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Der Friedberger Ludwig Walter erinnert sich an das Ende des Zweiten Weltkrieges

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Chaos und Hoffnung: Friedberg in den Tagen vor dem amerikanischen Einmarsch

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    Mutige Friedberger Frauen verhinderten 1945 die Zerstörung der Stadt, als sie die Panzersperren am Berg beseitigten und so den kampflosen Einmarsch der Amerikaner ermöglichten.
    Mutige Friedberger Frauen verhinderten 1945 die Zerstörung der Stadt, als sie die Panzersperren am Berg beseitigten und so den kampflosen Einmarsch der Amerikaner ermöglichten. Foto: Augsburger Allgemeine

    Eigentlich war der Friedberger Ludwig Walter Malermeister. Als der Zweite Weltkrieg endete, war er aber auch Kreisführer der freiwilligen Feuerwehren im damaligen Landkreis Friedberg und damit für 42 Wehren zuständig. Am 3. Mai 1945, kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner, hat er diesen Bericht mit dem Titel „Die letzten Tage vor dem Einmarsche der Amerikaner in Friedberg“ verfasst, den wir in Abstimmung mit der Familie gekürzt, aber ansonsten als Dokument der Zeitgeschichte soweit möglich im Wortlaut belassen haben.

    Durch die Tätigkeit als Kreisführer war es mir möglich, mich bei dem neugebildeten Volkssturm von jeder Führerstelle fernzuhalten. Da jeder Deutsche dabeisein mußte, wurde ich vom Volkssturmführer Bürgermeister Schambeck als Ordonanz zu seinem Stab befohlen, ein Posten, wie er sagte, bei dem ganz wenig zu tun sei. Als am Donnerstag, 26. April, nachts Feindalarm gegeben wurde, hat mich der Volkssturmführer angerufen, daß ich sofort meinen Posten anzutreten habe. Schambeck war ein herrischer Mensch, sein Vorgesetzter hat ihn einmal als Stier bezeichnet.

    Als der Volkssturm beauftragt wurde, die unsinnigen Panzersperren so auszubauen, daß sie innerhalb zwei Stunden geschlossen werden konnten, machte ich ihn auf die Unsinnigkeit dieses Unternehmens aufmerksam, er aber hatte von oben den Befehl und der mußte durchgeführt werden. Die Männer des Volkssturms sahen auch die Zwecklosigkeit und verweigerten die Ausführung. Schambeck wollte die Angelegenheit sofort melden. Ich bat, er möchte mir die Sache übergeben, und ging dann zu den Männern, denen ich sagte, daß sie die Arbeit nicht verweigern sollen und daß ich ihnen garantiere, daß die Panzersperren nie geschlossen würden, denn so weit hatte ich Schambeck schon.

    Ludwig Walter war Kreisfeuerwehrführer des damaligen Landkreises Friedberg und hat über das Kriegsende in Friedberg einen Bericht verfasst.
    Ludwig Walter war Kreisfeuerwehrführer des damaligen Landkreises Friedberg und hat über das Kriegsende in Friedberg einen Bericht verfasst. Foto: Sammlung Familie Bayer

    Am selben Nachmittag war ich auf dem Dach des Landratsgebäudes, von wo ich das ganze Gelände übersehen konnte. Da hörte ich aufgeregte Frauenstimmen, die zum Rathaus zogen. Ich ging herunter und wollte in das Rathaus, das von einigen hundert Frauen umstellt war. Als ich mich durchgedrängt hatte, hörte ich die Frauen in erregter Unterhaltung mit dem Bürgermeister: „Die Stadt Friedberg darf nicht verteidigt werden, die Panzersperren müssen verschwinden, wir machen sie selber weg.“ Der Bürgermeister versicherte, daß die Stadt nicht verteidigt wird und daß die Sperren nicht geschlossen würden. Die Frauen schenkten ihm keinen Glauben. Ich mischte mich dann ein, und erklärte, ich bürge dafür. Darauf beruhigten sich die Frauen und eine sagte: „Herr Walter, wenn Sie es sagen, glauben wir‘s.“

    In der Zwischenzeit hatten bereits einige ein paar Stämme der Sperre herausgezogen und, wenn nicht plötzlich ein ungeheurer Sturm mit Unwetter eingesetzt hätte, vielleicht das ganze Allheilmittel entfernt. Als ich am gleichen Abend ins Rathaus kam, fand ich den Bürgermeister und den derzeitigen Ortsgruppenleiter Schmid in einer sehr niedergeschlagenen Stimmung. Auf meine Frage, was nun schon wieder los wäre, teilten sie mir mit, daß eben zwei Offiziere von Augsburg mit den beiden Standortoffizieren da waren und den Bürgermeister betreffs des Vorfalls am Nachmittag die Leviten richtig lasen und daß, wenn die Sperren bis nachts 12 Uhr nicht wieder hergestellt wären, über Friedberg das Standrecht verhängt würde.

