Psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen sind bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 19 Jahren die häufigste Ursache für eine stationäre Krankenhausbehandlung. Das meldet das Statistische Bundesamt. Eine wichtige Rolle spielen demnach Depressionen. Im Jahr 2023 waren rund 33.300 der Zehn- bis 19-Jährigen wegen einer Depression stationär in Behandlung, heißt es.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bayern bestätigt diese Entwicklung: „Wir haben auch in Bayern immer mehr Kinder und Jugendliche, die psychisch so krank sind, dass sie stationär behandelt werden müssen“, sagt Kinderärztin Dr. Dilek Önaldi-Gildein. „Es ist eine erschreckende Entwicklung.“
Immer mehr Kinder haben starke Depressionen oder Essstörungen
Die Pressesprecherin des BVKJ Bayern, die selbst in München praktiziert, hat immer mehr Patientinnen und Patienten, die an starken Depressionen leiden, an Essstörungen oder ein selbstverletzendes Verhalten zeigen, indem sie sich beispielsweise ritzen. Erschwerend hinzu komme: „Die Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bayern haben gar nicht genügend Kapazitäten, um diese Zunahme zu bewältigen. Die Häuser sind seit Langem überfüllt. Wir erleben es immer wieder, dass eine Klinik nach der anderen abtelefoniert werden muss, um ein krankes Kind überhaupt unterzubringen. Das ist oft eine Odyssee“, sagt Önaldi-Gildein.
Auch mit dem Leistungsdruck in der Schule kommen viele Kinder und Jugendliche nicht zurecht.
Dr. Dilek Önaldi-Gildein, Pressesprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Bayern
Die Ursachen für die Zunahme sind nach Einschätzung von Önaldi-Gildein vielfältig. Zum einen ist die Pubertät eine herausfordernde Lebensphase mit hormonellen Umstellungen, aber auch starken Stimmungsschwankungen. Zum anderen spielten soziale Medien eine große Rolle, die den psychischen Druck erhöhen, weil sie den Heranwachsenden ideale Welten vorgaukeln, denen diese nacheifern. „Auch mit dem Leistungsdruck in der Schule kommen viele Kinder und Jugendliche nicht zurecht. Wir haben in Bayern mit den Exen ein System geschaffen, in dem jederzeit plötzlich und unangekündigt ein Leistungsnachweis erbracht werden muss. Das stresst viele extrem und führt zu einem negativen Leistungsdruck.“

Dr. Tomasz Antoni Jarczok ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Augsburger KJF Klinik Josefinum. Auch er sagt: „Ja, momentan sehen wir eine Zunahme in unserem Haus.“ Allerdings schwanke die Entwicklung, auch saisonal. Aktuell würden die Wartelisten länger werden. Der Kinder- und Jugendpsychiater betont aber: „Bei uns an der Klinik wird kein Notfall abgewiesen – wir stellen sicher, dass jedes Kind und jeder Jugendliche in einer Krisensituation bei uns die notwendige Unterstützung erhält, selbst wenn unsere Kapazitäten ausgelastet sind.“

Was Jarczok seit Langem fordert: „Es braucht ein flexibleres Versorgungssystem, das sich stärker am individuellen Bedarf der jungen Patientinnen und Patienten orientiert.“ Das ökonomische System sei viel zu starr und lasse beispielsweise nur schwer einen Wechsel von einer stationären in eine teilstationäre oder ambulante Behandlung zu – zumal vor allem auch im ambulanten Bereich Kinderpsychiater sowie Kinderpsychologen und Kinderpsychotherapeutinnen fehlten. Es werde viel zu wenig dafür getan, dass mehr Studierende sich beispielsweise für den Beruf des Kinderpsychiaters entscheiden. „Gerade die Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen wird zu oft vernachlässigt – auch etwa bei der Krankenhausreform. Dabei ist diese Versorgung auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn erkrankte Kinder und Jugendliche drohen ein Leben lang zu leiden, wenn sie nicht rechtzeitig gut versorgt werden. Sie sind doch die Zukunft unserer Gesellschaft.“
Gerade die Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen wird zu oft vernachlässigt - auch etwa bei der Krankenhausreform.
