
Der Abstand zum Nachbarn wird geringer - oder doch nicht?

Plus Mit der neuen Bauordnung sollte das Bauen einfacher und günstiger werden, doch es gibt kommunal unterschiedliche Regelungen. Was sich ändert und für welchen Sonderweg sich Günzburg entscheidet

Der Freistaat ändert die Bayerische Bauordnung, um das Potenzial für Nachverdichtung zu erhöhen und den Flächenverbrauch zu reduzieren. Künftig verringert sich somit der Mindestabstand zwischen Neubauten, oder etwa doch nicht? Denn jede Kommune kann für sich entscheiden, wie sie die Abstandsflächenregelung umsetzen will. So ist die Situation in Günzburg und Umgebung.
Die vom früheren Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr und heutigen Landrat Hans Reichhart initiierte Reform der Bayerischen Bauordnung hat der Landtag am 2. Dezember 2020 beschlossen. Das Ziel der Novellierung, die am 1. Februar, in Kraft tritt, ist eindeutig: Bauen soll schneller und einfacher möglich sein. Und es soll eine Nachverdichtung von Stadtkernen erleichtert werden – durch geringere Abstandsflächen als bisher. Der Kreis Günzburg soll bildlich gesprochen enger zusammenrücken. Soweit die Theorie, doch wie sieht es in der Praxis aus? Am Dienstagabend hat sich der Günzburger Stadtrat in einer Sondersitzung mit dem Thema befasst.
In Bayern gelten ab Februar geringere Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze
Wer bauen möchte, muss einen bestimmten Abstand zum Nachbarn einhalten. Aus gutem Grund, denn die Abstandsflächenregelung soll zum einen dem Brandschutz dienen und zum anderen für das Nachbargrundstück eine ausreichende Belichtung gewährleisten. Der Abstand beträgt derzeit die Wandhöhe (1H), mindestens müssen es aber drei Meter bis zur Grundstücksgrenze sein. Die Abstandsflächen werden durch die neue Bauordnung generell auf 40 Prozent der Wandhöhe (0,4H) reduziert, auch ein Teil der Dachhöhe kann je nach Dachneigung mit in den Abstand einfließen – der Mindestabstand von drei Metern bleibt erhalten. Durch den geringeren Abstand soll der Flächenverbrauch reduziert und eine Nachverdichtung ermöglicht werden. Der Gesetzgeber ermöglicht es allerdings, abweichende Abstandsflächen mittels kommunaler Satzung festzulegen.
Die Tatsache, dass die Abstandsflächen von jeder Kommune individuell geregelt werden, wird in der Praxis zu einigen Problemen führen, ist sich Dominik Rieder, Stadtrat in Thannhausen, sicher. „Hier würde viel Bürokratie und Abstimmungsaufwand für die Architekten entstehen, was letztendlich das Bauen wieder verteuert“, teilt Rieder mit. „Für unsere Neubaugebiete spielt die Novelle kaum eine Rolle, da hier die Abstandsflächen so gut wie nie kritisch sind“ erklärt Peter Finkel, Kreisrat und Gemeinderat aus Haldenwang. „Viele alte Hofstellen und Grundstücke im Ortskern sind jedoch sehr schmal und lang. Der Bestand steht hier oft direkt auf der Grenze. Hier ist die neue Regelung bahnbrechend und ermöglicht eine sinnvolle, dem Ortsbild entsprechende Bebauung.“
Großstädte wie Augsburg und München sind von neuer Regelung ausgenommen
Kommunen müssen bis zum 1. Februar entscheiden, ob sie eine eigene Abstandsflächensatzung erlassen wollen oder nicht. Haldenwang, Bubesheim und Burgau beispielsweise haben sich entschlossen, dies nicht zu tun, sondern die neuen Vorgaben umzusetzen. In Schwabmünchen oder Bad Wörishofen wurden eigene Satzungen erlassen. „Verwunderlich ist, dass die Metropolen Augsburg, Nürnberg und München das alte Abstandsflächenrecht behalten durften“, sagt Günzburgs Stadtbaumeister Georg Dietze. Günzburgs Stadträtin Angelika Fischer bezeichnete diese Ausnahme gar als beschämend, denn gerade in den Großstädten herrsche der größte Wohnungsdruck.
