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Foto: Fotos: Sylvia Ehrenreich, Matthias Schalla, Torhild Haugann, Norwegian Seafood Council
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Foto: Fotos: Sylvia Ehrenreich, Matthias Schalla, Torhild Haugann, Norwegian Seafood Council

Der Vistenfjord gehört zu den saubersten Meeresabschnitten Norwegens.

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Durch die Lage im hohen Norden kann auch in Sommernächten bei Tageslicht geangelt werden.

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Oder man schläft gemütlich in einem Haus direkt am Wasser.

Angeln in Norwegen
27.08.2018

Willkommen zu Abenteuern in der Stille

Von Christian Gall

Vor den schroffen Küsten verbirgt sich der Schatz des Meeres: Fisch. Der bestimmt nicht nur das Leben der Einheimischen, sondern zieht auch Besucher an

Es ist ruhig im Fjord. Die Geräuschkulisse besteht aus dem sanften Platschen der Wellen, die gegen das Boot schlagen. Dem Rauschen des nahen Wasserfalls, der sich über den Fels ins Meer stürzt. Und dem gelegentlichen Kreischen der Möwen, die von den Anglern im Boot ein Mittagessen erwarten. Die heben und senken im ruhigen Rhythmus ihre Angelruten, genießen die Stille. Langsam auf, schnell ab. Langsam auf, schnell ab. Wie eine Meditationsübung. Bis ein Ruck durch eine der Ruten und bis in die Hände des Anglers geht. Etwas hat angebissen. Die Rute biegt sich durch, die Spitze zeigt im 90-Grad-Winkel hinab in das 200 Meter tiefe Wasser. Etwas Großes! Die Ruhe ist vergessen, Adrenalin schießt ins Blut. Die nächsten Minuten entscheiden, ob der Fisch auch wirklich im Boot landet.

Ruhe und Abenteuer wechseln sich im Vistenfjord ab. Der Meeresarm liegt in der norwegischen Region Nordland, rund 90 Kilometer südlich des Polarkreises. Etwa 80 Menschen leben entlang des 22 Kilometer langen Fjords. Die meisten von ihnen im Dorf Visthus, das zugleich das touristische Zentrum der Region ist. Wobei „Zentrum“ hoch gegriffen ist. Während der Saison von Ende März bis Anfang Oktober sind zeitgleich höchstens 40 Touristen in dem kleinen Dorf – die Zahl bleibt also überschaubar. Die meisten Besucher kommen im „Rorbucamping“ unter, Ferienhäusern, die von Hilde Pedersen vermietet werden. Der Name „Rorbucamping“ bedeutet übersetzt etwa „Siedlung von Fischerhütten“. „Viel Zeit verbringen die Gäste aber nicht in den Häusern“, sagt Hilde. Sie wollen auf das Wasser, den Fischen nachstellen.

Auf dem Angelboot neigt sich der Kampf mit dem Fisch langsam dem Ende zu. Das Rucken in der Rute hat an Kraft verloren, das Tier wird müde. Meter für Meter kurbelt der Angler es weiter an die Oberfläche, dann kommt der goldbraun schimmernde Fisch in Sichtweite. Ein Dorsch, der wohl typischste Meeresbewohner Norwegens. Träge schwimmt er an der Oberfläche, seinen Kampf hat er inzwischen aufgegeben. Mit einem kräftigen Ruck landet er im Boot – etwa zwölf Kilo bringt er auf die Waage. Gleich noch auf dem Wasser wird er filetiert, um die Reste kümmern sich die Möwen, die sich mit gierigen Schreien auf jeden kleinen Fetzen stürzen. Ihr Warten hat sich ausgezahlt.