    „Ich wußte, daß auch SS nach Friedberg kämen“

    Schambeck ließ die Kompanieführer des Volkssturms kommen und beauftragte sie zu veranlassen, daß die Sperren wieder hergestellt werden. Ich klärte sie über die Lage auf und bat sie, nur das Notwendige wieder herzustellen, damit Schambeck Vollzugsmeldung machen kann. Ich wußte, daß mit der Standrechtsverhängung auch SS nach Friedberg kämen und damit wäre unsere Handlungsfreiheit gehemmt.

    In der Nacht von Freitag auf Samstag ereignete sich nichts Besonderes, außer der Nachricht, daß die Amerikaner bereits vor Augsburg stünden und die Stadt wahrscheinlich vor dem Angriff stand. Gegen Morgen eröffnete die Artillerie ein Feuer und einige leichte Granaten schlugen bei St. Stefan ein. Der Schaden war nicht groß: zwei Stück Vieh und ein Hausgiebel. Die anderen Geschosse, die über Friedberg flogen, galten der Flakstellung bei St. Afra.

    Nach dem Krieg arbeitete Ludwig Walter in Friedberg wieder als Malermeister. Zudem saß er lange im Stadtrat.
    Nach dem Krieg arbeitete Ludwig Walter in Friedberg wieder als Malermeister. Zudem saß er lange im Stadtrat. Foto: Sammlung Familie Bayer

    Daß Augsburg in amerikanischen Händen war und der Feind Hochzoll einnimmt, war bald Gewißheit. Nun kommen wir dran und wie wird es uns ergehen? Als ich dann mittags schnell nach Hause ging, sprangen bei meinem Rückweg aufgeregte Personen, Männer und Frauen, vor dem Gasthaus Happacher auf mich zu: „Herr Walter, Sie müssen helfen! Soeben ist ein Melder von Hochzoll zum Bürgermeister gekommen und hat erklärt: Wenn über Friedberg innerhalb einer 3/4 Stunde die weiße Fahne weht, wird die Stadt nicht beschossen. Veranlassen Sie bitte, daß die Fahne hinauskommt.“

    Ich eilte zum Bürgermeister, der meinte, er könne und dürfe als Bürgermeister und Volkssturmführer nichts unternehmen. Aber es wird doch einen Mann gegeben, der das macht. Ich gab ihm die Hand und eilte zum Pfarrhof, um den Schlüssel zur Sakristei zu holen. Daß von den Schwestern die weißen Fahnen gefertigt und bereit waren, war mir bekannt. Auch hab ich in der Zwischenzeit vom Polizeimeister Stadler erfahren, daß bereits einige beherzte Männer auf dem Turm waren. Als ich dann oben angelangt war, kam mir Schmiedemeister Redel und Kaufmann Stadler entgegen und teilten mir mit, daß soeben von Max Högg, Hans Stadler, Josef Redel, Walter Hans, Mair Hans und Messner Milackler die Fahnen auf allen vier Seiten hinausgeschoben wurden. Ich sprach dann noch zu den anderen, sie sollten beim Verlassen der Kirche vorsichtig sein.

    Für die Wackeren vom Kirchturm war die Sache recht gefährlich, aber es blieb die Verstärkung für die SS aus und für die, die am Berg mit Maschinengewehren und Pistolen und Panzerfäusten Stellung bezogen hatten, erschien die aufgeregte Stimmung der Bevölkerung nicht mehr ganz geheuer.

    „Die SS ging mit Pistolen auf sie zu“

    Als ich mich wieder auf meinen Posten auf dem Landratsamt begab, um den anrückenden Gegner sehen zu können, wurde gemeldet, daß die Spitze bereits am unteren Berg beim Hemberger angelangt sei. Die SS versperrte jede Verbindung. Nun versuchten Sanitätsrat Dr. Lohmüller, Gattermann und Wieland durch die Sperre zu kommen. Das Unternehmen war zwecklos. Die SS ging mit Pistolen auf sie zu und forderte zur Umkehr auf. Jetzt wurde die Sache allmählich brenzlig. Unterm Berg die Amerikaner, am Berg die SS und dahinter die Bevölkerung in aufgeregter Stimmung und lähmender Angst.

