
Im Zentrum des digitalen Nervensystems in Ursberg

Corona legt den Stand der Digitalisierung offen. Wie das Ringeisen-Werk mit der Krise zurecht kommt
Ein rund 60 Quadratmeter großes Gemeinschaftsbüro. Sechs Schreibtische sind paarweise angeordnet. Sie tragen jeweils mehrere Monitore, Computer und Tastaturen. Auf einigen Arbeitsflächen sind zudem Laptops aufgeklappt. Kartons, in denen Notebooks und Smartphones gesteckt haben, sind im Raum gestapelt. Nein, gemütlich geht es hier nicht zu. Eher herrscht konzentrierte Geschäftigkeit. Dass es sich bei diesem kreativ-chaotischen Raum um die Schaltstelle, das Zentrum des digitalen Nervensystems des Dominikus-Ringeisen-Werks handelt, lässt höchstens der von allen Plätzen einsehbare Bildschirm erahnen, der wie ein fahrbares Schild auf einem speziellen Gestell im Raum steht. Auf ihm ist ein großes, Bayern umspannendes Netz von Computeranbindungen zu sehen. Symbole in Ampelfarben zeigen, ob das DRW-Netz gerade funktioniert oder ob es irgendwo Probleme gibt.
Heute arbeiten hier, in der so genannte „Systemadministration“, kurz „IT“ (für Informationstechnik) des Dominikus-Ringeisen-Werks in Ursberg, nur drei der ansonsten sechs Mitarbeiter. Die übrigen Kollegen sind im Corona-Homeoffice. Jeder der Experten hat gerade einen anderen Gesprächsteilnehmer an der Strippe seines Headsets. Am anderen Ende der Leitung sind Menschen, die an einer der über 70 Einrichtungen des Dominikus-Ringeisen-Werks irgendwo in Bayern arbeiten. „Die Anrufer brauchen eine schnelle, unbürokratische Lösung für ihre digitalen Probleme, mit denen sie selbst nicht mehr zurechtkommen“, fasst Peter Pechtold, Leiter des Referats IT, die Szene zusammen. Mal streikt das Internet und bremst den eh schon knapp kalkulierten Arbeitsablauf empfindlich aus, mal sitzt das Problem eher vor dem Computer. „Hier braucht keiner Angst zu haben, sich zu blamieren“, sagt Peter Pechtold. Und indem sich die IT-Experten via Fernwartung auf die Rechner der Anrufer aufschalten, können sie das Problem meist schon schnell identifizieren. Sie installieren Programme, führen Updates durch, räumen auf, was in der digitalen Welt des Nutzers nicht am richtigen Platz ist und reparieren, was nicht mehr funktionieren will. Die Spezialisten sorgen für Datensicherheit, vergeben Benutzerrechte, bestücken neue Computer mit Anwenderprogrammen und richten Dienst-Smartphones ein. „Business as usual“ – normaler Betrieb, bis hierher.
Doch dann kam Corona – und über Nacht brachte die Pandemie eine ganz neue Dynamik in dieses Aufgabengebiet: Um Ansteckungen zu vermeiden, mussten binnen weniger Wochen ca. 300 Homeoffice-Arbeitsplätze geschaffen werden. So konnten etwa die Personalreferenten im Schichtbetrieb arbeiten oder Pflegekräfte in Quarantäne ihren überlasteten Kollegen auf den Wohngruppen beim Schreibkram helfen. Es wurde in einer Nachtaktion die Technik für ein „Corona-System“ aus dem Boden gestampft. Dieses ermöglicht – mehrfach abgesichert – vom Zuhause des Mitarbeiters aus den Zugang zu den Programmen und Daten auf den DRW-Rechnern. Parallel wurden Videokonferenzen etabliert. „Notfallkoffer“ für Klienten, die ihre Angehörigen aufgrund der Besuchseinschränkungen wenigstens per Skype sehen wollten, wurden gepackt. Ihr Inhalt: Ein vorinstalliertes Tablet samt Zugangsgerät für das Funknetzwerk. Dass all dies so gut und in kürzester Zeit gelang, ist laut Peter Pechtold auf die gute Vorbereitung zurückzuführen, die schon Jahre vorher begonnen, und, „Gott sei Dank“, rechtzeitig vor dem Beginn der Pandemie, die keiner vorausahnte, abgeschlossen werden konnte. Denn von Ursberg aus weben der 59-jährige Diplom-Informatiker und seine Kollegen ein unsichtbares Datennetz zu Computern in Wohnheimen, Büros, Werk- und Förderstätten. Rund 2000 Personal-Computer, Laptops, Tablets und Smartphones werden vom Team der Systemsteuerung betreut. Von der sprichwörtlichen Spinne im Netz gibt es hier sogar zwei: Aus Sicherungsgründen sorgen zwei gespiegelte Rechenzentren an unterschiedlichen Standorten und Leitungswegen dafür, dass keine Daten verloren gehen und zumindest doppelt abgesichert sind. Diese digitale IT-Infrastruktur ist hochkomplex und in ständiger Bewegung.