Bei ruhiger See kann man den Fischen beim Jagen zusehen

Einem Angler bieten sich rund um Visthus optimale Bedingungen. Der Fjord und die vorgelagerten Inseln bremsen den Wind, das Meer liegt meist ruhig da. Das Wasser ist so klar, dass man noch in fünf Metern Tiefe problemlos den Grund erkennt. Hilde erzählt, dass vor einigen Jahren sämtliche Fjorde Norwegens auf ihre Wasserqualität getestet wurden – der Vistenfjord war der sauberste. Und ein weiterer Punkt ist entscheidend: Es gibt dort keinen kommerziellen Fischfang. Denn der Meeresboden ist so bergig und zerklüftet wie das Land an der Oberfläche. Steil abfallende Kanten und der ungleichmäßige Untergrund machen das Fischen mit Grundnetzen unmöglich. Außerdem ist der Fjord Teil eines Naturparks – große Trawler dürfen ihre Netze dort nicht auswerfen. Daher beherrscht im Vistenfjord die Angelrute die Fischerei.

Zurück ins Boot. Der große Dorsch hat einen starken Kampf geliefert. Doch im Vergleich zu den echten Giganten ist er nur ein Zwerg. Der dickste Fisch in Norwegen ist der Heilbutt. Exemplare von 20 Kilogramm werden regelmäßig gefangen. Einen Rekordfisch hat vor Jahrzehnten Hildes Bruder Leif Konrad Pedersen gefangen. Gewicht: 165 Kilo. Den Fisch musste er am Boot festbinden, ans Ufer schleppen und mit einem Traktor aus dem Wasser ziehen. Die Lokalpresse hatte damals über seinen Fang berichtet. Ein Exemplar der Ausgabe hat er noch in einer Schublade liegen.

Kleinere, dafür umso lebendigere Beute findet der Angler in der Makrele. Der Fisch, in Norwegen rund 40 Zentimeter groß, lebt in großen Schwärmen. Die gilt es zu finden. Angler kennen die unverkennbaren Zeichen: Gruppen von winzigen Fischchen, die in ihrer Flucht vor den Makrelen einige Zentimeter weit aus dem Wasser springen. Und eine große Schar kreischender Möwen, die sich die flüchtenden Fischchen von der Wasseroberfläche schnappen. Wer es schafft, sein Boot über dem Schwarm in Stellung zu bringen, zieht im Minutentakt Fische an Land: Den Köder, garniert mit drei Haken, ins Wasser lassen, die Rute heben und senken, hochkurbeln – dann zappeln in der Regel drei Makrelen neben dem Boot im Wasser. Bei ruhiger See kann man den Fischen sogar beim Jagen zusehen. Die metallisch schimmernden, getigerten Körper schießen regelrecht durch das Meer – und erwecken die Illusion, das Wasser würde unter dem Boot kochen.

Für die Bewohner des Vistenfjords gehören Fische und Angeln fest zum Leben – so wie wir auf einer Autofahrt kurz bei einem Drive-in-Imbiss halten, werfen sie von ihren Booten kurz die Angel aus. Ronald Bjøru, dessen Schafe über die Wiesen von Visthus wandern, packt standardgemäß eine Angelrute auf sein Boot, wenn er auf Erledigungen unterwegs ist. „Im Nordosten steht das alte Haus meiner Mutter, zu dem ich manchmal fahre. Auf dem Rückweg ist eine schöne Stelle für Makrelen“, erzählt er. Allerdings lässt er sich bei so einem Trip nicht zu viel Zeit: „Nach 20 Makrelen mache ich immer Schluss.“

Ronald ist aber nicht nur mit dem Meer vertraut. Jedes Jahr ab Ende Oktober durchstreift er den Fjord auf der Jagd nach Elchen. Von denen gibt es viele im Vistenfjord; die Regierung legt Abschussquoten fest, damit der Bestand nicht zu groß wird. Typisch für Norweger: Ronald verschwendet nichts von seiner Beute. Das beweist ein Blick in seine Gefriertruhe – darin stapeln sich die Fleischstücke. Einige in Portionsgröße für die Pfanne, andere in der Größe eines Schuhkartons. In den Lücken dazwischen steckt gefrorener Fisch. Ronalds Familie versorgt sich, wie viele andere Bewohner des Ortes, zum Teil selbst mit Lebensmitteln. Wenn er mehr Auswahl will, schaut er bei Hilde vorbei, die einen Laden in ihrer Touristensiedlung hat. Meistens kauft er dort aber nur Eiscreme.

