
Ernährungs-Expertin warnt vor vermeintlichen Wunderdiäten

Die Ärztin Petra Bracht erklärt, warum pflanzenbasierte Ernährung und viel Bewegung das beste Mittel zum Abnehmen sind.
Frau Bracht, wie entsteht Übergewicht?
Petra Bracht: Übergewicht entsteht, wenn man zu viel, zu oft und falsch isst und sich zu wenig bewegt.
"Das sind die Gene. Für mein Übergewicht kann ich nichts." Solche Sätze hört man immer wieder. Welche Rolle spielen die Gene tatsächlich beim Übergewicht?
Bracht: Eine absolut untergeordnete Rolle. Seit es die Forschung auf dem Gebiet der Epigenetik gibt, hat man festgestellt, dass unser individueller Lebensstil die Gene zu 80 bis 90 Prozent beeinflussen kann. Durch gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung können wir ungünstige Gene ab- und günstige Gene anschalten. Wer jedoch ungesund lebt, schaltet eben auch ungünstige Gene an. Die Ausrede, meine Verwandten sind auch übergewichtig, gilt also nicht. Übergewicht häuft sich in Familien so oft, weil Kinder die Essgewohnheiten ihrer Eltern übernehmen.
Wie muss man sich das mit dem Einschalten der Gene vorstellen, wie schnell geht es in eine andere Richtung?
Bracht: Das passiert sofort. Je nachdem wann, wie und was wir essen, geht es eben in die eine oder die andere Richtung. Wie bei einem Mischpult im Tonstudio, bei dem man einzelne Regler umlegt.
Sie raten von klassischen Diäten ab, insbesondere von den Low-Carb-Diäten, bei denen man kaum Kohlenhydrate zu sich nimmt. Warum?
Bracht: Durch Kohlenhydrate gewinnen wir am einfachsten Energie. Wenn wir wenige davon essen – ich meine dabei vollwertige Kohlenhydrate und keinen Zucker –, dafür aber viele Eiweiße und Fette, dann muss der Stoffwechsel des Körpers sich stark anstrengen, um daraus Energie herzustellen. Wenn er einmal am Tag in diese Phase kommt, ist das richtig gut, wie beim Intervallfasten. Doch unser Körper ist für einen solchen ketogenen Stoffwechsel als Dauerlösung nicht gemacht. Wird dieser auch noch durch vorwiegend tierische Produkte ausgelöst, wird der Organismus stark übersäuert und es kommt zu Ablagerungen in den Gefäßen. Von Wunderdiät also keine Spur.
Was machen Sie anders?
Bracht: Ich rate zu einer vollwertigen, Pflanzen basierten Ernährung, kombiniert mit Intervallfasten und Bewegung. So erarbeitet sich der Körper langsam selbst sein Idealgewicht, das man auch auf Dauer halten kann. Low-Carb-Diäten halten Diätwillige teilweise ein halbes Jahr oder auch ein Jahr durch. Aber irgendwann kippt das, und sie fangen an, ganz viele Kohlenhydrate zu essen, weil sie so lange darauf verzichtet haben.
Das Schwierigste ist der Einstieg. Wie fängt man am besten an?
Bracht: Wenn man gesund ist, aber zu viel Gewicht hat, sollte man sich zunächst ein Zeitfenster von sechs Wochen vornehmen. Dann ist ein erster Erfolg da und auch eine Gewichtsreduktion von drei bis vier Kilo. Am besten fängt man mit 16:8-Intervallfasten an: Man isst nur innerhalb von acht Stunden. Man kann zwei oder drei Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen und sich dann jeweils richtig satt essen. Snacks sollte man vermeiden. Bekommt man zwischendurch Hunger, trinkt man Tee oder Wasser oder isst etwas Rohkost.
Und wie steht es mit Bewegung?
Bracht: Drei Stunden Bewegung pro Woche sind gut. Wandern, Walking, Joggen, Radfahren, Skilanglauf, Schwimmen oder Training auf dem Crosstrainer. Auch ein strammer Spaziergang ist prima. Krafttraining mit dem eigenen Körpergewicht stärkt die Muskeln. Muskeln erhöhen den Grundumsatz des Körpers, selbst in Ruhephasen.
Wenn man wenig isst, ist ja oft die Laune auch im Keller...
Bracht: Das stimmt. In den ersten acht Tagen, in denen sich der Körper umstellt, kann es sein, dass wir etwas schlechte Laune haben, vielleicht Kopfschmerzen bekommen, unruhiger schlafen und auch die Verdauung anders ist als sonst. Nach acht bis zehn Tagen passiert Wundersames – dann sieht man, dass man schon etwas abgenommen hat, und zwar nicht nur Wasser, sondern Fett. Die Stimmung hebt sich, und die Haut im Gesicht wird anders. Unsere Darmflora verändert sich ab dem ersten Tag der Ernährungsumstellung zum Positiven. Das stärkt das Immunsystem.
Sie sagen, dass man sich satt essen kann. Lässt jemand das Frühstück weg und steigt mit dem Mittagessen ein, was kann er zum Beispiel essen?
Bracht: Selbst da kann er überlegen, ob er mit einem Obst-Porridge einsteigt. Man kann einen richtig großen Salat essen, der sättigt schon. Als Hauptgericht ist zum Beispiel der grüne Kartoffelsalat, den wir in unserem Buch vorstellen, richtig gut: Da sind außer Kartoffeln, Erbsen, Fenchel, Salatgurke, Frühlingszwiebeln, Basilikum und Rucola oder Feldsalat drin. Wichtig beim Mittagessen sind Kohlenhydrate und Ballaststoffe. Abends sollte man lieber eiweißbetont essen. Ein Geheimnis zum Sattwerden ist auch ausgiebiges Kauen. Man sollte sich auch mindestens eine halbe Stunde Zeit zum Essen nehmen.
Ballaststoffe bezeichnen Sie als die besten Medikamente zum Abnehmen. Was hat es mit ihnen auf sich?
Bracht: Ballaststoffe sättigen. Sie enthalten viele unverdauliche Fasern, und wir können sie nicht in Kalorien umbauen. Unsere gesunden Darmbakterien lieben Ballaststoffe. In Hülsenfrüchten wie Bohnen, Erbsen, Kichererbsen und Linsen sind viele Eiweiße und Ballaststoffe. Wenn man abends eine Linsensuppe isst, tritt der sogenannte "Second-Meal-Effekt" ein, und man fühlt sich noch am nächsten Tag viel gesättigter.
Zur Person: Petra Bracht, 66, Ernährungsmedizinerin und Bestseller-Autorin, hat mit ihrem Mann Roland Liebscher-Bracht die Schmerztherapie nach "Liebscher & Bracht" begründet. Mit dem Ernährungswissenschaftler und Biochemiker Claus Leitzmann hat sie das Buch veröffentlicht: "Klartext Abnehmen".
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