Ken Follett über den Brexit: „Wir schämen uns“
Der britische Bestseller-Autor ist ein leidenschaftlicher Kritiker des Rückzugs aus der EU. Deshalb ist ihm eine bevorstehende „Freundschaftstour“ quer durch Europa auch so wichtig.
Mr. Follett, Sie gehen gemeinsam mit drei anderen britischen Autoren auf „Freundschaftstour“ durch Europa. Warum halten Sie das für nötig?
Ken Follett: Wir schämen uns und sind verärgert und beunruhigt über die politischen Ereignisse der letzten drei Jahre im Königreich. Wir haben das Gefühl, unseren europäischen Nachbarn wird der Eindruck verliehen, dass die Briten sie nicht mögen, dass wir nicht Teil Europas sein wollen. Das stimmt in unserem Fall nicht, im Gegenteil. Wir selbst betrachten uns als Erben einer unglaublich reichen Tradition der europäischen Literatur und wir stehen auf den Schultern von Giganten der Schriftstellerkunst wie Johann Wolfgang von Goethe in Deutschland, Giuseppe Tomasi di Lampedusa in Italien, Victor Hugo in Frankreich oder Miguel de Cervantes in Spanien. Ich will mich nicht mit diesen großen Schriftstellern vergleichen, aber wir profitieren von ihnen. Insbesondere aber freuen wir uns und sind stolz darauf, dass Millionen von Menschen unsere Geschichten in ihrer jeweiligen Sprache lesen. Ihnen wollen wir mit der Tour sagen: Wir hassen euch nicht. Wir wollen nicht von euch getrennt sein. Wir wertschätzen euch.
Sie haben den Brexit als Katastrophe bezeichnet. Richten Sie sich mit ihrer Tour nicht an ein falsches Publikum? Warum reisen Sie nicht durch Großbritannien?
Follett: Mein Gefühl ist, dass der Zug abgefahren ist. Im Moment ist jeder nur sehr wütend. Und ich meine jeden. Ich ärgere mich darüber, dass wir die EU verlassen, und die andere Seite ist verärgert, dass der Brexit noch nicht umgesetzt wurde. In vielen Familien wird nicht einmal mehr über das Thema geredet, weil alle zu emotional werden. Im Übrigen denke ich nicht, dass ich nur den Hauch einer Chance habe, die Meinung der Menschen in diesem Land zu ändern, die die EU verlassen wollen. Sie lassen sich nicht überreden. Der Grund, warum diese Auseinandersetzungen so unergiebig sind, ist, dass Pro-Europäer dazu neigen, ihren Fokus auf Freundschaften und Verbindungen mit anderen Staaten zu legen. Es gibt deshalb keinerlei Gemeinsamkeit mit Leuten, die meinen, Großbritannien sei so großartig und besser dran, wenn es auf sich alleine gestellt ist. Ich spreche von jenen, die keine Einwanderer und Ausländer wünschen. Man kann nur eine Debatte führen mit jemandem, mit dem man eine gemeinsame Basis teilt.
Ken Follett, der traurige Optimist
Das klingt sehr düster und als ob Sie aufgegeben hätten.
Follett: Ja. Ich bin traurig, obwohl ich von Natur aus ein Optimist bin. Wenn ich auf die letzten 100 Jahre zurückblicke, sieht es so aus, als hätten wir gewaltige Fortschritte erzielt. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft hat sich grundlegend geändert. Und vor einem Jahrhundert war es noch ein Verbrechen, schwul zu sein. Unsere Demokratie ist besser als damals, die Leute sind besser ausgebildet. Die Menschheit sollte nach meinem Verständnis diese tolle Entwicklung weiterführen. Jetzt aber muss ich erkennen, dass es keine Garantie gibt. Wir können uns auch rückwärts bewegen. Die Menschen, die Ausländer ablehnen, haben gewonnen. Für uns vier Autoren geht es deshalb jetzt darum, unseren Nachbarländern zu versichern, dass wir den Wert des internationalen Ideenaustausch schätzen, insbesondere in der Literatur.
Fürchten Sie Folgen für den kulturellen Bereich?
