
Ausstellung in Paris: Damien Hirst provoziert mit Kirschblüten


Die Fondation Cartier zeigt die erste große persönliche Pariser Schau des britischen Künstlers Damien Hirst. Das Überraschende an ihr ist, dass sie konventionell wirkt. Und dabei doch sehr sehenswert ist.
Man hatte gedacht, die Zeit der Kirschblüte sei schon längst wieder vorbei. Aber nein, sie hat gerade erst begonnen. Und wie: Die Blüten sind überall, überwältigend, sie springen einem regelrecht ins Gesicht, in die Augen. Manchmal sieht man den Himmel und die Äste des Baums vor Blüten kaum mehr. Mitunter sind sie von grellem Rot, dann wieder in sanften Pastelltönen.
Damien Hirsts Kirschblüten sind inspiriert von Claude Monet und Pierre Bonnard
Es ist die wohl jüngste Provokation des für seine Provokationen berühmt gewordenen Künstlers Damien Hirst, sich bei (Post-)Impressionisten wie Claude Monet oder Pierre Bonnard inspiriert und in einer Gemäldeserie Kirschblüten rauf und runter dekliniert, ja überhaupt Gemälde hergestellt zu haben. Das sagte der Bildhauer und Konzeptkünstler selbst in einem Interview mit dem französischen Magazin Paris Match: „Ich habe so viele Sachen umgesetzt, die die Leute schockierend fanden, dass sie sogar dann, wenn ich Blumen male, denken, dass auch das schockierend ist.“ Mit seinen leuchtenden, positiven Bildern überrascht Damien Hirst. Aber enttäuschen, schockieren? Nein.
107 Werke umfasst die Serie, an der der 56-jährige Brite fast drei Jahre lang, von Anfang 2018 bis Ende 2020, gearbeitet hat. Erstmals werden nun 30 Gemälde, unter ihnen vor allem die großformatigen, öffentlich in der Pariser Fondation Cartier pour l’art contemporain gezeigt. Der Generaldirektor der Stiftung für zeitgenössische Kunst, Hervé Chandès, hatte 2019 über Instagram von dem Projekt erfahren und Hirst daraufhin in seinem Atelier in London besucht. Dort kamen beide überein, dass die Fondation Cartier die erste große persönliche Ausstellung von Hirst in Paris überhaupt zeigen werde.
Damien Hirsts Kirschblüten: Variationen desselben Themas
Die Baum-Thematik ist dort nicht fremd: 2019 drehte sich die thematische Schau „Wir, die Bäume“ um deren Art zu kommunizieren. Ein kleiner, aber üppig bepflanzter Garten, gestaltet vom deutschen Künstler Lothar Baumgarten, umgibt den modernen Glasbau des Architekten Jean Nouvel. Für Hirsts Ausstellung sind die echten Bäume draußen allerdings durch weiße Wände verdeckt, da er eine Vermengung mit „seinen“ Bäumen vermeiden wollte: Die Besucher sollten von ihnen ganz eingenommen, umgeben, eingelullt werden. Das gelingt auch dank des Formats der Leinwände, die größte davon 7,50 Meter lang und 5,50 Meter breit. Die Titelbezeichnungen der Werke wurden ausgelagert, damit man einfach nur vor den riesigen Werken steht, vor ihrer farbigen Wucht, die sich dadurch verstärkt, dass sie einander ähneln – und doch interessante Variationen desselben Themas sind.
Parallel dazu zeigt die Kunstgalerie Gagosian in Paris bis 22. September die Ausstellung „Cathedrals Built on Sand“, mit einem Teil der Schau „Pill Cabinet“ eine Skulpturen-Serie, die stärker dem Werk ähnelt, das man von Damien Hirst kennt. Auf sich aufmerksam machte der in Bristol geborene Künstler ab Ende der 80er Jahre durch provozierende Plastiken rund um die Themen Tod, Leben und Religion. Zu seinen berühmtesten Schöpfungen gehören in Formaldehyd eingelegte Tierkörper, ein mit Diamanten besetzter menschlicher Schädel mit dem Titel „For the Love of God“ („Für die Liebe Gottes“) oder die Installation „A Thousand Years“ („Eintausend Jahre“), bei der Fliegen um einen Kuhkopf schwirren und ihn langsam abbauen.
Überraschung: Damien Hirst greift zum Malpinsel
So gilt es als Überraschung, dass der Brite nun zum Malpinsel griff für ein so liebliches Thema – Kirschblüten. Und doch passen sie zu den Themen Leben und Tod, die ihn in seinem Schaffen umtreiben, sagt Kuratorin Marie Pérennes: „Die Kirschblüten sprechen von Erneuerung, handeln vom Leben, dem Tod, dem Vergänglichen.“ Denn die Zeit der Blüte sei sehr kurz, ein wertvoller Moment. Kirschblüten seien „exzessiv, fast vulgär“, so drückt es Hirst selbst aus. Er habe sich durch sie vom gewohnten Minimalismus entfernt und der Malerei zugewandt. Benutzte er anfangs nur verschiedene Rosatöne und Weiß, so erschien ihm das Ergebnis fade, ohne Leben. Dann, so erzählt er in einem bei der Ausstellung ausgestrahlten Film, sah er sich draußen die Bäume genau an und entdeckte, dass sie vielfarbig waren, wenn Licht durch die Blätter fiel. Also fügte auch er weitere Töne hinzu, Blau, Rot, Orange. Dass die Bilder ohne Leben seien, diesen Vorwurf kann man ihnen nicht machen.
In Sachen Technik inspirierte sich Hirst bei Jackson Pollocks „Action Painting“, warf die Farbe gegen die Leinwand, ja „bombardierte sie von oben bis unten“, wie der Künstler sagt; anders als Pollock allerdings nicht aus der Horizontalen, sondern vertikal, also dem Werk gegenüberstehend. Da ein Teil der Arbeit in die Zeit der Coronavirus-Pandemie fiel, fand er sich mitunter mehr oder weniger allein mit den Bildern in seinem Atelier wieder. Er habe immer an mehreren Gemälden gearbeitet, erzählt Damien Hirst, sei zu jedem immer wieder zurückgekehrt, machte erneut ein paar Punkte mit dem Pinsel. Es habe Monate gedauert, bis jedes Bild wirklich fertig war. „Es war großartig, mich komplett in den Farben zu verlieren.“ Genau diese Erfahrung schenkt Hirst auch dem Besucher. Auch er verliert sich ganz und gar in den blühenden Bäumen, so als sei es immer April.
Ausstellung Damien Hirst ist in der Fondation Cartier pour l’art contemporain in Paris (Boulevard Raspail 261) bis 2. Januar 2022 zu sehen (Mittwoch bis Sonntag 11 bis 20 Uhr, Dienstag bis 22 Uhr, Montag geschlossen).
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