Angeltouristen können sich im Vistenfjord ebenfalls problemlos selbst mit Fisch versorgen. Außerdem dürfen sie ihre Beute mit nach Hause nehmen – allerdings nur eine bestimmte Menge. Aktuell liegt die bei 20 Kilogramm pro Person. Und das auch nur, wenn der Urlauber nachweislich in einer Unterkunft war, die im norwegischen Fischereidirektorat registriert ist. Hildes Rorbucamping gehört dazu.

Im Winter wird es noch ruhiger. Aber das Licht dann! 

Ihren Reichtum an Fischen haben die Norweger schon vor Jahrhunderten mit anderen Ländern geteilt. Im Winter verließen die Männer ihre Dörfer, um zu den Lofoten zu segeln, wo im März der Dorsch seinen Nachwuchs bekommt. Die Massen an gefangenem Fisch wurden getrocknet, über Handelsrouten nach Südeuropa verschifft und dort unter dem Namen Bacalao verkauft. In Portugal und Spanien gehört Trockenfisch bis heute zur typischen Landesküche – der meiste davon stammt noch immer aus Norwegen.

Bei der Anzahl an Freizeitanglern, die nach Visthus kommen, muss auch niemand einen Rückgang der Bestände im Meer fürchten. „Fisch haben wir genug für alle“, meint Hilde dazu. Bereits seit 1992 kommen Urlauber in den Fjord. Probleme habe es Hilde zufolge dadurch noch nie gegeben. „Die Bewohner freuen sich eher, dass bei uns ein bisschen mehr los ist“, sagt sie. Immerhin ist die Bevölkerung überschaubar – vor allem im Winter. Wenn die Sonne nur für rund fünf Stunden ein dämmriges Licht spendet, ziehen einige Bewohner für ein paar Monate in südlichere Gebiete. Dabei ist auch der Winter beeindruckend in Norwegen. Ronald Bjøru bekommt jedes Jahr Besuch von seiner Tochter, die inzwischen in Australien wohnt. Manchmal im Sommer, immer aber zur Weihnachtszeit. „Ich liebe den Winter hier“, sagt sie. Das Licht tauche dann alles in einen ganz besonderen Schein, den man sonst nirgendwo sieht. Und natürlich ziehen dann auch die Polarlichter mit einem grünen Leuchten über den Himmel.

Besucher kommen allerdings kaum im Winter nach Visthus. Die Temperaturen von wenigstens minus 15 Grad sind zwar noch gemäßigt, doch die meisten Leute kommen im Sommer, wenn die Sonne den ganzen Tag lang scheint und die Temperaturen bei bis zu 30 Grad liegen. „Zum Angeln kann man aber eigentlich immer kommen“, sagt Hilde Pedersen. Der Winter sei sogar die erfolgreichste Zeit im Jahr, da dann die Dorsche nicht nur auf den Lofoten, sondern auch im Vistenfjord den ganzen Tag jagen.

Aber Fischen ist nicht alles, was den Vistenfjord ausmacht. Wer die Augen von der Spitze seiner Angelrute weg über die Landschaft schweifen lässt, sieht an jeder Ecke die Schönheit Norwegens. Schroffe Felsen und blühende Wiesen. Schneebedeckte Berge in der Ferne. Das Meer, das sich mal fast schwarz, mal azurblau zeigt. Im Fjord streifen regelmäßig Schweinswale umher, die sich manchmal neugierig bis auf wenige Meter an ein Boot heranwagen. Am Himmel kreisen neben den Möwen auch Adler, die ab und zu von den Bergrücken bis hinab ins Wasser stoßen, um einen Fisch zu fangen. Über die Wiesen und Felder streifen am frühen Morgen Rentiere und Elche. In der Stille tummelt sich Leben – egal ob über oder unter der Wasseroberfläche.

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