Debakel um zweite Stammstrecke: München droht der Verkehrsinfarkt
Der Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München verzögert sich um bis zu neun Jahre und die Baukosten explodieren. Die Folgen des Debakels sind unklar – und gleichzeitig offensichtlich.
Als die Münchner S-Bahn 1972 zu den Olympischen Spielen in Betrieb ging, war sie für 250.000 Fahrgäste pro Werktag gedacht. Inzwischen leben fast sechs Millionen Menschen im Großraum München. Und die S-Bahn befördert heute schon weit mehr als 800.000 Fahrgäste jeden Tag in die Stadt und wieder nach Hause. Gerade zu den Berufsverkehrszeiten arbeitet das System seit Jahren am Limit und darüber hinaus.
Das alles muss man wissen, um die folgende Hiobsbotschaft einordnen zu können: Die Fertigstellung der zur dringend nötigen Entlastung geplanten zweiten Stammstrecke soll sich massiv verzögern, die Kosten sollen explodieren. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) sprach am Donnerstag bei einem Krisentreffen in München davon, sie könnte statt der bisher genannten 3,8 Milliarden Euro (die waren sogar schon inklusive eines Risikopuffers) bis zu 7,2 Milliarden Euro kosten.
Und die ersten Züge könnten statt wie angestrebt 2028 erst im Jahr 2037 durch den Tunnel unter der Landeshauptstadt rollen. Der Landeshauptstadt droht eine unkalkulierbare Dauerbaustelle und dem städtischen Verkehr der Infarkt, weil parallel die Autos immer weiter aus der Stadt gedrängt werden sollen.
Zweite Stammstrecke in München verzögert sich: Sorge im Rathaus
Im Münchner Rathaus ist man tief besorgt über die Neuigkeiten. „Sollten sich diese Ankündigungen tatsächlich bewahrheiten, wäre dies für die Münchnerinnen und Münchner und die Menschen in der Region eine inakzeptable Entwicklung. Ich hoffe sehr, dass die zuständigen Projektträger Bund, Freistaat und Deutsche Bahn alles daran setzen, dass das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands kein zweiter Berliner Flughafen wird“, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Er wünsche sich daher baldmöglichst ein Signal aus dem Bundesverkehrsministerium, dass der öffentliche Personennahverkehr bei der Bundesregierung die Bedeutung bekommt, die ihm ausweislich unzähliger Reden zur Verkehrswende zukommen muss.
Bernreiter, der wie Reiter nicht nachvollziehen kann, warum Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ohne Begründung seine Teilnahme beim lange geplanten Krisentreffen am Donnerstag in München kurzfristig absagte, kritisierte den FDP-Politiker: Um den Gesprächstermin mit dem Bundesverkehrsminister habe Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schon im März gebeten. Es sei „unglaublich“, dass man als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes dreieinhalb Monate auf einen Termin warten müsse.
Bayerns Verkehrsminister Bernreiter: "Wissing kneift"
Bernreiter ist richtiggehend sauer: „Ich halte fest: Herr Wissing kneift.“ Das sei sehr schlechter Stil. Aber Probleme ließen sich nicht aussitzen. Es sei höchste Eisenbahn, „dass wir gemeinsam an einen Tisch finden und die Fakten und die Sachlage klären“. Reiter und Bernreiter fordern von allen Beteiligten Vertragstreue ein. Bayern bekenne sich zu der Verantwortung. Daher verlangen Staatsregierung und München vom Bund ein „klares Bekenntnis zur Durchführung dieser so wichtigen Maßnahme.
Auch Bayerns Justizminister Georg Eisenreich ist empört: „München und der gesamte Großraum München braucht die zweite Stammstrecke. Das ist kein ,nice to have‘, das ist ein Muss, ansonsten sind die Pendlerströme nicht mehr zu bewältigen.“
Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) pocht indes darauf zu analysieren, wie es zu solch immensen Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen kommen konnte. „Umplanungen gab es ja immer wieder. Aber warum ist es diesmal so massiv?“, fragt sie und schiebt noch zwei wichtige offene Punkte hinterher: „Wird die Stammstrecke überhaupt weitergebaut? Wer übernimmt die zusätzlichen Kosten?“ Schließlich lägen mehrere Milliarden Euro zwischen der letzten offiziellen Aussage der Deutschen Bahn und den aktuellen Schätzungen.