Dr. Tomasz Antoni Jarczok, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in der KJF Klinik Josefinum in Augsburg
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) sagt auf Anfrage unserer Redaktion: „Ein zentrales Ziel der Staatsregierung ist, dass Menschen mit psychischem Hilfebedarf in Bayern ein vielfältiges und ausdifferenziertes Unterstützungsangebot zur Verfügung steht.“ Deshalb habe man sich in den vergangenen Jahren „entschieden für einen Ausbau von entsprechenden Strukturen auf hohem Niveau eingesetzt – und wir werden hierbei auch künftig nicht nachlassen“. So habe man sowohl die vollstationären als auch die teilstationären Kapazitäten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) in den letzten zehn Jahren um 33 Prozent beziehungsweise 22 Prozent auf nunmehr 851 Betten und 543 Plätze ausgebaut. Weitere 107 Betten und 42 Plätze seien bereits zusätzlich genehmigt, aber noch nicht in Betrieb.
Klar sei aber: „Es braucht Verbesserungen bei den Wartezeiten auf Behandlungs- und Therapieplätze bei Psychotherapeuten. Deshalb haben wir uns bereits mehrfach an die zuständige Bundesebene gewandt, um eine Änderung der Bedarfsplanungs-Kriterien zu erreichen. Durch eine Ausgliederung dieser Ärztegruppe könnte zielgenauer auf die Bedarfe der jeweiligen Altersgruppen eingegangen werden, letztlich würden so auch Wartezeiten reduziert.“ Das bayerische Gesundheitsministerium beobachte, bewerte und überprüfe die Entwicklungen im Kontext der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen „sehr genau und befindet sich im konsequenten Austausch mit den Akteuren und Leistungserbringern der kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung in Bayern“.
Man muss die Ursachen der steigenden psychischen Erkrankungen analysieren und gegensteuern, damit Deutschland nicht zu einem Bezirkskrankenhaus mutiert.
Lieber Herr Kraus, genau das Gleiche wollte ich auch gerade schreiben. Ständig die Bettenzahl erhöhen und mehr Ärzte ranschleppen ist sicher nicht die Lösung. Meine Schwester arbeitet bei der Lebenshilfe und die haben ebenfalls diese Problematik mit Kindern und Jugendlichen und sind natürlich personell dem auch nicht gewachsen. Es brauchen immer mehr junge Leute Betreuer vom Gericht, weil sie ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. Ist schon alles ziemlich irre, diese ständige Angstmache in den Medien tut ihr übriges dazu.
Vielleicht sollte man mal die Eltern einbinden, dass die sich um ihre Kinder und z.B. auch um den übertriebenen Medienkonsum kümmern? Extemporalen hat es hier in Bayern auch in meiner Jugendzeit gegeben. Ich kann mich nicht erinnern, dass deswegen einer in Panik ausgebrochen ist und die Schüler in die Klapse mussten. Aber heute darf es ja gar keinen Druck und keine Anforderungen mehr geben.
Wir haben in Bayern mit den Exen ein System geschaffen, in dem jederzeit plötzlich und unangekündigt ein Leistungsnachweis erbracht werden muss. Das stresst viele extrem und führt zu einem negativen Leistungsdruck.“ Das "System " mit den Exen ist nicht neu, dieser Satz ist lächerlich. Ich habe vor 50 Jahren die Schule verlassen und es gab in jedem Schuljahr unangekündigte Exen in fast allen Fächern. Aber keiner von uns hat das Abitur depressiv gemacht und die Schule mit einer psychischen Erkrankung verlassen. Also bitte was ist los mit den Kindern und Jugendlichen? Eine psychische Erkrankung fällt nicht vom Himmel, also sollte man die Eltern ersthaft fragen, was in den Familien schiefläuft. Denn da fängt das Drama an. Keine Zeit, keine Lust, sich mit dem Nachwuchs zu beschäftigen? Man setzt heute überwiegend auf Fremdbetreuung, klar hat man da nicht mehr im Auge, wenn etwas mit dem Kind nicht stimmt.
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