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Foto: Sartor
Foto: Sartor

Im Hotel del Coronado hat Marylin Monroe „Manche mögen‘s heiß gedreht“.

Reisereportage
11.09.2018

San Diego und Tijuana - die ungleichen Geschwister

Von Stephanie Sartor

Nur wenige Kilometer trennen die amerikanische und die mexikanische Metropole. Doch Träume gibt es nur auf einer Seite.

Nach Mexiko also. Zu Fuß über die Grenze. Und erst einmal ist da ganz viel Grau. Grauer Boden. Graue Mauer rechts und links des schmalen Weges, auf dem sich hunderte Menschen drängen. Graue Drehkreuze, durch die all diese Menschen schließlich verschwinden, verschluckt werden vom schummrigen Behördenlicht einer nüchternen Wartehalle. Ein mürrisch dreinschauender Grenzpolizist blickt in meinen Reisepass, nickt und deutet nach rechts. Nur noch ein paar Schritte. Und dann: Mexiko. Es riecht nach gebratenem Hähnchen, das eine Frau gleich hinter der Grenzkontrolle auf einem großen Holzkohlegrill zubereitet. Neben ihr steht ein Mann und spielt Gitarre. Auf Plastikplakaten werden billige Zahnbehandlungen angeboten. Und noch ein paar Meter weiter, da steht Danny.

Wenige Minuten später rattert sein alter Kia über die holprige Straße Richtung Küste. Danny kurbelt das Fenster herunter, warmer Wind vermischt sich mit der stickigen Autoluft. Draußen sieht man grüne Berge. Dörfchen mit Wellblechhütten. Hin und wieder eine Tankstelle. Kinder, die auf den staubigen Straßen spielen. Danny verdient sich hier, wo Amerika endet und Mexiko beginnt, ein bisschen Geld. Er holt Touristen an der Grenze ab und bringt sie ins Zentrum von Tijuana, einem Ort, der irgendwie so dahinwabert zwischen Burgern und Burritos, zwischen Nord und Süd, Cosmopolitans und Margaritas. Der junge Mexikaner fährt die Grenzgänger zu den vielen Kneipen, in denen Mariachi-Bands spielen, Zwiebel-Tacos und billiges Bier serviert werden. Oder – so wie uns – zum Strand.

Während der Fahrt spricht Danny – kurze schwarze Haare, viele Tattoos, blaues Shirt – nicht viel. Auch nicht darüber, warum er nicht mehr in den USA, sondern wieder in seiner Heimat Mexiko lebt. „Mein Bruder hatte Probleme mit einer Gang“, sagt er nur. Dann dreht er das Radio lauter, aus dem amerikanischer Hip-Hop dröhnt. Dannys Finger trommeln im Takt der Musik auf das Lenkrad, während er immer weiter Richtung Westen fährt. Schließlich bremst er den Wagen und zeigt aus dem Fenster. Auf den goldenen Sand, an den die tintenblauen Wellen des Pazifiks rollen. „Wir sind da“, sagt er. Er drückt uns einen Zettel mit seiner Telefonnummer in die Hand. Für später, wenn wir zurückwollen. Dann murmelt er ein rasches „Adios“ und fährt davon.

Die Träume erfüllen sich oft nicht in Tijuana

Die Markisen der vielen Verkaufsstände am Strand von Tijuana, an denen Cocktails verkauft werden, flattern im Wind. Junge Männer trainieren an Klimmzugstangen, die in den puderweichen Sand gegraben wurden, eine Frau verkauft frische Kokosnüsse. Und dann ist da noch der Zaun, den so viele Menschen sehen wollen. Der amerikanisch-mexikanische Grenzzaun, ein fünf Meter hohes, rostiges Stahlmonstrum, das sich hier ins Meer hineinfrisst und diesen Ort so berühmt macht.

„Auch auf dieser Seite gibt es Träume“, steht auf einem der Gitterstäbe geschrieben. In Erfüllung gehen diese Träume aber oft nicht. Denn Tijuana ist nicht nur eine Party-Enklave für junge Amerikaner oder Mexikaner, die in den Kneippen ihren Junggesellenabschied feiern. Tijuana ist auch die Stadt der Gestrandeten. Die Stadt derer, die erwischt wurden, als sie illegal in die USA einwandern wollten und wieder zurückgeschickt wurden. Die Stadt derer, für die der amerikanische Traum nicht mehr als eine leere, sie verhöhnende Worthülse ist. Und so trennt die Grenze nicht nur zwei Länder, sie ist auch eine Scheidelinie zwischen Armut und Wohlstand. Umgerechnet etwa 12.000 Euro beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen in Tijuana. Im amerikanischen San Diego, gerade einmal knapp 35 Kilometer entfernt, sind es mehr als 50.000.

Für viele Reisende ist Tijuana ein Tagesausflug, ein kleines Abenteuer, das sie von San Diego aus unternehmen. Die Grenze liegt gerade einmal eine gute halbe Stunde vom Stadtzentrum der südkalifornischen Metropole entfernt. 200.000 Menschen aus beiden Ländern überqueren sie täglich. Wie sehr die Grenze Reisende aus aller Welt fasziniert, das weiß Joe Timko nur allzu gut. Er arbeitet für den Tourismusverband von San Diego und versucht, die Stadt genauso berühmt zu machen wie Los Angeles. Erst vor kurzem hat er einen Gast vom Flughafen abgeholt. Der wollte als Erstes allerdings nicht nach Downtown, sondern zur Grenze. Er könne das irgendwie verstehen, sagt Timko. Schließlich werde in den Nachrichten viel über die Region berichtet. Er meint damit Donald Trump, der künftig noch härter durchgreifen und aus dem Zaun eine gigantische Mauer machen möchte. Und dann sind da noch die herzzerreißenden Bilder von weinenden Kindern, die beim illegalen Grenzübertritt von ihren Eltern getrennt und in Heime gesteckt wurden.

