Das Kind der Gebietsreform
Für unsere Autorin hat der Stichtag eine besondere Bedeutung.
Schon als Kind war ich unheimlich stolz auf mein Geburtsdatum: Nicht nur, weil ich immer an meinem Geburtstag schulfrei hatte, sondern auch weil der Maifeiertag in Bayern einfach etwas besonderes ist – Maibaumaufstellen und Maiandacht inklusive. Erst als Erwachsene wurde mir klar, dass ich tatsächlich an einem historischen Datum geboren bin: Jenem 1. Mai 1978, an dem in ganz Bayern unzählige kleinere Orte in größere Nachbarkommunen eingemeindet wurden. Nicht überall hat man sich an diesem Tag so sehr gefreut, wie es meine Familie vermutlich angesichts meiner Ankunft getan hat. So viel hatte ich schon zu Grundschulzeiten begriffen. Auch mein Heimatort Breitenthal war von der Reform betroffen – und die Nattenhauser noch Jahre später ziemlich unglücklich, dass die Nachbarn auf der anderen Seite der Günz ihren Ort eingemeindet hatten. So fanden wir, 18 Schülerinnen und Schüler, uns zwar in einer eigenen Klasse der Grundschule Deisenhausen wieder, zwei wunderbare Schuljahre lang sogar als einzige Klasse in der Filiale Breitenthal. Doch der Unterschied zwischen den Ortsteilen wurde nach wie vor betont. Wir wuchsen auf mit Geschichten über Radtouren, bei denen man demonstrativ weg geschaut hat, als die aus dem Nachbarort ins Blickfeld kamen, und von Streichen, die man sich gegenseitig spielte.
So ganz ausräumen konnten wir die Unterschiede bis zum Ende der Grundschulzeit nicht mehr. Obwohl meine beste Freundin aus Nattenhausen kam und mein viel zu früh verstorbener Opa ebenfalls von dort stammt. Selbst heute gibt es immer noch in beiden Ortsteilen eigene Musiker und eigene Feuerwehrleute, eigene Feste und Feiern, eigene Pfarrgemeinderäte. Dafür klappt es aber auf politischer Ebene: Spätestens bei der Bürgerversammlung treffen wir uns alle. Und unser Sportverein ist Breitenthalern und Nattenhausern eine gemeinsame Herzensangelegenheit.
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