"Ich hatte das Gefühl, alle zeigen mit dem Finger auf mich"
Mutter, 27 Jahre, Königsbrunn:
Ich wurde 2014 mit unserem ersten Sohn schwanger. Als junge werdende Mama habe ich natürlich alle Zeitschriften rund ums Thema Elternwerden verschlungen. Auch vom Gynäkologen bekommt man in dieser Zeit Unmengen an Broschüren und Infozeitschriften übers Schwangersein und die Zeit danach. In annähernd jeder Zeitschrift und Broschüre wird den werdenden Müttern direkt vorgebetet, dass das Stillen die absolut einzige und beste Methode ist, sein Neugeborenes zu ernähren. Also habe natürlich auch ich mich dazu entschieden zu stillen, etwas anderes habe ich gar nicht in Betracht gezogen.
Mir graute davor, den Kleinen wieder anzulegen
Als mein Sohn geboren war, wurde mir noch im Kreißsaal geholfen, ihn zu ersten Mal anzulegen. Zuerst klappte alles ganz wunderbar. Doch schon am nächsten Tag war mir klar, dass ich es bei weitem nicht so schön finde, wie es mir angepriesen wurde. Mein Sohn war bei Geburt sehr groß und schwer und hatte demnach schon ziemlich zügig großen Hunger. Ich legte ihn immer wieder an, aber er wurde nicht satt, sodass ich bereits am nächsten Tag damit begonnen habe, ihn mit Fläschchen zuzufüttern. Durch das häufige und teils über eineinhalb Stunden lange vergebliche Anlegen, hatte ich große Schmerzen. Mir graute davor, den Kleinen ein weiteres Mal anzulegen. Die Schwestern und die Hebammen waren alle sehr freundlich und hilfsbereit, dennoch merkte niemand, wie sehr mich diese Situation, mein Kind nicht ernähren zu können, belastete und alle redeten immer wieder auf mich ein, ich solle weiter machen. Denn wenn man sich einmal für das Stillen entschieden habe, solle man dies auch durchziehen.
Ich rutschte in eine Depression
Dadurch dass mein Sohn durch einen Kaiserschnitt geboren ist, waren wir sechs Tage im Krankenhaus. So quälte ich mich mit wahnsinnigen Schmerzen von einem Tag zum anderen. Am dritten Tag wurde mir empfohlen abzupumpen, um die Milchproduktion anzuregen. Hier zeigte sich dann, warum mein Sohn vor Hunger wie verrückt schrie: Am gesamten Tag kamen nur ca. 40 Milliliter Muttermilch zusammen. Leider war jetzt auch klar, dass mich diese ganze Situation so stark belastete, dass ich in eine Depression rutschte. In weinte den ganzen Tag. Meine Familie, die mich besuchte, registrierte ich nicht mehr. Ich war wie in einer anderen Welt. Mir wurde klar, dass ich meinem Kind nicht die beste und so sehr angepriesene Ernährung geben kann. Ich hatte das Gefühl, alle um mich herum halten mich für eine schlechte Mutter und zeigen mit dem Finger auf mich.
Nur durch meine Familie und vor allem durch meinen Mann konnte ich von dem Gedanken, unbedingt stillen zu müssen, abkommen und habe nach einem langen Gespräch mit meiner Hebamme begonnen, meinen Sohn mit dem Fläschchen zu ernähren. Das Resultat war, mein Sohn war zufrieden, ausgeglichen und vor allem satt. Mir ging es langsam wieder besser. Außerdem war es sehr schön zu sehen, dass auch mein Mann diese Nähe und Bindung aufbauen konnte, indem er zwischendurch das Fläschchen geben konnte.
Heute bin ich sehr glücklich mit der Flasche
Es ist wirklich sehr schön zu sehen, wie Bekannte und Freundinnen ihr Kind von Anfang an und ohne Probleme voll stillen. Auch ich wünsche mir immer noch, ich könnte es so wie so viele andere. Dennoch habe ich mich bei meinem zweiten Sohn, der 2017 geboren ist, dazu entschieden, ihn nicht zu stillen und ihn mit der Flasche zu ernähren. Ich bin sehr glücklich damit.
Ich finde es wichtig, dass alle werdenden und gerade "Neu-Mamas" sich richtig zum Thema Stillen informieren und vor allem auch bei Müttern nachzufragen, die diese Entscheidung bereits getroffen haben. Denn Erfahrungen von "echten" Mamas sind mehr wert als diese Zeitschriften, in denen jeden Tag die Sonne scheint. (lea)
Dieser Text ist ein Teil unseres Wochenend-Journal-Schwerpunktes "Kampfzone Mutterbrust" zum Thema Nicht-Stillen. Mehr als 50 Frauen aus der Region haben sich daran beteiligt und ihre Geschichten erzählt. Die weiteren Gesprächsprotokolle finden Sie unter
Kampfzone Mutterbrust: Harter Streit um die Milch fürs Baby
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