So nah und doch weit weg: Irgendwo da hinten ist Mexiko

Wer in die Grenzregion reist, der kann zwei völlig verschiedene Welten erleben. Im Süden: Tijuana, mit all seinen Problemen. Im Norden: San Diego, wo die Lebensqualität eine der höchsten in den USA ist. Und die Metropole hat Reisenden viel zu bieten. Etwa das berühmte Hotel del Coronado, kurz „The Del“ genannt. Das zuckergussweiße Haus, 1888 erbaut, ist das älteste und größte Holzgebäude Kaliforniens und steht unter Denkmalschutz. Einst war es das größte Urlaubshotel der Welt, zahlreiche US-Präsidenten logierten in den noblen Suiten des geschichtsträchtigen Hauses. Berühmt ist das Luxushotel aber auch noch wegen zweier anderer Dinge: Im Sommer 1958 wurde dort „Manche mögen’s heiß“ mit Marilyn Monroe und Tony Curtis in den Hauptrollen gedreht. Und: In Zimmer 304 soll es spuken. An Thanksgiving 1892 checkte eine gewisse Kate Morgan unter falschem Namen ein – fünf Tage später fand man sie tot. Vermutlich brachte sie sich selbst um. Seither soll ihr Geist in den alten Gemäuern hausen. Spätere Gäste des Zimmers, das heute eine andere Nummer hat, erzählten von Stimmen, unerklärlichen Luftzügen und flackernden Lichtern.

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Foto: Sartor
Foto: Sartor

Architekturfreunde kommen im Balboa Park auf ihre Kosten.

Die Luxusherberge liegt an einem weißen Strand. Palmblätter rauschen im Wind, das Meer liegt an diesem Tag so ruhig und glänzend da wie ein dunkelblaues Seidennachthemd. Es ist diese Entspanntheit, deretwegen so viele Menschen nach Kalifornien reisen. In San Diego erlebt man die nicht nur am Strand der berühmten Nobelhotels, sondern beinahe überall: Im schicken Stadtteil La Jolla, wo Seelöwen faul in der Sonne dösen. Im hippen Viertel Ocean Beach, wo noch der Geist der 60er zu spüren ist. Im Balboa Park, der größten Grünanlage der Stadt, in der es 17 Museen gibt. Oder hoch oben auf einem Hügel nahe des Zentrums, wo das Cabrillo-Monument steht, das an den ersten europäischen Seefahrer erinnert, der an der US-amerikanischen Westküste an Land gegangen ist.

Dort oben auf den Klippen hört man das dumpfe Dröhnen der Wellen, die viele Meter weiter unten an die Felsen branden. Der Himmel ist an diesem Tag so mattblau, dass er aussieht, als wäre er mit Wasserfarben ans Firmament gepinselt worden. Von dem Aussichtspunkt gleich neben dem Denkmal für Juan Rodriguez Cabrillo blickt man auf den Militärhafen, die vielen Hochhäuser von San Diego und auf den langen Strand, der sich im müden Dunstlicht dieses Tages verliert. Irgendwo da hinten, die Küste hinauf, ist Mexiko. Irgendwo da hinten ist die Grenze.

Am Strand von Tijuana geht die Sonne unter. Das schwindende Licht bricht sich in den bunt bemalten Stangen des Grenzzauns. Nur noch wenige Menschen sind unterwegs, hier und da brutzelt noch ein Steak auf einem der rauchenden Straßengrills. Die meisten Tagestouristen machen sich auf den Heimweg. Danny hat auf keinen der Anrufe reagiert, deswegen geht es mit dem Taxi zurück zum Grenzübergang. Hunderte Leute warten dort, Jugendliche, die günstig shoppen waren, eine Frau, die eingeschweißte Koteletts in einem Plastikbeutel dabei hat, Rucksackreisende, Arbeiter, Mütter mit Babys auf dem Arm. Es ist dunkel geworden. Im grellen Neonröhrenlicht der Grenzstation werden die Pässe kontrolliert. Der Polizist nickt, deutet nach links. Nur noch ein paar Schritte bis Amerika. Und hunderte Menschen verschwinden durch die grauen Drehkreuze in die Nacht.

Kurz informiert

Anreise Lufthansa fliegt von Frankfurt nonstop nach San Diego. Der Flug dauert etwa 12,5 Stunden. In der Economy kostet ein Ticket ab 771 Euro, die Premium Economy gibt es ab 1555 Euro.

Übernachten Mitten in Downtown San Diego liegt das Hotel Pendry. Die Zimmer sind minimalistisch-schick und kosten ab 240 Euro. Einen schönen Blick auf den Pazifik bietet die Lodge at Torrey Pines. Preis ab 280 Euro pro Zimmer.

Grenzübergang Von San Diego fährt eine Straßenbahn zur Grenze. Von dort kann man ins Zentrum von Tijuana laufen. Eine Taxifahrt von der Grenze nach Playas de Tijuana, wo der Zaun ins Wasser ragt, dauert 20 Minuten.

Grenzerfahrung der anderen Art Ein Gleitschirmflug am Torrey Pines Glider Port ist Nervenkitzel pur. 20 Minuten dauert der Flug mit einem erfahrenen Piloten. Der Blick auf die Strände und Klippen ist spektakulär.

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