Etwas zum Staunen
Die Buchbranche erfindet das Publizieren gerade neu, sagt Messedirektor Juergen Boos. Und fragt sich, wie sie in elektronischen Zeiten erfolgreich bleiben kann.
Wie schön, wenn einem vorgelesen wird. Selbst, wenn man gar nichts versteht und dem kleinen Jungen mit seiner Hornbrille und seinem breit gestreiften Pullover lediglich auf einer Leinwand zusehen kann, wie er laut und auf isländisch aus seinem Lieblingsbuch liest, die Seiten mit den Fingern festhält, umblättert. Ganz ernst und versunken. So wie eben auch der ältere Herr vor dem dunklen Bücherregal oder der junge Mann mit dem Piercing am Nasenrücken.
Island liest und Frankfurt hört zu
Island liest und Frankfurt hört zu. Auf der 63. Buchmesse zeigt der Ehrengast in Filmen auf großen Leinwänden und auf Fotos, wie es bei ihm zu Hause in den guten Stuben aussieht. Ohrensessel, Designersofas, Glastische, Zimmerpflanzen, moderne Regale und alte hölzerne, alle aber vollgestellt mit Büchern. So gemütlich also ist es in Island und der eine oder andere, wird vermutlich mit ein wenig Melancholie den Pavillon verlassen, um dann auf dem Messegelände in eine ganz andere Welt der Bücher einzutauchen.
Von Content statt von Büchern reden
Eine, in der man gar nicht mehr unbedingt von Büchern spricht. Sondern lieber von Content, Inhalt, und in der Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, am Eröffnungstag schöne und weniger schöne Geschichten erzählt. Dass zum Beispiel jetzt schon 60 Prozent aller elektronischen Bücher illegal heruntergeladen werden und das „auf einem Markt, der gar noch gar nicht so richtig da ist.“ Die Piraten also seien den Verlegern und Händlern voraus, „das macht uns sehr unruhig.“ Auch, weil die Politik bemerkenswerterweise nichts tue, um das Urheberrecht im Netz zu schützen.
Soweit zu dieser Geschichte; eine andere, schönere, erzählt Honnefelder so: Vor ein paar Wochen hätten in Frankfurt 150 Verleger und Buchhändler über die Zukunft der Branche diskutiert und – Atempause – „alle, die da waren, gehen davon aus, dass der Buchmarkt wächst“. Und das trotz eines geschätzten Umsatzrückganges in diesem Jahr von etwa zwei bis drei Prozent. Auch die Buchhändler seien guten Mutes, dass sie weiterhin etwa die Hälfte des gesamten Umsatzes der Branche halten. So wie es Honnefelder erzählte, klang es ein wenig so, als müsse er Mut machen, ein wenig von der Angst nehmen, mit dem Buch könne es in digitalen Zeiten bald zu Ende gehen. Und damit auch mit den schönen Bücherstuben, wie sie die Isländer nun für die Messe tausendfach fotografiert und die Bilder dem Komitee des Ehrengastes zugesandt haben.
Schrift und Bilder auf Kleidung projiziert
Wie aber die Zukunft aussehen wird? Anders. Vielleicht wie im Roman „Morgenwelt“ von John Brunner, in dem die Menschen gar keine Bücher mehr benötigen, aber auch keine elektronischen Lesegeräte: Schrift und Bilder erscheinen auf Kleidung projiziert. Messedirektor Juergen Boos zitierte aus Science-Fiction-Romanen um zu zeigen, „die Vielfalt der Ideen ist fast unendlich“. Und die Frankfurter Buchmesse, so seine Vorstellung, sei ein Ort, um sie zu entwickeln. Weswegen die Büchermenschen, „wir nennen sie Content-Manager“, nun hier auch auf völlig neue Mitspieler träfen: Menschen aus den Bereichen Film, Games, Interactive Design und Musik. Und weshalb es in Frankfurt nun auch um transmediales Storytelling, Enhanced Books oder Augmented Reality geht. Begriffe, die für einige Besucher vermutlich mindestens so unverständlich sind wie isländische Texte, Begriffe, die aus dem Versuchslabor für die mediale Zukunft stammen: Gemeinsames Geschichtenerzählen, Bücher, die auch ein bisschen Film sind.
„Die Branche erfindet das Publizieren neu“, sagt Juergen Boos. Und im Moment befindet man sich mittendrin, was auch bedeutet, Antworten gibt es noch nicht. Nur Fragen und Ideen. „Staunt euch die Augen aus dem Kopf“, zitiert Boos eine Zeile aus Ray Bradburys Zukunftsroman „Fahrenheit 451“ und gemeint war das als eine Art Aufruf: Zum Staunen also sollte man in den nächsten Tagen nach Frankfurt fahren.
"Kostbarkeiten, die Krisen überleben"
Das gelingt im Übrigen auch leicht im isländischen Pavillon. Mehr als 200 Neuerscheinungen aus dem kleinen Literaturland liegen auf deutsch vor. Viel Content also. Oder wie es der isländische Kriminalautor Arnaldur Indridason ausdrückt: „Kostbarkeiten, die uns wichtig sind, die überlebt haben und auch alle kommenden Booms und Krisen überleben werden.“ Wie schön!
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