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Heute im Fundus des Jüdischen Museums Berlin: Das Gemälde zeigt den historischen Innenraum der Harburger Synagoge.

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Altbekanntes Motiv für Erich Martin Müller war die Ansicht auf die Harburg. Wenn die Bürger den Maler an seiner Staffelei trafen (rechts), wunderten sie sich über die immer wieder gewählte Perspektive: „Was der nur awel dia Burg molt; isch dia denn soo schee?“ Im Nachhinein bewunderten sie die Bilder.

Malerei
13.02.2012

Mit Spitzweg und Zille auf der Harburg

Erich Martin Müller war einer der großen Landschaftsmaler. Der Berliner hatte beste Verbindungen zur Region

Donauwörth Erich Martin Müller, so sagt man, hatte einen köstlichen Humor. Zille’s Anekdoten mochte er besonders gern. Beim Weggehen soll Zille einmal seiner Frau gesagt haben: „Und wenn de Kinder frech sind, so hau se mit’m Pinsel; aber nich’ mit’m Schweinfurter Grün, det is det teuerste.“ Auch Müller war ein Talent. Besonders das Malen lag ihm – und hierbei lag dem Berliner besonders die Region rund um Harburg am Herzen. All das hatte seinen Grund.

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Im Drei-Kaiser-Jahr 1888 wurde Erich Martin Müller im Südosten Berlins, dem heutigen Bezirk Kreuzberg, als Sohn eines Kürschners geboren. Berlin war auf dem Weg zur Weltstadt, voll überschäumender Aktivität, aber auch voll Armut und Elend. Vom Leben der kleinen Leute hat damals Heinrich Zille in Zeichnungen und Fotografien berichtet. In dieses Milieu wurde Erich Martin Müller hineingeboren und es hat sein Leben nachhaltig geprägt.

1907 bis 1915 studierte Erich Martin Müller mit gutem Erfolg an der Berliner Kunstakademie. Vorbild war ihm hier insbesondere der Landschaftsmaler Professor Friedrich Kallmorgen. Die letzte Malklassenreise Kallmorgens vor dem Ersten Weltkrieg führte im Mai 1914 über Rothenburg, Dinkelsbühl und Nördlingen ins romantisch verträumte Harburg, damals ein Eldorado für Landschaftsmaler. Er lernte dort die junge Harburger Lehrerin Maria Schobloch kennen, die er dann später auch heiraten sollte.

Ein bemerkenswerter Aufenthalt in Harburg

Der Aufenthalt in Harburg war für Müller in heute noch wahrnehmbarer Weise besonders bemerkenswert. Er traf dort den Kunstmaler Wilhelm Thiele, der ein paar Jahre älter als Müller war und sich in Potsdam nach Vollendung seines Studiums an der Berliner Kunstakademie bereits einen Namen als Illustrator gemacht hatte. Thiele und Müller stellten ihre beiden Staffeleien in die 1754 errichtete Harburger Synagoge und malten den damals noch unversehrt vorhanden historischen Innenraum, der eine von links, der andere von rechts. Beide Gemälde gehören heute zum Fundus des Jüdischen Museums in Berlin.

In den 20er-Jahren etablierte sich Müller als Kunstmaler im gutbürgerlichen Milieu des Bezirks Tiergarten in Berlin. Müller hatte Telefonanschluss, besaß ein bulliges Motorrad und ging zum Boxtraining. Als ambitionierter Künstler beteiligte er sich erfolgreich an der Großen Berliner Kunstausstellung. Auch zu den Ausstellungen im legendären Münchner Glaspalast schickte er Gemälde. Der Kreis Münchner Malerfreunde gewann für ihn zunehmend an Bedeutung. Schließlich hatte auch Harburg einen ganz besonderen Reiz für Müller, nicht nur wegen seiner Beziehung zur Lehrerin Marie Schobloch. Er liebte den altmodisch-romantischen Charakter dieses Städtchens, den auch schon der Maler Carl Spitzweg um 1850 mit Skizzen von der „roten Stallung“ auf der Burg festgehalten hatte (als er aus München vor der Cholera floh). In Harburg verbrachte Müller einen Großteil der Sommermonate und wohnte bei seiner Frau in der winzigen Lehrerwohnung im alten Schulhaus.

Als der Albtraum des Zweiten Weltkriegs bittere Realität wurde, fand Erich Martin Müller alles zerstört, was ihm seit seiner Kindheit Berlin lebenswert gemacht hatte. Und so verlegte er 1943 seinen ständigen Wohnsitz nach Harburg. Hier wurde der Maler bald zur vertrauten Institution, wie er mit seiner Staffelei im „Gras“ oder am Kirchberg stand und immer wieder die altbekannten Motive malte.

Müller war bescheiden, fast geizig. Er trug die abgelegten Kleider anderer Leute, die ihm der Schneider Schittenhelm umgearbeitet hatte. Andererseits war er als akademischer Maler auch bei den Harburger Honoratioren geschätzt, mit denen er freitags im heute längst verlassen dastehenden Gasthaus Sonne am Stammtisch beim Karteln saß.

Ein bescheidener Künstler

Ansonsten schüttelten die Harburger oftmals den Kopf, wenn sie den Maler an der Staffelei sahen: „Was der nur awel dia Burg molt; isch dia denn soo schee ?“ Die fertigen Bilder aber wurden nachher durchaus bewundert.

Zu anderen Malerkollegen bestanden langjährige freundschaftliche Beziehungen, so auch zum Augsburger Lehrer, Aquarellmaler und Hobbyfotografen Josef Eschenlohr, der als renitenter Antifaschist vom Schuldienst entbunden worden war und die späten 30er und 40er Jahre hauptsächlich bei seinen Schwiegereltern in Harburg verbrachte.

1957 mussten die Müllers ihre Wohnung in der Mündlinger Straße räumen. Nachdem keine andere Bleibe für sie in Harburg gefunden werden konnte, zogen sie endlich verbittert nach Rothenburg ob der Tauber. Nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1964 wurde es ruhiger um Erich Martin Müller, aber er fuhr immer noch mit seinem VW-Käfer in die nähere Umgebung zum Malen, allerdings nicht mehr nach Harburg, das seiner Meinung nach wohl nach und nach seinen historischen Charakter dem Zeitgeist geopfert hatte und Müller dadurch nicht mehr malenswert erschien. Einmal jährlich zog es ihn auch noch zur Kunstausstellung nach München, obwohl er mit der „neuen“ Kunst nicht viel anfangen konnte. Auch die Kontakte zur Münchner Künstlergenossenschaft pflegte er weiter, die ihn zum Ehrenmitglied ernannt hatte.

Als Erich Martin Müller am 27. November 1972 im Alter von 84 Jahren infolge eines Schlaganfalls verstarb, hinterließ er kein gültiges Testament, jedoch 150 Ölgemälde und eine Anzahl feinster Möbel und Antiquitäten. Amtliche Nachforschungen erbrachten 49 Erben, von denen kein Einziger den Verstorbenen je gekannt hatte. Kein Erbe interessierte sich auch nur im Geringsten für die Bilder und Möbel. Der Nachlass wurde deshalb 1977 von Amts wegen versteigert und für billiges Geld verramscht. Auch nach Harburg gingen einige der Gemälde, nicht jedoch jenes von der Harburger Synagoge, dessen Wert man damals nicht erkannte.

Rolf Hofmann

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