Intime Bilder voll Harmonie
Premiere des „Gemischten Doppel“ am Theater Augsburg
Augsburg Lange Zeit stand der Ballettabend „Gemischtes Doppel“ unter denkbar schlechten Vorzeichen, denn die ursprünglich für einen Ausweichcontainer geplante Aufführung musste mangels dieser Spielstätte ausfallen. Dass er nun doch noch, mit viermonatiger Verspätung und erheblich reduzierter Vorstellungszahl stattfinden kann, ist dem engagierten Zusammenspiel aus Verantwortlichen, technischen Mitarbeitern, Choreografen und dem nimmermüden Trainingseifer der Tänzer zu verdanken. Damit ging die Rechnung zum Schluss doch noch auf, das zeigte die Premiere am Mittwoch im Großen Haus, wohin die Aufführung verlegt wurde – allerdings vor kleinem Publikum. Um die ursprüngliche Konzeption eines Kammerballetts zu erhalten, sitzen die Zuschauer jetzt mit auf der Bühne.
„Gemischtes Doppel“ beschert Einblicke in die Ballettszene, wie sie selten zu erleben sind. Der Zuschauer wird zum Gefährten, wenn er durch eine Seitentür die Bühne betritt, vorbeigeht an den Tänzern, die letzte Dehnungsübungen vollführen oder in tiefer Konzentration im Spagat am Boden liegen, und auf den Podesten Platz nimmt. Der Not dieses Provisoriums geschuldet ist der geringe Anstieg der Tribüne, sodass die Zuschauer auf den hinteren Plätzen nicht ganz dieses direkte und unvermittelte Sehvergnügen haben wie die der ersten Reihen: Von Angesicht zu Angesicht mit den Tänzern lassen sich jede Muskelbewegung, jedes Atmen mitverfolgen, auch jeder Schweißtropfen und jedes Schuhknirschen. Wer sie noch hatte, die Illusion vom schwerelosen Ballett, dem wird sie hier genommen, doch das erweist sich keinesfalls als Schaden, sondern als besonderer Reiz.
Nähe und Intimität sind starke Pluspunkte des „Gemischten Doppel“, zwei weitere sind die Choreografen, Alejandro Cerrudo und Maurice Causey, beide als vielversprechende Talente gehandelt: Der Spanier ist Tänzer und Hauschoreograf an einer der besten zeitgenössischen Compagnien, dem Hubbard Street Dance Chicago; der Amerikaner war lange Jahre Tänzer und Co-Choreograf bei William Forsyths Frankfurter Ballett.
Die Hände flattern, die Hüften schwingen
Cerrudos schon 2006 uraufgeführtes „Lickety-Split“ beginnt getragen, sechs Tänzer schreiten vom Bühnenrand ins Licht. Doch diese Einleitung täuscht, das Stück entwickelt sich zu einer heiter-schwungvollen Sequenz, in der paarweise vom Annähern, Kokettieren und Verschmähen erzählt wird. „Von null auf hundert“ bedeutet „Lickety-Split“ in etwa auf Deutsch. Inhaltliche Bezüge zum Tanz lassen sich aber kaum herstellen, denn Cerrudos Bewegungsspektrum hat nichts Eruptives und Kantiges, wie es der Titel vermuten lassen könnte, sondern besticht mit weichen und fließenden Figuren. Zu den romantisch-melancholischen Folk-Balladen des Sängers Devendra Banhart bewegen sich die Tänzer in weit ausschweifenden Bögen. Hier ein Händeflattern, dort ein Hüftschwung, immer genau auf die Musik abgestimmt, lassen keine Gefahr aufkommen, dass das leichte Spiel der Liebe vom Pathos erdrückt wird.
Diese Gefahr besteht auch nicht bei Cerudos zweiter, speziell für Augsburg geschaffener Arbeit, die Paarbeziehungen werden darin ernsthafter, abstrakter verhandelt. Zu Musik von Arvo Pärt entstehen harmonisch ineinander verzahnte Körperbilder von starker Ausdruckskraft und furioser Vitalität.
Sehr exzentrisch, in Teilen auch rätselhaft wirkt dagegen Maurice Causeys „Black Roses Red“: Eine bedrohliche Szenerie entwickeln die sieben Tänzer – drei Paare, die wechselseitig ihre Macht übereinander erproben, und ein Außenstehender, der wie eine Projektion ihre Gefühle aufnimmt. Immer wieder setzt Maurice Causey auf den Zeitlupen-Effekt, erhöht er mit den verlangsamten Bewegungen die Prägnanz des Dargestellten. Befremdlich dann eine kurze Swing-Einlage, zwar neckisch getanzt von Riccardo de Nigris, doch nur schwer zu erschließen in ihrem Bezug zur vorhergehenden düsteren Bildsprache.
Einen deutlich stärkeren Eindruck hinterlässt Causeys zweites Ballett, der Schlusspunkt dieses Abends: „Plucked“ zum avantgardistischen Streichquartett Nr. 2 von Gabriel Prokofjew, dessen gezupfte Passagen die acht Tänzer exakt in ihren Schritten und Armbewegungen übersetzen. Causeys Choreografie wirkt wie eine Experimentierbühne für die hohe klassische Schule. Figuren und Positionen, die ursprünglich dem klassischen Vokabular entstammen, werden mit zeitgenössischen Bewegungselementen verflochten und damit auch verfremdet. Hinreißender Höhepunkt ist ein Pas de deux mit Kelly Tipton und Riccardo de Nigris.
Ballett faszinierend unmittelbar also an diesem Abend, visuell angereichert nur durch die speziell für die drei Uraufführungen entworfenen Kostüme von Claudia Norma Stöckl de Keller und eine atmosphärische Lichtführung, die den Tänzern neue Räume auf der kahlen Bühne schafft. Fazit: Ein gemischtes Doppel mit zwei mal zwei Teilen, vier eigenständigen Kunstwerken, die in der Gesamtschau einen betörend-schönen Ballettabend ergeben.
Aufführungen am 7. und 9. Juni
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