Die Öffentlichkeit weiß nicht, wer die Surferin war, die im April nach ihrem tragischen Unfall auf der Münchner Eisbachwelle gestorben ist. Ihre Familie hat darum gebeten, ihre Privatsphäre zu schützen. Aber die 33-Jährige scheint sportlich gewesen zu sein. Sie surfte nicht nur regelmäßig auf der berühmten Welle im Englischen Garten. Rund um die Holztafel, die heute an sie erinnert, liegen noch andere Sportgeräte. Ein Skateboard. Ein Football. Dazu dutzende Blumensträuße und -schalen.
Die Welle tost an diesem Tag besonders wild, aber niemand surft. Sie ist auch fast drei Wochen nach dem Unfall am Ostermontag gesperrt. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt weiter, wie es zu dem Unglück kommen konnte.

Obwohl der Eisbach Ende April extra abgesenkt wurde, ist bislang nicht klar, woran sich die Sicherheitsleine der Surferin verhakt hatte, sodass sie sich nicht mehr aus den Fluten befreien konnte. Taucher und Experten hatten trotz intensiver Suche keine Hindernisse auf dem Grund der Welle entdeckt. Gleichzeitig wird untersucht, welchen Einfluss die Leine selbst, Fachbegriff Leash, auf den Unfallhergang hatte. Zu den weiteren Schritten hält die Staatsanwaltschaft sich bedeckt. Man wolle erst zum Abschluss der Ermittlungen wieder Informationen herausgeben, sagt Sprecherin Anne Leiding auf Anfrage unserer Redaktion.
Klarer äußert sich der Ingenieur Benjamin Di-Qual. Er war selbst in der Surferszene aktiv und hat sich durch den Bau künstlicher Wellen über Deutschland hinaus einen Namen gemacht. Di-Qual hält es aus technischer Sicht für naheliegend, dass die sogenannten Störsteine im Eisbach eine Rolle bei dem Unfall gespielt haben könnten. Diese Steine stützen die Wasserwalze. „Sie befinden sich direkt unterhalb der Welle und sind fester Bestandteil des alten technischen Bauwerks“, sagt der Ingenieur aus Traunstein. „Eine Sicherheitsleine kann sich insbesondere bei Zug oder Dehnung dort verhängen – was besonders unterhalb der Wasserlinie schwer erkennbar, aber technisch plausibel ist.“ Eine gesicherte Tatsache sei das nicht, „aber eine sehr wahrscheinliche Schlussfolgerung aus dem bisher bekannten Hergang“.
Experte sieht München nach dem tödlichen Unfall in der Pflicht
Seit mehr als vier Jahrzehnten surfen Sportlerinnen und Sportler - oft bejubelt von einer Traube von Zuschauern aus aller Welt - auf der Welle. Mit heutigen, gezielt konstruierten Wellen ist sie dem Fachmann zufolge nicht vergleichbar. Er sieht die Stadt München „in der Pflicht, nach dem tödlichen Unfall tätig zu werden“.
Ist eine bauliche Umgestaltung der Welle zur Verbesserung der Sicherheit denn möglich? „Eindeutig ja“, sagt Di-Qual. „Bei moderner Gestaltung lassen sich Konstruktionen entwickeln, bei denen Verletzungen oder ein Verhängen technischer Ausrüstung ausgeschlossen sind. Gleichzeitig könnte dadurch auch die Wellenqualität verbessert werden.“
Allerdings wäre mit einer Neukonstruktion auch eine rechtliche Neubewertung verbunden. Denn bisher surft jeder dort auf eigene Gefahr. Einen offiziellen Betreiber hat die Eisbachwelle nicht. „Ein solcher Umbau würde bedeuten, dass die Welle als Sportstätte gilt – und damit einen Betreiber benötigt.“ Die Stadt München müsste dem Ingenieur zufolge entweder selbst Verantwortung übernehmen oder mit einer etablierten Organisation wie der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) eine verbindliche Betriebsstruktur schaffen. „Dieser Schritt ist unausweichlich, wenn man Sicherheit und Nutzbarkeit in Einklang bringen möchte.“
Münchner Surfer wollen Eisbachwelle wiederhaben
Die Müchner Surferszene setzt sich derweil dafür ein, dass die Welle schnellstmöglich wieder freigegeben wird. 3600 Menschen fordern das in einem Offenen Brief an Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). „Wir nehmen das Unglück und die laufenden Untersuchungen sehr ernst und sprechen den Angehörigen unser tiefstes Mitgefühl aus“, schreiben sie. „Gleichzeitig halten wir eine Sperrung weder für verhältnismäßig noch für zielführend.“
Doch solange die Ursachenforschung nicht abgeschlossen ist, bleibt die Welle auf unbestimmte Zeit gesperrt. „Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Surferinnen und Surfer möglichst schnell wieder surfen möchten“, ließ sich Reiter zitieren. „Ich bitte aber auch um Verständnis dafür, dass ich, bevor die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht vollständig abgeschlossen hat, eine solche Entscheidung einfach nicht treffen kann.“
Am Freitag erklärte er seine Entscheidung in einem ausführlichen Brief an die IGSM. Nach dem tragischen Unfall müsse die Stadt bestimmen, ob - und wenn ja, welche - Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen an der Welle zu treffen seien. Aus dieser Verkehrssicherungspflicht resultiere eine zivilrechtliche Haftung der Stadt. Derzeit prüfe die Staatsanwaltschaft eine mögliche strafrechtliche Verantwortung. Bei einer Freigabe der Welle vor Abschluss dieses Verfahrens könnten sich Mitarbeiter strafbar machen, unterstrich betonte Reiter. Diesem Risiko könne er städtische Mitarbeiter nicht aussetzen.
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