Deutsche Bahn muss sich noch zur Verzögerung der zweiten Stammstrecke in München äußern
Zu dem Krisentreffen war geladen worden, weil die Staatsregierung die Zahlen aus der Projektbegleitung mit denen der Bahn abgleichen wollte. Diese habe sie bisher nicht offengelegt, so Bernreiter. „Wir haben die Deutsche Bahn fortlaufend mit unseren Zahlen konfrontiert“, sagte er weiter. Wie es nun mit der zweiten Stammstrecke genau weitergeht, steht noch nicht fest. Denn erst muss sich die Bahn dazu äußern.
Das riesige Infrastrukturprojekt erstreckt sich zwischen den Bahnhöfen Laim im Westen und Leuchtenbergring im Osten der Stadt. Es reicht über eine Länge von insgesamt elf Kilometern, wovon rund sieben Kilometer in einem bis zu 48 Meter unter dem Gelände liegenden Tunnel verlaufen sollen. Die unterirdischen Stationen Hauptbahnhof, Marienhof und Ostbahnhof sollen dabei neu, die oberirdischen Stationen Laim und Leuchtenbergring lediglich umgebaut werden.
Hinterm Münchner Rathaus und im Stadtteil Laim haben die Arbeiten längst begonnen. Am anderen Ende des geplanten Tunnels am Ostbahnhof hingegen verfügt die Bahn noch nicht einmal über gültiges Baurecht, das Planfeststellungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Welche Auswirkungen die Verzögerung und die Mehrkosten auf weitere Infrastrukturprojekte – etwa auf den Münchner Hauptbahnhof – haben, ist offenbar noch völlig unklar.
Die Diskussion ist geschlossen.
Ich "befürchte" für die CSU, dass es sich hier um ein parteiinternes Desaster handelt. Die CSU-geführte Staatsregierung hat sich wohl bei Vertragsabschluss dazu verpflichtet die Kosten zu übernehmen. Das Bundesverkehrsministerium hat die Bahn (und ich behaupte, dass man dafür keine wissenschaftliche Studie braucht) über viele Jahre sträflich vernachlässigt. Die letzten Bundesverkehrsminister kamen alle von der CSU und kümmerten sich in erster Linie um die Ausländermaut und um Umgehungsstraßen in Bayern (die Versäumnisse passen nicht in eine Kommentarspalte). Dass man die Katastrophe jetzt offen legt, als einer von der FDP Verkehrsminister geworden ist, macht einem auch misstrauisch. Aber mehr vorwerfen kann man diesem nicht, als dass er keine Lust hat auf einen Termin bei dem ihm das Problem umgehängt wird. Gut, unsympathisch ist er schon. Wie gesagt, dass ist eine parteiinterne Angelegenheit (ok, ok, zu Lasten aller BürgerInnen) und ich empfehle für den nächsten CSU-Parteitag eine offene und kritische Debatte. Kann nicht schaden. Trotz vieler Affären und Fehleinschätzungen in den vergangenen Jahren sind die Umfragewerte der CSU immer noch hervorragend. Man vertraut der CSU fast ebenso unerschütterlich wie damals Angela Merkel. Erstaunlich, aber so ist es.
Wer Inflationspolitik macht, bekommt auch Inflation.
Die naive Freude über höhere Steuereinnahmen endet rasch beim nächsten staatlichen Infrastrukturprojekt...
Jetzt merken es die Medien auch so langsam, dass dieser Staat stinkt nachdem Jahre lang immer alles schön geredet wurde. Vielleicht hören wir bald von Ihnen, dass die AFD nicht überall falsch liegt?
Was hat die AfD mit dem Thema zu tun? Richtig - nix! Der Staat sind übrigens wir alle - und wir stinken? Ja, es werden und wurden Fehler gemacht, man muss gar nicht bis München schauen. Auch der Augsburger Hauptbahnhof sollte schon in 2013 fertig umgebaut sein, auch da hat die Bahn geschlafen beim Planfeststellungsverfahren für den Bahnsteig F. Offenbar wiederholt sich nun die Geschichte beim Münchner Ostbahnhof, ergo sollte man den Verantwortlichen mal Dampf machen.