Jazzer Klaus Doldinger wird 85 und vermisst seine Tournee
Klaus Doldinger hat mit seiner Band Passport einen neuen Sound in Deutschland etabliert. Die Tournee zu seinem 85. Geburtstag kann der Saxofonist nicht antreten.
Schon geimpft? Eine Frage, die momentan Konjunktur hat. „Klar!“, antwortet Klaus Doldinger, und man glaubt, sein Grinsen durch das Telefon zu hören. Ein bisschen erkältet sei er gerade, aber was macht das schon aus? Ansonsten wie immer: Kommt Kläuschen mal in seinen Redefluss, ist er kaum mehr zu stoppen: Episoden von früher, Erkenntnisse von heute, ein bisschen oberlehrerhaft, aber nie so ganz verkehrt.
Viele seiner einst belächelten Thesen haben den Mahner, Vorkämpfer und heimlichen Alterspräsidenten der nationalen Jazzszene im Laufe der Jahrzehnte längst bestätigt. Etwa dass deutsche Jazzmusiker hierzulande schon immer gegenüber ihren amerikanischen Kollegen benachteiligt wurden; selten gebucht, schlechter bezahlt, kaum beachtet. Jetzt, in Zeiten von Corona, brauchen die virtuellen Festivalveranstalter heimische Saxofonisten, Pianisten, Schlagzeuger oder Sänger mehr denn je, um überhaupt etwas auf die Beine stellen zu können. Ein Unterschied zwischen München und New York ist sowieso kaum mehr zu hören.
Klaus Doldinger blickt ohne Zorn zurück
Doldinger erfüllt so etwas mit Genugtuung, gerade weil er selbst häufig den Bannstrahl der kulturellen Zweiklassengesellschaft zu spüren bekam. Doch der einstige Kampfmodus ist längst einer altersmilden Gelassenheit und einem Blick zurück ohne Zorn gewichen, bei dem es zunehmend auf die tatsächlich wichtigen Dinge im Leben ankommt: „Ich fühle mich prima, bin gut beinand, kann mich bewegen und vor allem noch spielen, was in meinem Alter nicht allen mehr vergönnt ist.“ Gleichwohl stehen er und seine Kollegen von Passport, die sich seit einem halben Jahrhundert auf großer Abenteuerreise befinden, ebenso wie das Gros der Künstler seit mehreren Monaten auf dem Abstellgleis, ohne zu wissen, wann der Zug nun wieder Fahrt aufnimmt.
Unter normalen Umständen hätte der Saxofonist, Komponist, Arrangeur und Bandleader seinen 85. Geburtstag am morgigen Mittwoch im ganz großen Stil mit einer Tournee und rund 60 Konzerten gefeiert („Die Termine waren alle schon gebucht!“), so wie er es auch anlässlich seines 70., 75. und 80. Wiegenfestes tat. Nicht primär des Geldes wegen, denn darüber muss sich der Mann mit der Hornbrille und den inzwischen etwas kürzeren, aber immer noch ziemlich blonden Haaren, der mit Kompositionen für Kinofilme und Fernsehserien wie „Das Boot“, „Die unendliche Geschichte“, dem „Tatort“ oder „Liebling Kreuzberg“ unkaputtbare Tantiemenquellen zutage förderte, längst keine Gedanken mehr machen. „Ich liebe es einfach, auf der Bühne zu stehen, mit jungen Leuten zu spielen und den Kontakt zum Publikum zu suchen.“
Nun aber brennen die Kerzen halt nur im trauten Familienkreis in Icking im Isartal, wo Doldinger seit 1971 mit seiner Frau und Weggefährtin Inge, mit der er seit 60 Jahren verheiratet ist, ein großes, schmuckes, aber keineswegs protziges Haus bewohnt. Er müsse eben warten, bis es weitergehe, aber das mache ihm nichts aus. „Ich bin glücklich, wie es ist, und dem lieben Gott dankbar, dass ich bis hierhin gekommen bin. Alles andere wird die Zukunft weisen.“
Klaus Doldinger hat früh Udo Lindenberg gefördert
Ja, die Zukunft: War früher auch mal besser. Natürlich ist es augenzwinkernd gemeint, wenn Klaus Doldingers Plattenlabel zur Feier des Tages doch ein kleines bisschen die Korken knallen lassen will und ein vom Meister höchstpersönlich editiertes Doppelalbum mit dem Besten, was Passport im vergangenen halben Jahrhundert veröffentlichte, mit dem sibyllinischen Titel „The First 50 Years Of Passport“ (Warner) auf den Markt bringt. Ein üppiges, farbenreiches Porträt von Kläuschens persönlichem Klangvehikel, vom Laufstall bis ins hohe Erwachsenenalter. Und wie klingen dann erst die zweiten 50?