Follett: Langfristig gesehen ja, denn diese internationale Verbindungen, die wir pflegen, sind sehr bereichernd. Wir vier haben alle deutsche, französische, spanische und italienische Literatur gelesen und davon profitiert. Das ist es doch, was Kultur ausmacht. Sie ist so viel besser, wenn sie Inspirationen kombiniert und Ideen von unterschiedlichen Orten, Sprachen und Ländern vermischt. Eine Kultur, die engstirnig ist, ist tot.
Nun stehen sich mit Boris Johnson und Jeremy Hunt gerade zwei konservative Kandidaten gegenüber, die um den Einzug in die Downing Street kämpfen, beide wollen den Brexit noch in diesem Jahr durchsetzen. Wer wäre Ihnen lieber?
Follett: Ich persönlich denke, dass es weder der eine noch der andere richtig machen könnte. Da gibt es für mich keinerlei Aussicht darauf. Natürlich weiß niemand, was passieren wird, aber ausgehend, von wo wir gerade stehen, erkenne ich keinen Weg, wie es zu einem glücklichen Ende dieses Streits kommen könnte. Boris Johnson ist ein Clown. Aber ein törichtes Land bekommt einen törichten Premierminister.
Sie beschreiben sich als Optimist. Gibt es etwas Positives, das bei dem Brexit-Drama herauskommen könnte?
Follett: Das einzig Gute, das mir einfällt, ist, dass andere Länder niemals die EU verlassen werden wollen, nachdem sie gesehen haben, was passiert. Der Brexit mag paradoxerweise die EU gestärkt haben. Griechenland oder Italien schauen sich uns an und werden sich sagen: Nein, das machen wir nicht.
"Unsere Kultur ist international", sagt Follett
Großbritannien galt immer als besonders weltoffen, international und pragmatisch. Was ist Ihrer Ansicht nach schiefgelaufen?
Follett: Das Land muss damit umgehen, dass es einst die größte Nation, das mächtigste und reichste Land der Welt war, das aber nicht mehr ist. Aus unerfindlichem Grund denken noch immer viele in dieser Kategorie. Das ist unser Problem. Wenn Menschen behaupten, dass wir Europa nicht brauchen und damals gut alleine zurechtkamen, kann ich nur sagen: Nun, vor 150 Jahren mögen wir Erfolg gehabt haben, aber die Zeiten ändern sich. Die Welt ändert sich. Und niemand ist ganz auf sich gestellt besser dran. Unser Wohlstand basiert auf internationalen Geschäftsbeziehungen, unsere Kultur ist international. Es fällt Briten schwer, das anzuerkennen. Man hört ständig in Auseinandersetzungen: Wir haben den Krieg gewonnen. Dabei wissen wir, dass die Wehrmacht von der Roten Armee besiegt wurde, den Russen. Viele Briten denken, es waren die Royal Air Force, die Luftstreitkräfte des Königreichs.
Die Briten als Befreier Europas – das Narrativ wird gerne von der Politik benutzt. Wurde es nicht auch stark von britischen Schriftstellern geprägt?
Follett: Das ist wahr. Es gibt viel Literatur darüber, wie heroisch die Briten im Zweiten Weltkrieg waren, und meiner Meinung nach sollte die Literatur jetzt beginnen, wahre Fakten wiederzugeben. Ich hoffe, meine Bücher haben da einen kleinen Beitrag geleistet. Historische Romane müssen die tatsächlichen historischen Entwicklungen erzählen. Auf der anderen Seite muss man aber auch Helden haben.
- Der britische Bestseller-Autor Ken Follett (70) hat über 30 Bücher veröffentlicht und mehr als 170 Millionen Exemplare verkauft. Einige seiner Romane, die in 37 Sprachen übersetzt wurden, sind verfilmt worden, wie etwa „Die Säulen der Erde“. Follett ist in zweiter Ehe mit Barbara Follett verheiratet, einer ehemaligen Labour-Abgeordneten, und lebt mit ihr in der Grafschaft Hertfordshire sowie in London.
Die Diskussion ist geschlossen.
Mr. Follett, please don’t apologise or play innocent - England never ever felt European.