    Als ich kurz darauf, es war vielleicht 17 Uhr, zum Bürgermeister ins Rathaus ging, sagte er mir, daß schon einige Männer ergebnislos eine Verbindung herzustellen versucht hatten. Es erschien wieder ein Mann und teilte mit, daß der Amerikaner nicht mehr länger wartet: „Wenn innerhalb von 10 Minuten die Stadt nicht übergeben wird, kommen zwei Geschwader!“ Ich riet zu telefonieren. Schambeck rief sofort Hemberger an: „Hier ist der Bürgermeister der Stadt Friedberg, ich übergebe die Stadt, es ist aber noch Vorsicht geboten, da noch SS zur Verteidigung in Stellung ist.“ Das wurde übermittelt. Die Antwort: „Telefonieren kann jeder Unberufene. Der Bürgermeister oder ein Vertreter muß die Stadt persönlich übergeben.“ Der Bürgermeister: „Ich komme nicht durch, aber der Ratsherr Herr Walter steht neben mir, der kommt in meinem Auftrag sofort hinunter.“

    Schambeck gab mir die Hand. Als ich zur Haustür hinaus wollte, kam der ehemalige HJ-Führer Maas und fragte, wo der Bürgermeister wäre, die beiden SS-Offiziere wären vor dem Rathaus und wollten ihn sprechen. Ich ging sofort wieder mit hinauf, worauf sich folgendes abspielte. Schambeck: „Ich bin der Bürgermeister der Stadt Friedberg, ich bitte Sie im Namen der Stadt, bitte ziehen Sie ab.“ Mit weicher Stimme, die ich diesem Mann nie zugetraut hätte: „Diese Stadt blieb uns jetzt sechs Jahre erhalten und jetzt in letzter Minute soll nochmal alles kaputt sein.“ Der SS Offizier mit ironischem Grinsen: „Herr Bürgermeister, das hätten Sie vielleicht schon früher haben können, wenn Sie zu uns gekommen wären.“ Darauf gingen die beiden Offiziere zur Seite und nach kurzer Zwiesprache wieder zurück. „Also Herr Bürgermeister, wir ziehen ab.“

    „Jetzt machen Sie in letzter Minute einen Fehler“

    Als Alois Schnagl und Polizist Stadler das hörten, beschlossen sie, sofort die Verbindung mit den Amerikanern herzustellen. Die SS sammelte sich beim Sperrer am Eck, bestiegen ihre Autos und zogen unter nicht gerade schmeichelnden Bemerkungen der Bevölkerung ab. Nach deren Abzug gingen der Bürgermeister und ich langsam den Berg hinunter, als der 1. Panzer beim Wirt Meyr um das Eck kam. Schambeck blieb mit einem Ruck stehen und sagte, indem er umkehrte: „Nein, entgegen gehen tu ich ihnen nicht.“ Ich darauf: „Herr Bürgermeister jetzt machen Sie in letzter Minute wieder einen Fehler.“ Er war nicht zu halten und ging eilenden Schrittes gegen das Rathaus in das Bürgermeisterzimmer.

    Ich schloß dann die Haustüre und blieb davor stehen. Unter Tücherschwenken und begeisterten Zurufen fuhr der 1. Panzer, bemannt und schwer bewaffnet, bis zum Sperrer vor, die Ami sprangen mit Maschinenpistolen ab. Sie fragten, ob ich der Bürgermeister sei, und nach der Verneinung, wo dieser sei. Ich mußte sofort hinauf und ihn herunterholen. Der Bürgermeister kam sofort in Uniform als Volkssturmführer. Das erste war, daß ihm die Koppel mit der Pistole abgenommen wurde, und dann mußten wir voraus aufs Bürgermeisterzimmer. Dort erklärte der Offizier, daß der Bürgermeister sofort bekannt geben muß, daß bis 20 Uhr alle Waffen abgeliefert sein müssen, um 21 Uhr muß alles zu Hause sein.

    Nachdem die Amerikaner gegangen waren, war mein Dienst auch beendet. Ich verabschiedete mich von Bürgermeister Schambeck, nicht ahnend, daß er in einer Stunde schon auf einem amerikanischen Panzer von der Stadt, der er in letzter Stunde noch sehr gute Dienste geleistet hat, abtransportiert wurde.

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