Im liebevoll gestalteten Booklet tauchen auch Passbilder auf. Fünf dieser unscharfen, im Bahnhofsautomaten geschossenen Zufallskunstwerke zeigen unter anderem einen jungen Trommler, der längst im Olymp der Pop- und Rockgötter angelangt ist. Nicht wenige Zeitzeugen versichern glaubhaft, dass Udo Lindenbergs Karriere ohne Klaus Doldinger wahrscheinlich in völlig anderen Bahnen verlaufen wäre. Die erste Passport-LP 1971 bedeutete den professionellen Kick-off für den unbekannten Schlagzeuger aus Gronau, der daraus entliehene Titel „Uranus“ eröffnet folgerichtig das Jubiläumswerk. „Meinen Freund und Maestro“ nennt ihn „Uns Udo“, und es ist mehr als eine bestellte Höflichkeitsfloskel. „Du warst mein erster großer Mentor auf meinem Weg ins verschärfte Musikerleben. Die ganzen Zaubertricks im Studio beim Plattenmachen hab’ ich von Dir gelernt.“ Alter, so Lindenberg, der in der kommenden Woche selbst die Schwelle zu den 75 überschreitet, stehe für „Meisterschaft und Radikalität“.
Doldingers Kampfansage an den Jazzrock
Was ist das Besondere an Klaus Doldinger, diesem stets etwas bieder wirkenden Herrn mit dem jugendlichen Elan, der viele Trends vorwegnahm, ohne je auf der obersten Bugwelle des Zeitgeists mitzusurfen? Als jeder den Jazz auf Bebop und Hardbop reduzierte, spielte er im Düsseldorf der Nachkriegszeit mit den Feetwarmers Dixieland. Warum sie ihn schon in jungen Jahren zum Ehrenbürger von New Orleans ernannten, verstanden viele lange nicht. Doch eine solche Auszeichnung gibt es nicht im Schlussverkauf. Er probierte Rock’n’Roll – oder besser „Beatmusik“ – aus, machte Soul mit der Band Motherhood unter seinem Pseudonym Paul Nero, inhalierte brasilianische Musik, experimentierte mit Reggae und studierte in Marokko die meditativ-pulsierenden Rhythmen und Klänge der Gnawa. Doldinger rührte im Topf der Weltmusik, noch weit bevor dieser Terminus offiziell Eingang in den kulturellen Sprachschatz fand.
Als er 1971 mit Passport an den Start ging, galt dies als europäische Kampfansage an den neuen Jazzrock und Titanen-Gruppen wie Weather Report oder das Mahavishnu Orchestra. In den frühen Jahren platzierten die Veranstalter einer Australien-Tour eine unbekannte Band namens AC/DC als Vorgruppe. 5000 Konzerte brachten Doldinger und Co. in alle Winkel der Erde. Und alles bleibt im Fluss. Die Neugier auf das Unbekannte, der Reiz des noch nicht Gespielten treibt ihn an. „Das Mysterium Musik habe ich trotz meines lebenslangen Musikstudiums nie zu entziffern vermocht. Und das ist gut so, weil ich glaube, dass mich die Faszination für Musik aus diesem speziellen Grund nie verlassen hat.“
Es sind tatsächlich die Ingredienzien des Jazz, mit denen die Rädchen bis heute wie geschmiert laufen: hervorragende Ausbildung, exakte Planung, um dann völlig frei, losgelöst und meisterhaft drauflos zu improvisieren. Der Mut zur radikalen Reduktion auf die Essenz, das Mach- und Hörbare. Das, was das Publikum gerne hört und die Musiker gerne spielen. Wer Klaus Doldinger den Stallgeruch des Jazz abspricht, der muss konsequenterweise auch daran zweifeln, dass Papst Franziskus dem katholischen Glauben angehört.
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