Der Fall geht so: In einer hübschen Wohnanlage mit mehreren Blöcken leben zwei Katzen. An einem Ende Naomi, eine neugierige, freundliche und überall gern gesehene Katzendame. Sie ist seit acht Jahren hier. Am anderen Ende der Anlage wohnt Merlin. Er zog vor etwa zwei Jahren ein, ist ein schüchterner und ängstlicher Kater, der am liebsten nur nachts im Freien unterwegs ist. Bislang teilten sich beide Tiere friedlich das Revier.
Doch das ist seit Monaten vorbei. Nachdem Merlin mehrere Male ganz verstört und einmal sogar verletzt heimgekommen war, stellte seine Besitzerin eine Webcam im Garten auf. Sie wollte wissen, wer genau es auf ihr Katerchen abgesehen hat. In die Filmfalle tappte Naomi. Aufnahmen zeigen, wie sie Merlin anfällt, wenn dieser dabei ist, durch die Katzenklappe zu schlüpfen und sich in Sicherheit zu bringen. Naomi lässt auch dann nicht locker, wenn ihr Kontrahent sich schon drinnen befindet. Sie stupst immer wieder die Katzenklappe an, kann aber nicht hinein. Die Klappe ist mit einem Sensor versehen, der Merlins Mikrochip erkennt und nur ihm Einlass gewährt.
Am Ende landete der Streit der Katzen vor Gericht
Dieser Misserfolg sorgte bei Naomi für zunehmenden Frust. Sie patrouillierte immer öfter vor der Terrassentür auf und ab. Merlin traute sich schon bald nicht mehr hinaus. Als der kleine Kerl wegen Naomis Hartnäckigkeit sogar in der Wohnung nervös wurde, ließ seine Besitzerin Außenjalousien als Sichtschutz montieren. Ergebnis: Naomi fing an, sich an den Jalousien abzuarbeiten, zerkratzte und verbog sie, bis Merlins Frauchen eines Tages genug hatte. Sie verklagte Naomis Besitzerin auf Schadenersatz und Unterlassung.
Vor Gericht wurden zwischen Anwälten und Richter unterschiedliche Lösungsvorschläge diskutiert (Katzenkenner, bitte festhalten!): „Naomi darf nur noch in der Wohnung gehalten werden.“ – „Naomi muss ins Tierheim gegeben werden.“ – „Naomi und Merlin sollen in einen Raum gesperrt werden und sich ihre Probleme untereinander ausmachen.“
Die Lösung brachte schließlich ein kontrollierter Prozess
Idee eins ist nicht möglich, weil man eine Freigängerkatze nicht plötzlich einsperren kann. Sie wird daheim derartigen Terror verbreiten, dass es für die Besitzer unerträglich wird. Es ist schon schwer genug, wenn eine Katze aus gesundheitlichen Gründen ein, zwei Tage Hausarrest benötigt. Idee zwei scheidet vollkommen aus, denn Naomis Besitzerin liebt ihre Katze und bietet ihr ein gutes Zuhause. Und Idee drei versetzt beide Tiere in enormen Stress und Angst und kann blutig enden, wenn es keine Flucht- und Rückzugsmöglichkeiten gibt.
Diese Aspekte waren trotz ihres Konflikts auch beiden Katzenbesitzerinnen sofort klar. So durfte ich sie schließlich auf einem gemeinsamen Weg der Vergesellschaftung ihrer Katzen begleiten. Die Grundlagen dafür:
- Streitende Katzen müssen konsequent für mindestens eine Woche getrennt werden, damit sich die Wogen glätten können. Im konkreten Fall bekam jede Katze nur zu bestimmten Zeiten Freigang. Man informierte sich gegenseitig, wann die Luft rein war.
- Die erste Annäherung erfolgt über Gerüche. Die Besitzerinnen tauschten wechselseitig die Decken aus den Schlafkörben aus. Dazu gab es Leckerlis, um den Duft der anderen positiv zu besetzen.
- Kontrollierter Sichtkontakt, ohne dass die Tiere zusammenkommen. Das schafften die Damen, indem Merlin innerhalb und Naomi außerhalb der Terrassentür bespaßt wurde.
- Erste Begegnung im Freien unter Beobachtung. Die mutigere Katze blieb anfänglich noch in einer Box.
Ergebnis: Beim ersten Freigang trafen beide Katzen direkt vor der Webcam aufeinander. Sie hielten Abstand und bewahrten Ruhe. Merlin konnte sich entspannt in die Wohnung zurückziehen, ohne dass Naomi ihn attackierte oder an den Jalousien wütete. Friedensverhandlungen nach Katzenart mögen mühsam für uns sein, aber lohnend für das Wohl der Tiere. Und man kann sich Anwalts- und Gerichtskosten sparen.
Zur Person: Tanja Warter ist Tierärztin und verknüpft seit Jahren die Leidenschaft für die Tiermedizin mit dem Spaß am Schreiben.
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