
Ein bisschen Skandinavien: Darum lohnt sich ein Winterspaziergang im Obenhausener Ried

Plus Vogelschützer Franz Maier zeigt, weshalb sich auch im Winter ein Spaziergang durch das Obenhausener Ried lohnt.
Schnee und wabernde Nebelschwaden, fahles Sonnenlicht hinter Baumsilhouetten und eiskristallbedeckten Sträuchern: Eine unerwartet nordische Landschaft erstreckt sich gleich hinter dem westlichen Ortsrand von Obenhausen. Franz Maier aus Regglisweiler ist begeistert von ihrem „Charakter“. Seit 50 Jahren ist er Mitglied im Landesbund für Vogelschutz (LBV) und hat die mit dem Ausbau des Obenhausener Rieds verbundene Rückkehr und Inbesitznahme der Natur beobachtet. „Ein Winterspaziergang durchs Ried kostet nichts und ist doch voller Abenteuer“, findet Maier.

Warm eingepackt, das Fernrohr umgehängt und den Blick suchend nach oben gerichtet: So startet er seinen Gang ins winterliche Ried. Der Schnee hat alle Strukturen mit einer weißen Decke überzogen. Vogelschützer Maier erinnert das an die endlose Weite Skandinaviens, zumal einem auch im Ried ständig eine harsche Brise um die Ohren weht. „Ja ja, etwas Wind gibt es hier immer“, sagt er noch entspannt, um im nächsten Moment blitzschnell durchs Fernglas zu spähen und am Horizont einen sich im Schaukelflug bewegenden schwarzen Punkt zu analysieren: Ein roter Milan schwebt entlang einiger Baumreihen, um sich gegebenenfalls auf Nahrung zu stürzen. Mit etwas Glück könne man auch einen der Winterschlafplätze in den Pappelwipfeln im Süden des Rieds entdecken, so der Ornithologe. Rund 80 seien im Vorjahr gezählt worden. Die geschützten Tiere mögen es im Dunkeln gesellig, weiß Maier. „Es ist ein phänomenaler Anblick, wenn diese wunderschönen Greifvögel in der Abenddämmerung von allen Himmelsrichtungen her kommend in ihre Bäume fliegen“, beschreibt er das Naturerlebnis.
Vögel kommen, um hier zu überwintern
Buschgruppen, Birkenwäldchen und eine mit den aufragenden Wiesengräsern typische Moorlandschaft behagen auch den nordischen Wintergästen, weshalb sie in den hiesigen Breitengraden im Obenhausener Ried überwintern, erklärt Maier: „Besonders gespannt erwarten wir das Ankommen des Raubwürgers.“ Ab Oktober lasse sich der amselgroße schwarzweiße Vogel – meist ganz oben auf einer Buschspitze sitzend – von Weitem beobachten. Seit Jahren schon suche der Einzelgänger das Ried auf, der die Zweisamkeit nur in Zeiten der Paarung suche, sagt der Naturfreund. Doch gebe es dafür keine Gewissheit, mal sei er tagelang verschwunden, dann tauche er plötzlich wie aus dem Nichts wieder auf. Der Vogel ernähre sich im Winter hauptsächlich von Mäusen und kleinen Vögeln, die er von einer Sitzwarte aus jagt. Im Frühjahr ziehe er wieder Richtung Norden in sein Brutgebiet, wo hauptsächlich Großinsekten sein Futter bilden. „In Deutschland gilt der Raubwürger als hochgradig gefährdet“, informiert Maier. Noch während er spricht, raschelt es im benachbarten Gebüsch: Ein kleiner Zaunkönig nimmt Reißaus. Hoffentlich wird er nicht eben Beute des Raubwürgers.

Zu den besonders attraktiven Arten im Winter zählen die großen weißen Silberreiher. Vor ein paar Jahren noch eine extreme Seltenheit, stehen die Vögel jetzt in Trupps auf den Wiesen und lauern den Mäusen auf. Sie kommen hauptsächlich vom Neusiedler See zum Überwintern her und ziehen im Frühjahr wieder zurück. Nur wenige brüten bislang in Deutschland.
Ein weiterer Wintergast ist die Kornweihe. Der große Greifvogel falle sofort auf, sobald er ein paar Meter über der Wiese im Gleitflug nach Kleinvögeln und Mäusen Ausschau halte, erklärt Maier. Das Weibchen ist braun, mit einem großen weißen Bürzel, und das Männchen ein schöner, fast weißer Vogel.
Kreislauf der Natur ist das Jahr über gut zu beobachten
Um diese Wintergäste anzutreffen, brauche es neben Geduld ein Fernglas mit hellem Bild und guter Vergrößerung (7x42 oder 8x42). Und für den Laien zudem ein Bestimmungsbuch, rät der Experte.
Wer Interesse und wenig Zeit hat, kann sich auch über heimische, häufiger anzutreffende Vertreter freuen: Etwa über den Turmfalken, leicht an seinem Rüttelflug zu erkennen, bevor er sich auf die Beute stürzt. Oder den Mäusebussard, der auf einzelnen Pfosten sitzend lauert, bis sich am Boden etwas bewegt. Und noch eine tagsüber zu beobachtende Besonderheit im Ried zählt der Vogelschützer auf: die seltene Sumpfohreule.

Sind die Wintergäste abgezogen, entfaltet die Natur wieder all ihre seltene Schönheit, welche das Obenhausener Ried als FFH-Gebiet auszeichnet und ihm den Status der Schutzwürdigkeit eingebracht hat, wie der LBV-Kreisvorsitzende Franz Zeller sagt: „Im zeitigen Frühjahr blühen etwa die Schlüsselblumen auf den feuchten Wiesen. Die Grasfrösche beginnen Laichballen in den Tümpeln abzulegen und Kiebitze, aber auch durchziehende Vogelarten wie Bekassine, Schwarz- und Braunkehlchen sind zu beobachten.“ Im Mai wiederum beginnen die Orchideen zu blühen, Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken sind unterwegs und der Baumpieper ist zu hören. Nach dem Sommer überzieht die Herbstzeitlose so manche Wiese mit ihren hell-lilafarbenen Blüten. Wenn morgens erste Nebel aufziehen und die Feuchtigkeit in den Spinnennetzen hängt, habe der Spaziergang durchs Ried etwas Geheimnisvolles, sagt Zeller. Und der Kreislauf beginnt von vorne.
Bei wem nun das Interesse für die Natur im Ried geweckt ist, für den haben die Vogelschützer noch Tipps parat: bei der Wanderung auf den Wegen bleiben und durch Mithilfe bei Pflegemaßnahmen die Umwelt besser verstehen lernen. Näheres unter www.neu-ulm.lbv.de
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