
Dr. Stephan Kohl wird Maria: Darum wechselte ich mein Geschlecht


Warum der Weißenhorner Internist Dr. Stephan Kohl zu Maria Kohl wird. Trotz der zu erwartenden Aufregung gibt es für ihn – beziehungsweise sie – „keinen Grund abzuhauen“.
Die vergangenen Tage waren für das Praxisteam des Weißenhorner Internisten Dr. Stephan Kohl etwas anstrengender. Die Angestellten mussten zusätzlich zum normalen Alltagsgeschäft 1500 Briefe fertigmachen. Die enthalten jedoch keine Diagnosen, Atteste oder Rechnungen, sondern etwas, das sie noch nie verschickt haben: Die Ankündigung, dass ihr Chef vom kommenden Montag an nicht mehr der Herr Doktor, sondern die Frau Doktor ist. Stephan Kohl ist transsexuell und zeigt sich nun so, wie er sich schon fast sein ganzes Leben lang empfindet: weiblich. Er legt dann auch seinen Vornamen ab und heißt künftig Maria.
Wie werden die Patientinnen und Patienten reagieren, wenn ihnen ihr vertrauter Arzt entgegentritt, dezent geschminkt und die Haare zu einem modernen Bob geschnitten – unverkennbar eine Frau? Seine sanfte Stimme jedoch mit diesem weichen niederbayerischen Einschlag, die wird ihnen sicher vertraut vorkommen. Auch sonst tritt ihnen ja kein völlig fremder Mensch gegenüber. Zumindest sieht es Stephan Kohl so, wenn er sagt: „Die Person, die anders aussieht, ist ja die gleiche Person, die sie immer war.“ Ein Mensch eben mit sehr weiblichem Kern im Körper eines hochgewachsenen Mannes.
Erst jetzt den Mut gefunden
Doch dass dieser Mann vielleicht so ganz anders tickt, das haben wohl nur sehr sehr wenige gespürt, dieses unbestimmte Gefühl aber nicht zuordnen können. Dass Äußeres und Inneres aber manchmal nicht zusammenpassen – wer soll das schon ahnen? Jetzt, mit 56 Jahren, ist es Zeit, „außen“ und „innen“ zusammenzuführen, findet Dr. Kohl, eben vom Stephan zur Maria zu werden.
Erst jetzt hat er den Mut dazu gefunden, deshalb nennt er sich „spätberufen“. Irgendwann „da muss man es packen“, sonst hätte er das Gefühl, dieses Leben nicht richtig gelebt zu haben.
Schon als Kind hatte sich Stephan anders gefühlt als seine Freunde. Mit denen wollte er nicht draußen rumziehen und das tun, was Buben eben so tun: Bolzen, Bandenkriege führen, Raufen. Wenn sein Vater mit seinen beiden Brüdern draußen im Garten rumtobte, blieb er lieber bei seiner Mutter in der Küche und half ihr beim Kuchenbacken. Er wollte das tun, was seinem Gefühl nach eben Mädchen tun. Wenn im Fernsehen ein Western oder ein Abenteuerfilm lief, mochte er nicht die Helden, sondern identifizierte sich mit den Heldinnen, und bei den rauen Cowboys wollte er sowieso nicht sein.
Zu welchen absurden Gedanken so ein verstecktes Leben bei einem Kind führen kann, zeigte sich immer dann, wenn der Schularzt zur Reihenuntersuchung kam: „Ich hab immer gehofft, er entdeckt, dass ich ein Mädchen bin. Aber wie er das tun sollte, das wusste ich auch nicht“, erinnert sich Stephan Kohl. Er war ja unverkennbar ein Bub.
Konnte nie typische Männerfreundschaften eingehen
Allerdings haben wohl manche seiner Schulkameraden durchaus gemerkt, dass er irgendwie anders tickt. So traf er vor wenigen Jahren einen Freund von damals wieder, dem er sich in seiner neuen, wahren Identität offenbarte. Da dämmerte es dem anderen. Der konnte nie diese typischen Männerfreundschaften eingehen, nur mit Stephan „konnte“ er hervorragend. „Er hat schon irgendwie gemerkt, dass ich anders bin. Aber gerade deshalb hat er sich so gut mit mir verstanden.“
Transsexuelle wie Stephan Kohl, also Menschen, die sich eigentlich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, wurden in den 60er und 70er Jahren nicht akzeptiert. Deshalb hätte er sich in dieser Zeit niemals getraut, sich zu offenbaren.
