In aller Offenheit: 2016 wird das Jahr der Cabrio und Roadster
Selten standen so viele neue Open-Air-Modelle am Start wie in dieser Saison. Während die offenen Autos in neue Nischen drängen, besinnen sich die Hersteller auf eine alte Technik.
Die Autobranche macht sich frei und lässt die Hüllen fallen. Nachdem der Markt für offene Autos jahrelang geschrumpft ist und die Hersteller das Angebot deutlich ausgedünnt haben, setzen sie die Kunden wieder verstärkt an die frische Luft: Selten standen so viele neue Cabrios in den Startlöchern wie vor dieser Saison. Und dabei war die Bandbreite noch nie so groß.
Exemplarisch dafür stehen der offene Smart Fortwo, den Firmenchefin Annette Winkler bei einem Preis von 15 655 Euro als billigstes Vollcabrio im Land anpreist, und der Rolls-Royce Dawn, der rund 20-mal so teuer ist und für 329 630 Euro aufwärts frischen Wind ins Oberhaus bringen will. Zwischen diese beiden Extreme sortieren sich mittelfristig gleich drei offene Mercedes-Neuheiten: Das erste S-Klasse Cabrio seit vier Jahrzehnten kann man nach eigenen Angaben für mindestens 139 052 Euro bereits bestellen. Mit der neuen E-Klasse ist der Weg auch frei für ein neues Cabrio, bestätigt Baureihen-Leiter Michael Kelz. Und das Gerücht von einer offenen Version der C-Klasse noch für diese Saison wird in Stuttgart längst nicht mehr ernsthaft dementiert.
Audi und Chevrolet
Audi bereitet nach Angaben aus der Entwicklungsabteilung nach der Wachablösung beim A4 jetzt den Start des nächsten A5 vor. Von Chevrolet gibt es im Sommer den neuen Camaro auch als Cabrio. Wer es zwei Nummern kleiner mag und sein Gewissen entlasten möchte, der kann aus Frankreich bald die elektrische Neuauflage des Strandcabrios Citroën Mehari bestellen. Und bei Mini geht im März zu Preisen ab 23 950 Euro das Cabrio in die nächste Runde, teilt der Hersteller mit.
Bis auf den Smart sind das ausschließlich Viersitzer - und bedienen damit nur die Hälfte der Open-Air-Gesellschaft. Die andere Hälfte kauft lieber Roadster oder Spider. Auch da gibt es neue oder zumindest aufgefrischte Kandidaten: Ganz neu unter der Sonne ist der Fiat 124 Spider, den die Italiener nach eigenen Angaben vom Mazda MX-5 ableiten und bei uns im Sommer in den Handel bringen wollen. Die Preise stehen noch nicht fest, doch dürfte sich Fiat am Mazda orientieren und so bei deutlich unter 25 000 Euro starten. Ebenfalls aus Italien kommt der Lamborghini Huracan Spyder, der in diesem Segment mit 449 kW/610 PS, einem Spitzentempo von 324 km/h und einem Preis von 221 876 Euro das andere Ende der Skala markiert.
Mercedes und Nissan
Auch bei den Zweisitzern wird der Zwischenraum vor allem mit Modellen aus Stuttgart gefüllt. Denn neben Facelifts für die Mercedes Roadster SL und den zum SLC umgetauften SLK gibt es für den Boxster ein Update. Er bekommt nicht nur ein neues Design, sondern erstmals Vierzylinder-Turbos. Diesem gravierenden Eingriff trägt er mit einem neuen Namen Rechnung: Bei der Premiere auf dem Genfer Salon (Publikumstage 3. Bis 13. März) funkelt so neben dem Boxster-Schriftzug auch das Baureihenkürzel 718 im Rampenlicht. Während viersitzige Cabrios und sportliche Spider fast so alt sind wie das Auto selbst, erobert die Open-Air-Kultur so langsam die nächste Nische: Nach dem in Amerika gestarteten Versuchsballon mit einem offenen Nissan Murano bringt Land Rover jetzt mit dem Evoque für rund 4000 Euro Aufschlag zum geschlossenen Modell zum ersten Mal im großen Stil ein modernes, offenes Auto auf die Buckelpiste.
Das könnte auch die späte Rache an jener Fahrzeuggattung werden, die den offenen Autos so zugesetzt haben. Denn den Einbruch zu Beginn des Jahrzehnts führen Experten wie Andreas Radics vom Strategieberater Berylls in München nicht allein auf die Finanzkrise zurück. Sie sehen die Schuld auch im Siegeszug der SUVs, die Cabrios und Roadster als Lifestyle-Autos abgelöst haben. Doch jetzt, wo es Geländewagen gibt wie Sand am Meer, scheint das Pendel wieder zurückzuschlagen. Glaubt man Radics, ist dieser Trend sogar nachhaltig. Er zitiert Marktstudien, die bis zum Ende des Jahrzehnts weltweit rund ein Drittel mehr Cabrio-Zulassungen vorhersagen: "Entsprechend rosiger bewerten die Hersteller die Zukunft und investieren in neue Modelle", sagt der Experte.
Stoffverdeck erfährt Renaissance
"Die deutlichste Veränderung im Cabriomarkt ist sicherlich die Renaissance der Stoffverdecke", sagt Radics und beschreibt einen starken Rückgang der versenkbaren Hardtops. Das liege an der besseren Qualität der textilen Lösungen, die einem massiven Faltdach in Dichtigkeit und Dämmung in nichts mehr nachstünden. Aber auch daran, dass die Hersteller zunehmend weniger Kompromisse bei Design, Kosten, Platzangebot und Gewicht machen wollten. Und noch einen weiteren Grund ergänzt ein Sprecher des Zulieferers Magna Car Top Systems: Softtops seien auch deshalb wieder in Mode, weil sie als weithin sichtbares Erkennungszeichen die Cabrio-Architektur stärker nach außen tragen als ein so genanntes Retractable Hardtop (RHT).
Doch so vehement die Kunden an die frische Luft drängen, so sehr fürchten sie offenbar den Fahrtwind. Neben immer aufwendigeren Dachkonstruktionen entwickeln die Hersteller deshalb auch immer umfangreichere Komfortsysteme, mit denen man die Saison verlängern und die Zugluft aussperren kann - vor allem natürlich in der Luxusklasse. Mercedes hat für die offene S-Klasse nach Angaben von Pressesprecher Michael Allner noch einmal den intelligenten Windabweiser im Rahmen der Frontscheibe (Aircap) sowie die elektronische Nackenheizung (Airscarf) optimiert, neben den Sitzen auch die Armauflagen beheizt und obendrein eine Klimasteuerung entwickelt, die unabhängig vom Dachstand immer die gleiche Temperatur hält - und spricht jetzt stolz vom komfortabelsten Cabrio der Welt.
Rolls-Royce hat sich beim Dawn mit einem Extra beschäftigt, nach dem die Briten bislang selbst der exzentrischste Kunde nicht gefragt hat. Denn neben einer beleuchteten Kühlerfigur oder versilberten Champagner-Kelchen gibt es bei den Briten zum ersten Mal seit über 100 Jahren auch ein Windschott. Thomas Geiger/dpa
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