Als vor fünf Monaten mutmaßliche Folter und Misshandlungen in der JVA Augsburg-Gablingen durch Recherchen unserer Redaktion ans Licht kamen, war das Ausmaß des Skandals nicht gleich klar. Inzwischen ermittelt eine fünfköpfige Sondertruppe der Staatsanwaltschaft Augsburg zusammen mit der Kripo gegen insgesamt 17 Bedienstete des Gefängnisses, darunter die frühere Spitze. Es geht um Körperverletzung im Amt und versuchte Strafvereitelung. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, seit Monaten werden Beschuldigte vernommen. Weitere Zeugenvernehmungen mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Polizei und in einem Strafprozess vor Gericht stehen an. Der Fall ist kompliziert, da hinter Gittern oft ganz eigene Regeln und Abhängigkeiten herrschen. Da lässt eine interne Nachricht aus der JVA Gablingen aufhorchen: Die Gewerkschaft Justizvollzug Bayern (JVB) plant eine „Zeugenschulung“ von Bediensteten im Gefängnis. Der bekannte Münchner Strafverteidiger Adam Ahmed poltert gegen dieses Vorgehen.
Dozentin der Zeugenschulung soll eine andere Gefängnischefin sein
Am Sonntagabend, 26. Januar, versandte der Personalratsvorsitzende der JVA Gablingen eine E-Mail an alle Kolleginnen und Kollegen der JVA Gablingen, in der er für eine Veranstaltung der Gewerkschaft im Gefängnis wirbt. Die Mail liegt unserer Redaktion vor. Der JVB-Landesvorsitzende werde „die Geschehnisse, die sich hier in unserer JVA zugetragen haben“, aus Sicht der Gewerkschaft darstellen. Anschließend gebe es eine Fragerunde. Die Versammlung im Mehrzweckraum des Gefängnisses hat inzwischen stattgefunden. Spannender aber ist eine Ankündigung in derselben E-Mail: „Der JVB wird in Kürze bei uns in der JVA eine Fortbildung zum Thema „Zeugenaussagen“ anbieten“, heißt es da. Als Dozentin habe man die Leiterin der JVA Kempten, Anja Ellinger, gewinnen können. Der JVB bestätigt auf Anfrage, dass eine solche Fortbildung für Zeugenaussagen in Gablingen geplant ist. Ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest.
Anwalt Adam Ahmed: Das Gericht ist kein Theater, in dem ein Drehbuch gelesen wird
Eine ausführliche Schulung für potenzielle Zeugen in einem heiklen Strafverfahren: Ist das die normale Fürsorge einer Gewerkschaft für seine Mitglieder oder möglicherweise eine fragwürdige Zeugenbeeinflussung, die sogar strafbar wäre? Der Münchner Rechtsanwalt Adam Ahmed, der einen der beschuldigten Bediensteten vertritt, hat dazu eine klare Meinung: „Das Gericht ist kein Theater, in dem ein Drehbuch gelesen wird, sondern ein Ort, an dem die Wahrheit, so schmerzlich sie auch sein mag, ans Licht kommen sollte“, sagt er unserer Redaktion. In einem Strafverfahren sei die Zeugenaussage von zentraler Bedeutung für die Wahrheitsfindung. Die Schulung oder Vorbereitung von Zeugen zu deren Schutz hält Ahmed für „vorgeschoben“: Eine so verstandene, zu intensive Vorbereitung werfe zahlreiche Fragen auf: Werden Zeugen möglicherweise in eine bestimmte Richtung gelenkt? Besteht die Gefahr, dass die Authentizität ihrer Aussagen untergraben wird?
Der Landesverband der Bayerischen Justizvollzugsbediensteten verteidigt die geplante Fortbildung jedoch. Die Gewerkschaft vertrete und fördere die berufspolitischen, rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange ihrer Mitglieder. Zu den Dienstleistungen zählten auch Rechtsschutz in dienstlichen Angelegenheiten und Fortbildungen aller Art. Der JVB weist ausdrücklich darauf hin, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst auch bei einer Zeugenaussage besonderen Pflichten unterliegen. So müssten sie in dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit bewahren und dürften ohne Genehmigung des Dienstherren weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen. Über diese Pflichten und vieles mehr informiere man ständig - auch anlasslos.

Gewerkschaft verteidigt Fortbildung: Wir wollen Kollegen helfen und Rechtssicherheit vermitteln
Den 17 Beschuldigten stünden in der JVA Gablingen mehr als 200 weitere Bedienstete gegenüber, die angesichts der Vielzahl von Vernehmungen und der täglichen Herausforderungen mit schwierigem, zum Teil psychisch auffälligem Klientel „verständlicherweise verunsichert sind“. Diesen Kollegen wolle man Fragen so weit wie möglich beantworten und Rechtssicherheit vermitteln.
Die neue Leitung der JVA Gablingen und die für die Zeugenschulung vorgesehene Kemptener JVA-Leiterin Anja Ellinger wollten sich zu der Veranstaltung des JVB nicht äußern. Die Staatsanwaltschaft Augsburg sieht keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine mögliche Zeugenbeeinflussung und spricht von einer „offiziellen Fortbildungsveranstaltung eines Berufsverbandes“.
Justizminister Eisenreich warnte offenbar vor möglicher Zeugenbeeinflussung
Und wie sieht das bayerische Justizministerium die Angelegenheit? Die offizielle Antwort lautet, dass die Gewerkschaft JVB unabhängig vom Ministerium sei und allgemeine rechtliche Informationen einer Gewerkschaft zu Rechten und Pflichten von Zeugen für die Mitglieder keine Zeugenbeeinflussung darstellten. Unserer Redaktion liegt jedoch der Bericht eines Bediensteten über eine Personalversammlung in der JVA Gablingen am 10. Januar vor. Da soll ein höherrangiger Vollzugsbeamter Justizminister Georg Eisenreich (CSU) gefragt haben, ob er eine Taskforce ins Leben rufen dürfe, um Kollegen für Zeugenaussagen zu schulen. Eisenreich habe davor wegen der Gefahr einer möglichen Zeugenbeeinflussung gewarnt. Das Ministerium bestätigt Eisenreichs Anwesenheit bei der Personalversammlung, Auskünfte über diese interne Veranstaltung könne man nicht geben.
Pikant das diese "Fortbildung" stattfindet wenn buchstäblich die Hütte brennt...
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