In sozialen Einrichtungen herrschen neben den pflegerischen und pädagogischen Tätigkeiten längst Bits und Bytes. Ohne vielfältige digitale Helfer würde die Kernaufgabe in allen Berufsfeldern, also auch in den Werkstätten, Handwerksbetrieben, Heizungs- und Energieversorgungseinrichtungen oder der Großküche nicht mehr funktionieren. Protokolle, Baupläne, Dokumentationen, Handbücher und Formulare liegen heute nicht mehr ausgedruckt auf Schreibtischen. Sie werden von einem der Zentralcomputer bereitgestellt. Elektronische Dienstpläne, wichtige Informationen rund um die Klienten in einer Dokumentationssoftware, Intranet und das E-Mail-System sind zu lebenswichtigen Instrumenten des Sozialunternehmens geworden. Jedes für sich alleine würde allerdings nur wenig nützen. Erst im Verbund, in ihrer Vernetzung miteinander, entfalten sie ihr volles Potenzial.
Sie sind Straßenbauer und Polizisten in einem
So kümmern sich Peter Pechtold und sein Team bei Weitem nicht nur um Word, Excel, Outlook oder Datenbanken. Sie sind Straßenbauer und Polizisten in einem, die für den geordneten Datenverkehr sorgen und digitale Geisterfahrer möglichst früh stoppen. Eine ihrer täglichen Herausforderungen besteht darin, das DRW-Datennetz zur Datenautobahn für immer komplexere Anwendungen auszubauen. „Mit Kisten schieben und reparieren hat das schon lange nichts mehr zu tun“, sagt der erfahrene IT-Manager Peter Pechtold. Sein Team möchte vielmehr auch diejenigen DRW-Einrichtungen, die sich eher an der digitalen Landstraße befinden, eine Auffahrt auf die schnellere Datenautobahn ermöglichen, um sie ans Netz mit seinen vielen Möglichkeiten anzubinden. „Wir sind mit dem DRW halt nicht in München, wir sind dort, wo es ländlich ist. Da merkt man schnell, wo wir in Deutschland in Sachen Digitalisierung stehen“, urteilt Peter Pechtold.
Mit dem schnellen Netz werden immer mehr Anwendungen möglich. Schon heute arbeitet die Holzverarbeitung in Ursberg mit einer computergesteuerten Säge. Das dortige komplexe Energie- und Heizkraftwerk kann ohne die Hilfe des Rechners nicht gesteuert und überwacht werden. Die im Bau befindliche Großküche bekommt digitale Kochtöpfe, die ebenfalls ans Datennetz angeschlossen werden sollen. Der Einsatz von Datenbrillen und Pflegerobotern wird im DRW längst erprobt. Und auch die drei Ursberger Förderzentren träumen von digitalen Klassenzimmern. „Die Fliehkräfte und Verlockungen der Internets bzw. einer externen Cloud sind hoch und man muss sehr aufpassen, dass man die Füße auf dem Boden behält“, sagt Peter Pechtold. Dass das DRW im Corona-Jahr 2020 über eine so leistungsfähige IT-Infrastruktur verfügt, erfüllt ihn mit einem gewissen Stolz. Vor allem auch deshalb, weil man in der Sozialwirtschaft mit deutlich weniger finanziellen Ressourcen als in der Industrie oder im Krankenhaussektor auskommen müsse. Corona hat in der Sozialwirtschaft einen neuen Digitalisierungsschub ausgelöst. „Darauf sind wir im Dominikus-Ringeisen-Werk sehr gut vorbereitet“, sagt Peter Pechtold selbstbewusst.
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