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Nach Aus von „Gernstl unterwegs“: So geht es für den Filmemacher weiter

Interview

Gernstl: „Der BR will sich auf Biegen und Brechen verjüngen“

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    Franz Xaver Gernstl reiste für seine beliebte Sendung „Gernstl unterwegs“ quer durch Bayern, traf Menschen und ließ sie ihre Geschichte erzählen: ein Erfolgskonzept.
    Franz Xaver Gernstl reiste für seine beliebte Sendung „Gernstl unterwegs“ quer durch Bayern, traf Menschen und ließ sie ihre Geschichte erzählen: ein Erfolgskonzept. Foto: BR/megaherz gmbh/HP Fischer

    Herr Gernstl, Ihre Sendung „Gernstl unterwegs“ wurde vom Bayerischen Rundfunk nach 40 Jahren eingestellt. Da stellt sich die Frage: Was macht der Herr Gernstl, wenn er nicht mehr gernstelnd durch das Land fährt?
    FRANZ XAVER GERNSTL: Ich freue mich tatsächlich, dass ich ein bisschen Pause habe. Und ich habe auch keine genauen Pläne. Darum bin ich erst einmal drei Wochen nach Thailand geflogen. Außerdem habe ich das Talent, Zeit zu vertrödeln. Noch warte ich auf den Moment, an dem mir fad wird. Allerdings habe ich vor, ein Buch zu schreiben. Ich habe schon vor fünf Jahren damit angefangen, aber das Projekt geriet immer wieder ins Stocken. Jetzt hat ein renommierter Verlag angefragt. Da ich nun Zeit genug habe, will ich es zu Ende bringen. Es handelt von meinen frühen wilden Fernsehjahren, als ich als Dokumentarfilmer angefangen habe. Es ist die Geschichte darüber, wie ich mehr oder minder zufällig das geworden bin, was ich bin.

    Angeblich waren Sie ja auch ein Sinnsuchender. Haben Sie ihn denn gefunden, den Sinn hinter allem?
    GERNSTL: Das stimmt nicht. Ich zweifle daran, dass das Leben Sinn macht. Falls ich das gesagt haben sollte, dann aus Versehen. Ich habe nie den Sinn des Lebens gesucht, sondern ausgefallene, stimmige Lebenskonzepte. Frei nach Janosch, ich war auf der Suche nach Leuten, die wissen, wie man richtig lebt. Das waren Menschen, die ihre Aufgabe gefunden hatten und irgendetwas mit Leidenschaft betrieben haben. Denn das ist das Geheimnis zum Glücklichsein. Die Frage nach dem Sinn hat sich mir nie gestellt. Um es billig auszudrücken: Wir leben, um zu leben. Ich selbst will ein vernünftiges Leben führen, mit dem ich einverstanden bin. Um den Sinn im Leben zu suchen, müsste man an einen Gott glauben.

    Das heißt: Sie bezweifeln, dass es einen Gott gibt?
    GERNSTL: Ich war zwar lange Jahre Oberministrant in Rosenheim. Aber inzwischen glaube ich nicht mehr daran, dass hinter allen Dingen ein Gott sitzt, der die Strippen zieht. Meiner Meinung nach muss man das Leben so nehmen, wie es ist – eine Aneinanderreihung von Zufällen. Aber ich verurteile keinen, der gläubig ist. Damit lässt es sich gut leben.

    Vielleicht sogar ein Stückweit einfacher.
    GERNSTL: Kann sein. Mir persönlich geht allerdings nichts ab und, so meine ich: Man kann durchaus ein moralischer Mensch sein, auch wenn man an kein höheres Wesen glaubt.

    Wie sind Sie eigentlich hineingerutscht in die Film- und Fernsehbranche?
    GERNSTL: Ich habe ja erst einmal meiner Mutter zuliebe Bankkaufmann gelernt. Denn mein Vater war Unternehmer, allerdings immer erfolglos, weil er immer alles perfekt machen wollte. Das hat sich eben oft nicht gerechnet. Wir waren nicht arm, aber oft herrschte Geldnot. Darum kam meine Mutter auf Bankkaufmann, weil ich in Mathe gut war. Aber das war nicht meine Welt. Damals waren ja die Hippiezeiten, meine Spezl hatten lange Haare und Bärte und ich stand gekampelt, also gekämmt, und mit Krawatte in der Bayerischen Staatsbank, die es damals noch gab. Weil ich da aber trotzdem ganz gut war, hat man mir in Aussicht gestellt, die Filiale in Samerberg zu führen. In diesem Moment habe ich kalte Füße gekriegt. Da habe ich gekündigt und in München Sozialpädagogik studiert, weil mir nichts Besseres eingefallen ist. Ich bin dann in die Erwachsenenbildung reingerutscht und habe für den Evangelischen Filmbeobachter Kritiken geschrieben. So ging das los.