Dass eine eigene Satzung bezüglich der Abstandsflächen innerhalb von zwei Wochen verwirklicht werden muss, kommt in Günzburg nicht gut an. Ursprünglich war von den kommunalen Spitzenverbänden eine Übergangsfrist von ein bis zwei Jahren gefordert worden, um kommunale Satzungen bedenken und beschließen zu können. Aus den zwei Jahren wurden zwei Wochen, Oberbürgermeister Gerhard Jauernig kritisiert das scharf: „Als Vorsitzender des Städtetags in Schwaben bedaure ich diese kurze Frist sehr. Die Städte und Gemeinden müssen nun einen Spagat finden zwischen einer verträglichen und gewünschten Nachverdichtung und der Wahrung von Wohnqualität, nachbarschaftlichen Frieden, wirtschaftlichen Interessen sowie stadtklimatischen Erwägungen.“
Günzburg spricht sich deutlich gegen die 0,4H-Regelung aus
Im Günzburger Stadtrat gab es eine lange Diskussion, wie eine solche eigene Abstandssatzung aussehen soll. Einig waren sich fast alle Fraktionen, dass die 0,4H-Regelung für Günzburg unpassend sei. Die Verwaltung schlug einen Abstand von 0,7H vor. Profiteur von einem noch geringeren Abstand würden laut Stadtbaumeister Dietze Investoren und nicht die privaten Häuslebauer sein. Angelika Fischer (GBL/Grüne) sprach sich dagegen für einen Abstand von 0,6H aus. Damit würden auch kleine und ungünstig geschnittene Grundstücke für eine Bebauung attraktiver. Simone Riemenschneider-Blatter (SPD) lobte die prächtige Entwicklung der Stadt auch mit der 1H-Regelung; der Wert von 0,7H sei für sie allerdings ein gangbarer Kompromiss.
Hans Kaltenecker (UWB) sprach sich ebenso für diesen Abstand aus: „Es geht um Schadensbegrenzung. Flächeneinsparungen sind eher durch Tiefgaragen und nicht durch geringere Abstände möglich.“ Stephanie Denzler (CSU) empfand die 0,7H als nicht mutig genug und sprach sich für den Wert von 0,6H aus. Zudem regte sie eine Überprüfung der Satzung nach drei Jahren an, um eventuell eine Anpassung – in welche Richtung auch immer – durchzuführen. Ruth Abmayr (Freie Wähler) sprach von einer knappen Mehrheit in ihrer Fraktion für die 0,4H-Regelung, unterstützte aber wegen deren Aussichtslosigkeit auf Erfolg den Abstand von 0,6H.
Günzburg wird in drei Jahren den neuen Abstand von 0,6H noch einmal unter die Lupe nehmen
Und dieser Abstand von 0,6H wird in Zukunft in Günzburg auch gültig sein. Der Stadtrat entschied sich mit 21 zu neun Stimmen für diese Satzung, nachdem ein vorheriger Beschluss mit dem etwas größeren Abstand von 0,7H noch knapp mit 13 zu 17 Stimmen abgelehnt wurde. „Keinen Beschluss zu erzielen wäre das schlechteste Ergebnis gewesen“, zeigte sich Jauernig erleichtert, dass es trotz seiner flammenden Rede für die größere Abstandsregelung zumindest noch die 0,6H wurden. Nach drei Jahren wird über eine Fortführung oder Änderung der Satzung entschieden.
Und was bedeutet die neue Satzung konkret? Ein acht Meter hohes Gebäude mit Flachdach muss in Zukunft 4,8 Meter Abstand (0,6H) zur Grundstücksgrenze haben. Mit der bisherigen Bauordnung waren es noch acht Meter (1H). Hätte Günzburg keine eigene Satzung beschlossen, wären es in Zukunft sogar nur noch 3,2 Meter (0,4H) gewesen.
Wie bisher können die Abstandsflächen durch exakte Festsetzungen im Bebauungsplan noch vergrößert oder verkleinert werden – so wie in der Vergangenheit beispielsweise beim Lutz-Areal oder beim Guntia-Park geschehen.
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