Attest per WhatsApp: "Das ist ärztlich nicht vertretbar"
Ein Attest per WhatsApp ordern, ohne davor zum Arzt zu gehen: Damit sorgt ein Unternehmen gerade für viel Diskussion - auch über die ärztliche Sorgfaltspflicht.
Haben Sie Erkältungs-Symptome wie Kopfweh, gerötete Augen oder Heiserkeit? Dann bitte noch das Alter und Ihre Kontaktdaten angeben, wann die Beschwerden angefangen haben und wie lange Sie krankgeschrieben werden möchten. Und schon kommt per WhatsApp die Nachricht vom Tele-Arzt mit der passenden Diagnose: Sie haben wohl eine Erkältung. Jetzt nur noch die Versichertenkarte abfotografieren und wenig später erhalten Sie ihr Attest. Klingt zu einfach?
Genau das bietet das Hamburger Unternehmen AU-Schein seit einigen Wochen an. Zusätzlich werden noch Risikofaktoren überprüft und andere Erkrankungen wie eine Grippe über ein paar kurze Fragen ausgeschlossen. "Sie sind arbeitsunfähig wegen Erkältung und müssten daher zum Arzt? Hier erhalten Sie Ihre AU-Bescheinigung einfach online per Handy nach Hause", wirbt das Start-up, das der Rechtsanwalt Can Ansay gegründet hat. Das Ganze kostet den Kunden neun Euro, darf aber nur zweimal im Jahr genutzt werden.
Landesärztekammer: Arzt kann seiner Sorgfaltspflicht im WhatsApp-Chat nicht nachkommen
"So etwas ist ärztlich nicht vertretbar", sagt die Sprecherin der Bayerischen Landesärztekammer, Dagmar Nedbal. Es verstoße sogar gegen die Berufsordnung. Denn: "Ein Arzt muss seiner Sorgfaltspflicht nachkommen." Über einen kurzen Chat sei das kaum möglich. Weder könne der Patient ein richtiges Gespräch mit dem Arzt führen, noch weitere Fragen stellen. Hinter der scheinbaren Erkältung könnte vielmehr stecken. "Eine schlimme Krankheit wird womöglich nicht erkannt und führt zu schweren Folgeschäden", sagt Nedbal.
Das Start-up schließt einen solchen Fall auf seiner Internetseite aus. "Durch unseren ausführlichen Fragenkatalog werden Zweifelsfälle aussortiert und wir lernen aus etwaigen Fehlern durch User-Feedback", heißt es. Nedbal kontert: "Am sorgfältigsten ist die Diagnose immer dann, wenn der Patient dem Arzt gegenüber sitzt." Bei einer Erkältung sei es beispielsweise wichtig, den Erkrankten abzuhören. Ähnlich sieht das auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW). Die Digitalisierung biete bei der Diagnose zwar viele neue Möglichkeiten. "Dies darf aber nicht den persönlichen Kontakt mit dem Arzt ersetzen", sagt Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.
Um ein Attest auszustellen, muss der Arzt den Patienten genau untersuchen
Eine Krankschreibung per WhatsApp sehe er daher kritisch. Um die Arbeitsfähigkeit eines Patienten beurteilen zu können, müsse der Arzt ihn genau untersuchen. "Das kann auf moderner Diagnosetechnik beruhen, aber nicht auf einem simplen Chat", sagt Brossardt. Erst im vergangenen Oktober hat die Bayerische Ärztekammer entschieden, dass Fernbehandlungen in Zukunft erlaubt sind. "Man muss aber immer den Einzelfall prüfen", sagt Nedbal.
Außerdem gehe es bei der Öffnung der Tele-Medizin weniger darum, per Ferndiagnose Rezepte zu verschreiben oder Atteste auszustellen. Sondern vielmehr darum, dem Patienten eine erste Beratung zu bieten - beispielsweise während des Bereitschaftsdienstes am Wochenende oder in der Nacht. Ob Diagnosen am Telefon oder per Skype in Zukunft zunehmen werden, kann die Sprecherin der Landesärztekammer schwer abschätzen. "Zurzeit ist die Nachfrage eher zurückhaltend."
Neben den medizinischen Bedenken befürchtet Nedbal für die Patienten auch einen wirtschaftlichen Schaden. "Wer sagt, dass die Arbeitgeber das Attest akzeptieren?" Das Unternehmen selbst ist sich da zwar ziemlich sicher, aber auch Brossardt meldet Zweifel an. "Für ein derartiges Verfahren fehlt jeglicher anerkannter Ablauf." Für die Sprecherin der Landesärztekammer stellen sich zudem noch viele weitere Fragen, beispielweise rund um die Schweige-und Dokumentationspflicht sowie den Datenschutz.
Entspricht der WhatsApp-Chat mit dem Telemedizin-Arzt dem Datenschutz?
Was den Datenschutz angeht, fühlt sich das Start-up auf der sicheren Seite. "WhatsApp bietet die nötige Ende-zu-Ende Verschlüsselung." Auf der Homepage ist aber auch zu lesen: Die Landesbeauftragte für Datenschutz von Schleswig-Holstein habe bemängelt, dass der Messenger die gespeicherten Nummern aus dem Telefonbuch an seinen Server in den USA schickt. Das verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die Lösung des Start-ups: "Die Dienst-Handys unserer Ärzte haben daher vorsorglich keine Telefonbuch-Einträge."
Doch nicht nur Brossardt findet diese datenschutzrechtliche "Unbedenklichkeit" fraglich. "In einer großen Anzahl von Firmen ist die dienstliche Nutzung von WhatsApp untersagt", schildert der Hauptgeschäftsführer der VBW. Auch die Ärztekammern in Hamburg und Schleswig-Holstein haben beim Datenschutz Bedenken.
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