Hans Escher ist selbst ein Nachkriegskind, weiß aber einiges von seiner Mutter zu berichten, die zum Kriegsende 14 Jahre alt war. Sie lebte in Merching und ging dort zur Schule.
Meine Mutter, eine gebürtige Merchingerin, hatte ihre schulische Laufbahn noch in der NS-Zeit abgeschlossen. 1941 war im Deutschen Reich eingeführt worden, dass das Schuljahr immer im Monat Juli endet. Im Jahr 1945 erfolgte jedoch die Schulentlassung meiner Mutter – aus offensichtlichen Gründen – bereits am 25. März. Dazu hat sie ein Gedenkblatt erhalten. Auf der Vorderseite ist in einem Mehrfarbdruck ein martialisch wirkendes Gebirgsmassiv abgebildet. Auf der Rückseite ist in betont deutlicher lateinischer Schrift zu lesen: „Für Anna Bader zur Erinnerung an die Schulentlassung 25.3.1945“, darunter der Stempel „Der Leiter der Volksschule Merching“.
Der 25. März 1945 war Palmsonntag. An diesem Tag hatten die US-Truppen bereits den Rhein in Worms und Ludwigshafen erreicht und standen vor Aschaffenburg. Die Schilderung Volker Heises im Buch „1945“, erschienen im Rowohlt Verlag 2024, trifft auch auf den Merchinger Schulbetrieb zu: „Im Deutschen Reich machen alle weiter. Die Post stellt weiter Briefe zu, die Bahn befördert weiter Menschen in den Urlaub, an die Front oder in den Tod. Die Gerichte machen weiter, und die Polizei macht weiter, und die Feuerwehr macht auch weiter [...].“
Am 29. April befreien US-Soldaten Merching und besetzen die Schule
Circa einen Monat später, am 29. April 1945, wurde Merching von US-Soldaten befreit. In der Merchinger Heimatgeschichte von Franz Knittel, 1984 veröffentlicht, wird dieser Tag folgendermaßen geschildert: „1945: Am 29. April wird Merching von amerikanischen Truppen besetzt, neben anderen Räumlichkeiten werden auch die Schulräume beschlagnahmt. Alle Schriftstücke, Akten, Bücher und dergleichen, die sich im Schulhaus befinden, werden auf die Straße geworfen und verbrannt. Auf diese Weise geht auch die Schulchronik verloren, so daß [sic.] aus der früheren Geschichte der Merchinger Volksschule so gut wie keine Unterlagen mehr vorhanden sind. Nach acht Wochen werden die Schulräume von der Besatzungsmacht wieder freigegeben. Am 7. November 1945 wird in Merching der Unterricht wieder aufgenommen. Die Lehrerin Magda Schmitter steht als einzige Lehrkraft 194 Schülern gegenüber.“

Als die US-Amerikaner am 29. April 1945 das Dorf besetzten, errichteten sie in der Schule die Kommandantur, die Militärverwaltung. Wie andere Höfe auch mussten meine Großeltern eine Matratze dort abgeben, damit die in der Schule stationierten Soldaten einigermaßen komfortabel nächtigen konnten. Mein Opa brachte mit dem Schubkarren eine Matratze in die Schule. Meine Mutter trug das dazugehörige Kopfteil, den „Keil“. Mein Opa sagte zu ihr: „Die Amerikaner sind gar nicht schlecht. Wenn du nett lächelst, kriegst du eine Schokolade.“
Anna Bader besucht später die Berufsschule in Merching
Nach Absolvierung der Volksschule bestand für meine Mutter weiterhin Schulpflicht. Ihre Berufsschulzeit begann noch 1945. Alle Jugendlichen im entsprechenden Alter hatten einen Nachmittag pro Woche Berufsschulunterricht. Ein Zeugnis der „landwirtschaftlichen Berufsschule“ Merching – 1. Schülerjahrgang – Schuljahr 1945/46 für meine Mutter ist noch vorhanden. Es handelt sich um ein Jahreszeugnis. Vermutlich wegen Papierknappheit hat es das Format A5.
Eine Schwester meiner Mutter, Tante Resi (*1927) arbeitete in der Besatzungszeit in ihrem Ausbildungsberuf als Schneiderin in Augsburg. Die Ehefrauen von Offizieren der US-Armee ließen dort nähen. Eine der Schneiderinnen meinte: „Jemand sollte Englisch lernen, damit wir uns besser mit den amerikanischen Frauen verständigen können.“ Tante Resi meldete sich freiwillig. Die Englischlehrerin war die Tochter des Merchinger Berufsschullehrers. Bezahlt wurde die Englischstunde teils mit Milch vom eigenen Bauernhof.

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