinnen und Experten. Sie sprechen deshalb davon, dass im Internet bereits eine gewisse Enthemmung eingesetzt hat.

Kriminalität
04.12.2021

Kinderporno-Spezialeinheit zieht schockierende Bilanz

Von Maria Heinrich

Plus Die neue Sondereinheit der bayerischen Justiz bekämpft Kinderpornografie und Kindesmissbrauch im Internet. Die ersten Ergebnisse ihrer Arbeit sind schockierend.

Es gibt Kriminalfälle, die so entsetzlich sind, dass es kaum zu fassen ist. Als die bayerische Justiz zum Beispiel einen Mann überführt, der über die Videoplattform Skype Anweisungen gegeben hat, wie ein Kind vor laufender Kamera vergewaltigt werden soll. Oder als Ermittler einem Straftäter auf die Schliche kommen, der über 900.000 Bilddateien hortete, die sexuellen Missbrauch an Kindern zeigten.

Weiterlesen mit dem PLUS+ Paket
Zugriff auf alle PLUS+ Inhalte. Jederzeit kündbar.
JETZT AB 0,99 € TESTEN

Diesen erschreckenden Gräueltaten und vor allem den Tätern, die dafür verantwortlich sind, auf die Spur zu kommen, ist Aufgabe des Bamberger Zentrums zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet – kurz ZKI. Diese Einrichtung mit acht Staatsanwältinnen und Staatsanwälten ist noch recht neu, sie wurde erst im Oktober 2020 unter dem Dach der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) gegründet. Nach diesem ersten Jahr hat das ZKI jüngst eine Bilanz vorgestellt – mit schockierenden Ergebnissen.

Bis zum Stichtag 23. November wurden beim ZKI insgesamt 2728 Verfahren eingeleitet. Das sind rund 140 Prozent mehr als noch im Jahr 2020, wie Justizminister Georg Eisenreich (CSU) erklärt. Zum Vergleich: 2020 lag diese Anzahl in der ZCB bei 1122, 2019 bei 947. Darüber hinaus wurden 322 Täter im vergangenen Jahr in Bayern wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Das sind 4,5 Prozent mehr als 2019.

Zahl der Kinderporno-Urteile drastisch gestiegen

Noch sehr viel deutlicher fällt das Plus im Bereich von sexuellen Gewaltdarstellungen aus: 473 Menschen wurden den Angaben zufolge 2020 wegen des Besitzes oder der Verbreitung von Kinderpornografie verurteilt. Das sind fast 27 Prozent mehr als 2019. Justizminister Eisenreich findet deutliche Worte dafür: „Hinter jeder Tat, hinter jedem Bild steht das unfassbare Leid eines Kindes.“ Und: „Jede Tat ist eine zu viel. Kindesmissbrauch ist ein abscheuliches Verbrechen.“

Doch woran liegt es, dass es immer mehr Verfahren und Verurteilungen gibt? Und dass dieser Anstieg gerade in den vergangenen Jahren so massiv war? Oberstaatsanwalt Thomas Goger von der Zentralstelle Cybercrime kennt die Ursachen dafür, dass die Zahlen seit 2019 kontinuierlich nach oben gehen. „Erstens ist es natürlich so, dass die Schaffung von speziellen Einrichtungen – so wie die unsere – dazu führt, dass mehr und besser ermittelt wird“, sagt er. „Dadurch kommen eben auch mehr Fälle ans Licht.“ Ein weiterer Grund, sagt Goger, sei, dass das Internet, Smartphones, Social Media und Cloud-Speicherdienste eine immer größere Rolle im Leben der Menschen spielen. „Es ist heute viel leichter als früher, sich Kinderpornografie zu beschaffen und zu teilen. Die Technik bietet leider viele Möglichkeiten.“

Lesen Sie dazu auch

Facebook, Whatsapp und Co. melden Kinderpornografie

Dass immer mehr Straftaten aufgedeckt werden, liege drittens auch daran, dass viele Social-Media-Anbieter – Facebook, Whatsapp, Tik Tok und Google, zählt Goger auf – entsprechende Fälle von Kinderpornografie auf ihren Seiten den zuständigen Stellen melden. Weil die meisten davon amerikanische Anbieter sind, wenden sie sich mit verdächtigen Fotos und Videos an die US-Einrichtung NCMEC, die Abkürzung steht im Deutschen für Zentrum für vermisste, ausgenutzte und missbrauchte Kinder. „Das wiederum gibt die Fälle an die zuständigen Stellen in den jeweiligen Ländern weiter“, erklärt der Oberstaatsanwalt. „In Deutschland ist das das Bundeskriminalamt, das wiederum die bayerischen Fälle ans ZKI weiterleitet.“

Bei allen Erfolgen sind sich Thomas Goger und seine Kolleginnen und Kollegen jedoch eines immer bewusst: „Wir müssen davon ausgehen, dass das Dunkelfeld von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie im Internet viel größer ist. Da haben wir das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht.“

Nicht immer stecken Pädophile hinter den Taten

Trotzdem ist es Thomas Goger ein Anliegen, eine Sache zu betonen: „Bei all diesen Fällen ist es nicht so, dass hinter jedem ein Pädophiler steht.“ Zum Beispiel, wenn sich Jugendliche Bilder hin- und hersenden, die sie für mutmaßlich witzig halten, wie es Goger beschreibt. „Manchmal verschicken Leute auch Kinderpornos, um anderen diese gezielt unterzujubeln, damit sie dafür belangt werden. Oder es gibt auch Minderjährige, die von sich selbst Nacktfotos verschicken, was eben auch unter den Tatbestand der Kinderpornografie fällt. Die Mädchen und Jungen wissen oft gar nicht, wie schnell man diese Schwelle überschreiten kann.“

i
Foto: Nicolas Armer, dpa
Foto: Nicolas Armer, dpa

Thomas Goger, Oberstaatsanwalt Thomas Goger von der Zentralstelle Cybercrime.

Neben der Zentralstelle Cybercrime gibt es in ganz Bayern bei allen 22 Staatsanwaltschaften spezialisierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Verfolgung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern. Die Frauen und Männer können besonders komplexe und schwierige Fälle an das ZKI weiterleiten. Die dortigen Experten konzentrieren sich dann zum Beispiel auf Gruppen und Foren im Darknet, die quasi zu einem illegalen Marktplatz für den Austausch von Bildern oder Videos geworden sind. „Dort tummeln sich viele Täter“, sagt Goger. „Sie sind fast immer männlich, aber kommen aus allen Altersgruppen und Berufsgruppen und aus allen gesellschaftlichen Schichten.“

In der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften mit dem ZKI gelingt es der bayerischen Justiz, Straftäter zu überführen und anzuklagen. So ist es auch bei den beiden erschreckenden Fällen aus Bayern geschehen. Das Landgericht München I verurteilte erst in diesem Jahr den Mann, der über Skype Anweisungen zum Kindesmissbrauch gab, zu sechs Jahren Haft. Im Frühjahr 2021 klagte das ZKI Administratoren der kinderpornografischen Darknet-Plattform „TweenFanIsland“ an. Einer der Täter war der Mann mit den 900.000 Kinderporno-Dateien. Das Landgericht Regensburg verurteilte zwei der Angeklagten zu Haftstrafen von vier und sechs Jahren. (mit dpa)

Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

Facebook Whatsapp Twitter Mail