    Als Sozialpädagoge in einem Jugendheim arbeiten, das war auch nicht Ihr Traum.
    GERNSTL: Genau. Darum habe ich mich beim BR für eine dreimonatige Hospitanz beworben. Diese Zeit habe ich hauptsächlich im Schneideraum verbracht. Einmal hat mich jedoch der Redakteur auf einen Außendreh mitgenommen. Weil er sich verliebt und keine Lust zum Drehen hatte, hat er zu mir gesagt: „Mach doch du den Film fertig, ich hab' gerade keine Zeit.“ Und dann habe ich danach relativ schnell meinen ersten eigenen Film drehen dürfen, 45 Minuten für die ARD.

    Sie sind bekannt für Ihre authentischen Filme. Es hat immer so ausgesehen, als hätten Sie die Menschen, denen Sie begegnen, zum ersten Mal gesehen.
    GERNSTL: Das war auch immer so. Und das war damals neu. In den 80er-Jahren, als wir angefangen haben, war es üblich, Drehs genau zu planen und Interviews vorher abzusprechen. Entsprechend gestelzt haben die Gespräche dann auch geklungen. Wir wollten aber einfach losfahren, mit den Menschen sprechen und das Ganze filmen. Es war die Zeit, als die Videotechnik aufkam. Mit der wurde es einfacher und viel günstiger, solche Geschichten zu realisieren als mit dem teuren Filmmaterial.

    Man konnte hören, Sie haben so eine Art verdeckte Ermittler eingesetzt, um authentische Geschichten zu bekommen.
    GERNSTL: Stimmt. Wir haben oft eine Kollegin losgeschickt, die sich inkognito in der Gegend umgesehen und rumgefragt hat, wo es interessante Typen gibt. Sie hat nicht erzählt, dass der Gernstl zum Drehen kommt. Nach Möglichkeit haben wir uns nicht angemeldet, sondern haben die Leute überraschend besucht. Wir wollten vermeiden, dass unsere Protagonisten sich nervös Gedanken machen, wie sie sich am besten vor der Kamera präsentieren. Also, was wir in den Filmen sehen, das ist authentisch. Das war tatsächlich immer der erste Kontakt mit mir. Und natürlich ist das gelegentlich auch schiefgegangen. Das Geheimnis ist: Man darf nicht mit allzu genauen Vorstellungen losfahren, man muss lernen, sich auf die Situationen und auf Ungeplantes einzulassen. Ich habe auch keinen Fragenkatalog, mit dem ich in ein Gespräch gehe, dann kann man nämlich nicht mehr richtig zuhören. Die Fragen ergeben sich.

    Warum wurde „Gernstl unterwegs“ eingestellt? Die beiden letzten Reportagen an den Weihnachtsfeiertagen 2024 hatten bemerkenswerte Marktanteile von knapp 16 und 15 Prozent?
    GERNSTL: So richtig hat mir das niemand mitgeteilt. Die Redaktion hat mich mal zum Mittagessen eingeladen und davon gesprochen, dass sie sich umstrukturieren müssten. Man wolle sich mehr auf Leuchtturmprojekte oder günstige Produktionen für die Mediathek konzentrieren. Und wir wären da nicht mehr so passend. In Wahrheit steckt dahinter, dass der BR sich auf Biegen und Brechen verjüngen will. Man könnte das Ganze auch als Altersdiskriminierung bezeichnen. Tue ich aber nicht. Persönlich glaube ich übrigens, dass es nicht wirklich geschickt war, unsere Sendung abzuservieren. Aber ich will über diesen Bruch im Leben nicht jammern. „Wer weiß, wofür's gut ist“, hätte meine Mutter gesagt.

    Was würden Sie antworten, wenn ein Privatsender Interesse zeigen würde?
    GERNSTL: Wahrscheinlich würde ich mich mit meinen Kollegen besprechen und wahrscheinlich würden wir Ja sagen. Es ist aber nicht so, dass ich herumrenne und zusehe, wo ich unser Format unterbringen kann. Wenn sich etwas ergibt, ist es gut. Aber von der Präsenz in der Öffentlichkeit hängt mein Lebensglück nicht ab.

    Sie selbst sagten, Sie wollen gar nicht wissen, was Sie finden. Warum?
    GERNSTL: Um ehrlich zu sein: Wir haben nicht wirklich etwas gesucht. Als wir vor 40 Jahren losgefahren sind, wollten wir einfach nur Spaß haben. Damals war man als Fernsehteam noch angesehen auf dem Land, und den Mädels in der Dorfdisco ist schon aufgefallen, wenn da drei fesche Filmemacher daherkamen.

