
Überraschender Fund im Harburger Rathaus

Plus Im Rathaus in Harburg taucht eine Urkunde von 1945 auf. Sie erinnert an einen Ehrenbürgermeister.
Ein ungewöhnliches Stück Zeitgeschichte ist bei Aufräumarbeiten im Rathaus in Harburg aufgetaucht. Die Urkunde aus dem Jahr 1945 bezeugt, dass der dortige Stadtrat nur wenige Monate nach dem Ende der Nazi-Herrschaft den Harburger Friedrich Pfister zum „Ehrenbürgermeister“ ernannte – obwohl dieser auch eine Zeit lang in der NS-Zeit regiert hatte.
Die Verleihung erfolge „in Anerkennung seiner großen Verdienste“, ist auf dem Schriftstück zu lesen. Pfister habe sich seit 1901 als Mitglied des Gemeinderats und von 1927 bis 1935 als Bürgermeister „seine ganze Kraft in vorbildlicher treuer deutscher Gesinnung für das Wohl der Stadt eingesetzt“. Die Urkunde befindet sich samt Rahmen in der Originalverpackung aus Cellophan mit Blumendekor.
Ein Unrecht soll wieder gut gemacht werden
Der einstimmige Beschluss für diese heute nur noch wenig bekannte Ehrung erfolgte zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt: am 2. Oktober 1945 in der allerersten Sitzung des Harburger Stadtrats nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bei der pathetischen Formulierung („in vorbildlicher treuer deutscher Gesinnung“) schwingt erkennbar noch der Nationalismus der vergangenen Jahrzehnte mit. Das Protokollbuch des Stadtrats dagegen hielt den Beschluss und seine Begründung in unmissverständlichen Worten fest: „Herr Friedrich Pfister senior hier war von 1927 bis 1935 Bürgermeister der Stadt Harburg und gehörte vorher mehr als 25 Jahre der Stadtverwaltung an. Während dieser langen Amtszeit hat Herr Pfister seine ganze Kraft in vorbildlicher Weise für das Wohl der Stadt eingesetzt. Am 1. Juli 1935 wurde er von den Nationalsozialisten vom Bürgermeisterposten entfernt. Kein Wort des Dankes und der Anerkennung wurde ihm von der damaligen Stadtverwaltung zu teil. Dieses Unrecht soll heute wieder gut gemacht werden. Die Stadtverwaltung beschließt hiermit einstimmig, Herrn Friedrich Pfister in dankbarer Anerkennung seiner großen Verdienste um die hiesige Gemeinde zum Ehrenbürgermeister zu ernennen.“
Pfister war Besitzer der Harburger Sonnenbrauerei. Er wurde am 8. August 1869 in Harburg geboren und starb dort am 27. Juni 1950. Die späte Ehrung hatte er zweifellos verdient: 1906 wurde er Beigeordneter des Bürgermeisters, 1911 Magistratsrat, 1919 Mitglied des Stadtrats als Vertreter des Bauern- und Mittelstandsbunds. Nach dem Tod des Bürgermeisters Karl Lindenmeier im Jahr 1927 wählten ihn die Bürger zum Nachfolger. Er trug also Verantwortung für die Geschicke der Stadt in den schweren Jahren des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik. In seiner Amtszeit wurde 1929 die Städtische Sparkasse errichtet und 1930/31 die zentrale städtische Wasserversorgung gebaut, um alle Haushalte mit fließendem Wasser zu versorgen. Schon 1914 engagierte er sich im „Verein zur Errichtung einer Kleinkinderschule“ für die Einrichtung eines Kindergartens.

Nach der sogenannten „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus 1933 sicherte die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 der NSDAP entscheidenden Einfluss im Bereich der Kommunalverwaltung. In Harburg wurde Bürgermeister Pfister von den Nazis am 1. Juli 1935 zum Rücktritt gezwungen. Es half ihm nicht, dass er zwei Monate vorher, am 1. Mai 1935, noch in die Partei eingetreten war, wohl nur, um sein Amt zu retten. Zum Nachfolger wurde der Ortsgruppenleiter der NSDAP Otto Müller ernannt.
Bei der Verleihung der Ehrenbürgermeister-Würde im Oktober 1945 handelte es sich also um einen frühen Versuch der „Wiedergutmachung“ nationalsozialistischen Unrechts. Nicht bekannt ist, weshalb sich die Urkunde im Rathaus von Harburg befindet; wahrscheinlich wurde sie nach Pfisters Tod zurückgebracht.
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