Der geliebte van Gogh, der verhasste van Gogh
Eine große Frankfurter Schau betrachtet das besondere Verhältnis Deutschlands zu dem genialen Maler.
Dass ein leerer Rahmen gewissermaßen als ein Gipfel inmitten einer Gemälde-Gipfelkette begriffen werden kann, gehört sicherlich zu den Ausnahmen im Ausstellungsbetrieb.
Aber so ist es jetzt im Städel Museum am Main: Jenes berühmte Porträt, das der kranke Vincent van Gogh kurz vor seinem Tod 1890 von seinem Nervenarzt Dr. Gachet malte, das dann 1904 Harry Graf Kessler erwarb und 1911 ins Städel kam, das aber 1990 als das seinerzeit teuerste Gemälde aller Zeiten für 82,5 Millionen Dollar nach Japan ging und sich heute schließlich – ohne Gewähr und bestätigte Kenntnis – in einer norditalienischen Kollektion befinden soll, jenes Porträt also des Dr. Gachet fehlt in Frankfurt. Deshalb der leere Rahmen. Es war nicht möglich, mit seinen Eigentümern überhaupt in Kontakt zu treten.
Dabei wäre Dr. Gachet hier von besonderem Gewicht gewesen. Denn behandelt wird in dieser Schau mit dem Titel „Making van Gogh“ nicht nur die Handschrift des 1853 geborenen Niederländers van Gogh, nicht nur sein Einfluss auf die deutschen Expressionisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern insbesondere auch die ausgeprägte frühe Liebe der Deutschen zu diesem tragisch geendeten, heute weltweit gefeierten Autodidakten.
Die Nazis verscherbelten das Bild
Und diesbezüglich wäre Dr. Gachet – der seinerseits übrigens van Gogh auf dem Sterbebett in einer Radierung porträtierte! – ein schlagendes Beispiel gewesen. Das Frankfurter Städel war das erste deutsche Museum, das einen van Gogh ankaufte (1908: „Bauernhaus in Nuenen“); drei Jahre später dann kam der kapitale Dr. Gachet dazu, den die Nationalsozialisten – trotz vehementer Frankfurter Gegenwehr – 1937 beschlagnahmten und 1938 in die USA verscherbelten.
Bemerkenswert: Von den 900 Gemälden, die heute aus der Hand van Goghs verzeichnet sind, befanden sich 1914 rund 150 in deutschen Sammlungen – eine hohe Zahl vor allem angesichts des Wirkungskreises van Goghs zu Lebzeiten. Gefördert hatte das Interesse und die Liebe nicht zuletzt Julius Meier-Graefe, jener frühe Biograf des Malers, der 1910 – auch aufgrund französischer Publikationen – das Bild van Goghs als tragisch verkanntes Genie am Rande des Wahnsinns skizzierte.
Das bewegte. So oder so. Zur Begeisterung deutscher Museumsleiter, Kunsthändler, Kritiker und privater Sammler kamen schon bald auch Diffamierungen mit deutsch-nationalem Unterton („Überfremdung“, „Invasion französischer Kunst“), aber auch die Auseinandersetzung der großen deutschen Expressionisten mit van Goghs Malweise. Auch dies ist nun in Frankfurt zu sehen: wie Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Meidner einerseits den dynamisierten, richtungsführenden Strich van Goghs aufgriffen, andererseits seine dunklen Konturensetzungen. Emil Nolde, selbst Expressionist, sollte den Brücke-Malern, die van Gogh wohl 1905 in Dresden erstmals sahen, spöttisch anempfehlen, sich doch besser „van Goghiana“ zu nennen.
Aus Gemälden wurden manchmal auch Zeichnungen
Was aber ist – neben Fundament und Wirkung der deutschen Van-Gogh-Inbrunst – aus dieser Schau mit 120 Gemälden und Papierarbeiten aus aller Welt mit nach Hause zu nehmen? Es ist – neben der puren Sehlust über seine pastose, farbreine, strahlende und züngelnde Malweise – so manches Detail: etwa die beinahe schon systematisierte, jedenfalls diszipliniert-rhythmisierte Ölstrichführung in seinem 1887 gemalten Selbstbildnis, das heute in Chicago hängt, einst aber dem Kaufhof-Gründer Leonhard Tietz gehörte. Etwa der Umstand, dass van Gogh nicht nur (Vor-)Zeichnungen in Gemälde übertrug, sondern auch Gemälde in Zeichnungen. So wird Linienführung zu Farbe und Farbe wieder zu Linienführung. Etwa die Beleuchtung des bäuerlichen Motivs über Epochen hinweg: Van Gogh verehrte Rembrandt und Jean-François Millet mit deren Beiträgen zum Thema – und übergab es, angeeignet, wiederum an die Expressionisten. (Was dann später, in den deutschen Ideologien, daraus wurde, ist eine andere, instrumentalisierte Geschichte.)
Aber kommen wir noch einmal zu dem Selbstporträt aus Chicago zurück. Für wie alt halten Sie hier Vincent van Gogh? Rechnen Sie jetzt nicht! Schätzen Sie! Schauen Sie in dieses ernüchterte, abgekämpfte Gesicht! Vincent van Gogh malte es 1887, mit 34 Jahren. Das war drei Jahre vor seinem Selbstmord 1890 in Auvers. Auf dem Sterbebett, die Kugel im Leib, porträtierte ihn Dr. Gachet.
- Bis 16. Februar 2020, außer montags von 10 bis 19 Uhr, donnerstags und freitags bis 21 Uhr. Besuch außerhalb der erwartbaren Stoßzeiten empfehlenswert. Katalog (Hirmer): 39,90 €, Begleitheft: 9,50 €.
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