    Ist das heute nicht mehr so?
    GERNSTL: Wenn man früher in einer Kleinstadt gedreht hat, wurde man gleich vom Bürgermeister eingeladen, der einem seine drei Töchter vorgestellt hat. Und am Ende hat jeder von uns einen Bierkrug mit Zinndeckel zur Erinnerung mitgekriegt. Heute passiert das nicht mehr.

    Dabei kommen Sie gar nicht wie ein Paradebayer aus dem Fernsehen rüber – sie drehen ganz ohne Lederhosen und Gamsbart.
    GERNSTL: Es stimmt, ich mag diese Bayerntümelei nicht. Da kommt mir der Graus. Ich versuche sogar eher Hochdeutsch zu sprechen, was mir aber in der Regel nicht gelingt.

    Sie sagen über sich selbst, Sie seien uneitel – also eher nicht wie Thomas Gottschalk. Das ist selten im Fernsehen, oder?
    GERNSTL: Mei, der Gottschalk ist ein alter weißer Mann, wie man ihn sich vorstellt – ein rechter Besserwisser. Ich selbst habe eine eher junge Umgebung und verwehre mich nicht gegen die Veränderungen in der Gesellschaft. Er sitzt halt da und meckert. Das ist vielleicht der Unterschied.

    Sind Sie ein politischer Mensch?
    GERNSTL: Je nachdem, wie man das definiert. Das ganze Leben ist ja irgendwie politisch. Parteipolitisch bin ich aktuell schwer am Grübeln. Ich bin kein Merz-Fan und auch kein CSUler. Aber ich habe auch keinen eindeutigen Favoriten. Und ich posaune meine politische Meinung auch nicht öffentlich herum. Ich habe mir vorgenommen, in die nächste Bezirksausschusssitzung zu gehen und mitzureden. Weil hier in Altschwabing verkommt gerade alles ein bisserl. Fünf Burger- oder Bubble-Tea-Läden und die zehnte Pizzeria – das war schon mal gemischter. Früher war Schwabing das kulturelle Zentrum der Stadt.

    Welche Träume hatten Sie als junger Mann und welche haben Sie heute?
    GERNSTL: Ich bin nicht so von Konsumsucht geplagt. Darum habe ich gar keine großen Träume gehabt. Ich habe mir mal überlegt, ob ich vielleicht deshalb nie Träume hatte, weil ich Angst vor Enttäuschungen habe. Und jetzt laufe ich auch keinem Traum mehr hinterher, sonst hätte ich ihn mir wahrscheinlich schon verwirklicht. Und eine charmante Freundin kann man sich normalerweise nicht herbeizaubern. Aber die habe ich zufällig getroffen, was durchaus ein Glück ist.

    Könnten Sie sich – frei nach Polt – vorstellen, einen Bootsverleih am Schliersee zu eröffnen oder zumindest eine Strandbar auf Elba, von der Sie früher mal sprachen?
    GERNSTL: Ja, das war tatsächlich mal eine Idee, mit meinen beiden Kumpanen. Eine schlecht gehende Strandbar auf Elba, damit wir nicht so viel Arbeit haben und trotzdem immer hübsche Damen zu Besuch. Ich kannte da schon die richtige Bar in der Biodola-Bucht. Aber ich bin auch in München sehr zufrieden.

    Über das Aus von „Gernstl unterwegs“ sagt der Filmemacher: „Ich freue mich, dass ich ein bisschen Pause habe.“
    Über das Aus von „Gernstl unterwegs“ sagt der Filmemacher: „Ich freue mich, dass ich ein bisschen Pause habe.“ Foto: BR/megaherz GmbH

    Zur Person

    Franz Xaver Gernstl, 74, wurde in Jenbach im oberbayerischen Landkreis Rosenheim geboren. Er ist ein mehrfach ausgezeichneter Dokumentarfilmer und Produzent. „Gernstl unterwegs“ drehte er seit 1983 mit dem Kameramann Hans Peter Fischer und dem Tonmann Stefan Ravasz. Gernstl ist zudem Mitgründer der megaherz GmbH, die eine ganze Reihe bekannter TV-Formate produziert hat, darunter die Kinderwissenssendungen „Willi wills wissen“ oder „Checker Tobi“. Sie hat nach eigenen Angaben inzwischen 50 feste Mitarbeitende, Geschäftsführer ist sein Sohn Oliver.

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    2 Kommentare
    Klara Rasper

    Schade, ich habe seine Sendungen immer gern gesehen. Was der BR macht, ist nicht immer publikumsnah. Scheint mir auch diesmal so.

    Brigitte Gossner

    Vielleicht hat sich das Format auch einfach etwas abgenutzt. Es war sicherlich nicht schlecht, aber irgendwann kommt alles zu einem Ende. Herrn Gernstl alles Gute!

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