Doch das gesellschaftliche Klima ist in dieser Beziehung seit den 80er Jahren freier geworden – wenn auch nicht überall. So erinnert sich Stephan Kohl nur mit Schaudern an eine Begebenheit in den 90er Jahren. Da war er schon etablierter Arzt, verheiratet und Vater dreier Kinder. Er hatte davon gehört, dass sich in Augsburg eine Selbsthilfegruppe für Transsexuelle gründen sollte. Da wollte er dabei sein. Doch die Umstände – ein kirchlicher Gemeindesaal in einer recht runtergekommenen Gegend – verhießen nichts Gutes.
Frau hat immer zu ihm gehalten
Es wurde dann auch nicht gut. Als Referent trat ein „strammer Polizist“ auf, der unter anderem erzählte, in Augsburg würde ein Mann in Frauenkleider sofort festgenommen, weil vermutet werde, dass er in diesem Aufzug eine „strafbare Handlung“ begehen wollte. Stephan Kohl: „Ich bin völlig deprimiert heimgefahren und dachte: nie mehr wieder.“
So blieb er erst mal weiter der gestandene Herr Doktor „mit Vollbart und Bierbauch“, wie er sich selber skizziert. Einst war er Oberarzt an der Klinik in Weißenhorn, dann ließ er sich für vier Jahre in Illerberg nieder und eröffnete schließlich 2009 seine Praxis im ehemaligen Schwesternwohnheim beim Krankenhaus.
Doch irgendwann war die Zeit reif, den entscheidenden Schritt öffentlich zu vollziehen. Seiner Frau hatte er sich schon vor 25 Jahren offenbart. Sie hat weiter zu ihm gehalten. Auch verschiedenen alten Bekannten präsentierte sich Stephan Kohl als Maria – und niemals gab es Probleme, wie er sagt. Aber würde es auch funktionieren, wenn er seinen Patienten als das entgegentreten würde, als was er sich fühlt: als Frau?
"Praxis zuzusperren kam nicht infrage"
„Die Praxis deswegen zuzusperren, das kam für mich nicht infrage.“ Also wagte er das, was er einen Aufbruch nennt und informierte im Frühsommer seine Angestellten. Die hätten sehr positiv reagiert, sagt er. Kurze Zeit später lud er sie zu sich nach Hause ein und zeigte sich so, wie er von Montag an jeden Tag in der Praxis stehen würde, als Frau. „Es wurde ein wundervoller Abend“, erzählt Stephan Kohl und freut sich, dass keine ihm den Rücken kehren wird: „Ich fand das so toll, ich habe das Gefühl, das hat uns noch mehr zusammengeschweißt.“
Was aber am Montag sein wird, wenn die ersten Patienten zur Sprechstunde kommen, mag er sich noch nicht ausmalen, obwohl er, wie er sagt, guten Mutes ist. Sicherlich, alle in seiner Kartei haben den Brief bekommen, ebenso wie zahlreiche Ärztekollegen oder Apotheken. Sie sollten also alle Bescheid wissen.
Aber Information ist das eine, doch wie die Menschen in Weißenhorn damit umgehen, das andere. Der künftigen Frau Doktor scheint davor nicht bange. Zunächst sei es wichtig gewesen, an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor die Gerüchteküche in der Stadt zu brodeln beginnt. „Da hilft nur Offenheit, es gibt keinen Grund abzuhauen. Und wenn’s jeder gesehen hat, dann ist es auch irgendwann wieder vorbei“, glaubt der Arzt.
Er hat sich vor seiner ungewöhnlichen Aktion Rat bei Susanne Huber aus Babenhausen geholt. Die präsentierte sich vor fast zehn Jahren der erstaunten Öffentlichkeit im Markt als Frau. Auch sie, die einst prominentes Mitglied der Ortspolitik war, schrieb Briefe und erklärte darin, dass sie künftig nicht mehr Hans-Werner, sondern Susanne Huber sei. Die Aufregung war zunächst groß, was allerdings auch an einem eher unglücklichen Umstand lag: Die Schreiben steckten ausgerechnet am 1. April im Briefkasten, weshalb nicht wenige zunächst an einen ziemlich schlechten Scherz glaubten. Dieser Lapsus ist Stephan Kohl nicht unterlaufen. Und wenn ihn trotzdem erst mal viele weiterhin mit „Herr Doktor“ anreden, „so ist mir das wurscht“, sagt er auf gut bayrisch. Aber Dr. Kohl hat endlich das getan, was er beziehungsweise sie schon lange tun wollte. Nein, musste.
Die Diskussion ist geschlossen.