Blade Runner ist eine dunkle Vision aus anderen Tagen
Ridley Scotts Sci-Fi-Klassiker „Blade Runner“ spielt im Jahr 2019. Doch wirklich rosig sieht die Zukunft nicht aus. Warum die Menschen von gestern die Welt so schwarzmalten.
Der Himmel über Los Angeles ist grau. Es schüttet erbarmungslos. In den Straßen drängen sich Menschenmassen aneinander. Die Welt von „Blade Runner“ ist trist und abweisend. Ridley Scott erschuf 1982 eine deprimierende Zukunftsvision vom Jahr 2019.
Wenig von dem, was in dem Science-Fiction-Film zu sehen war, ist heute Realität geworden. Gott sei Dank, möchte man meinen. Menschengleiche Androiden-Sklaven, die die Drecksarbeit verrichten und nach einigen Jahren aufhören zu existieren. Tiere, die nur noch künstlich erzeugt werden, da die echten Arten nahezu ausgestorben sind. Die Umwelt dank eines nuklearen Krieges zerstört. Wer auf der einst blauen Kugel nicht mehr leben möchte, kann sein Glück in fernen Weltraum-Kolonien versuchen. Doch dazu muss das eigene Genmaterial stimmen, sonst gibt es kein Ticket. Das hört sich schon alles sehr düster an.
Blade Runner ist eine astreine Dystopie
Heute gibt es zwar Videotelefonie oder bald auch fliegende Autos oder Flugtaxis. Doch sonst hat Scott eine astreine Dystopie kreiert, beziehungsweise im Film verwirklicht. Ausgedacht hat sich das Ganze nämlich der amerikanische Autor Philip K. Dick. Leider konnte er den Film nicht mehr in voller Gänze sehen, Dick starb kurz vor der Fertigstellung an einem Schlaganfall. Er wurde nur 53 Jahre alt. In seinem Portfolio finden sich viele dystopische Kurzgeschichten, die kein Happy End haben. Woher also diese Schwarzmalerei?
Zum einen muss die Zeit der Entstehung betrachtet werden. Der zugrunde liegende Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ entstand im Jahr 1968. Der Dritte Weltkrieg war jeden Tag gefühlt nur einen Wimpernschlag entfernt. Hysterie auf den Straßen und in den Vorstädten der USA. Dick sah einer hoffnungslosen Zukunft ins Auge – und schrieb sie auf. Zum anderen waren und sind Dystopien ein sich ständig wiederholender Kreislauf in der fantastischen Literatur. H.G. Wells schrieb sie schon zur Jahrhundertwende und noch heute entstehen neue Versionen von unmöglichen zukünftigen Dystopien – „Tribute von Panem“ oder „Die Auserwählten“.
Was Ridley Scott 1982 schuf, war also nur eine logische Fortsetzung von Dicks Werk. Wir befinden uns immer noch im Kalten Krieg. Mit Ronald Reagan sitzt ein ehemaliger Western-Schauspieler im Weißen Haus, der eine Politik der Verschiebung des „Gleichgewichts des Schreckens“ betreibt. Aufrüstung als Abschreckung gegen die damalige Sowjetunion.
Blade Runner: Aus 1992 wird 2019
Aus dem Jahr 1992 und San Francisco im Roman wird November 2019 und Los Angeles. Harrison Ford jagt als Blade Runner Deckard entflohene Replikanten – die erwähnten menschengleichen Androiden – durch das verregnete LA, um sie „in den Ruhestand zu schicken“. Dabei wollen diese Replikanten nur leben. Der kürzlich verstorbene Rutger Hauer spielt den Anführer der Entflohenen. Der Film floppte. Es dauerte Jahre und mehrere Director’s Cuts, bis er doch noch Kultstatus erreichte. Dystopien funktionieren nicht zu jeder Zeit. Wohl aber dann, wenn wir Menschen uns gerne zusehen, wie wir unsere Welt zerstören, uns gegenseitigen knechten und am Ende womöglich komplett auslöschen.
Wir genießen die Unzulänglichkeiten anderer Generationen – auch wenn sie fiktiv sind. Und in diesem Gefühl wollen wir wohl bestärkt werden. „Weltschmerz“ nannte das einst der deutsche Schriftsteller Jean Paul und beschrieb damit ein Gefühl der „tiefen Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt“. Das war im Jahr 1827.
2019 war nicht die erwartete Katastrophe
2019 entpuppte sich nicht als die große Katastrophe aus dem Film. Trotzdem sind einige Ängste aus anderen Dystopien greifbare Realität geworden. Jugendliche sorgen sich um ihre Zukunft und gehen auf die Straße. Rechte Tendenzen erhärten sich rund um den Globus. Länder spalten sich ab und verschließen sich. Flüchtlinge nehmen lebensbedrohliche Strapazen auf sich, für ein besseres Leben. Ein Stückchen „Weltschmerz“ ist spürbar.
Vor zwei Jahren erschien dann die Fortsetzung von „Blade Runner“. Diese spielt weitere 30 Jahre in der Zukunft – im Jahr 2049. Die Welt sieht noch düsterer und noch schlimmer aus. Wieder jagt ein Blade Runner einem alten Fall hinterher. Ryan Gosling stößt im Laufe der Geschichte auf den verschollenen Deckard aus dem ersten Teil. Es wird die Frage gestellt: „Was macht einen Menschen menschlich?“ Die Beantwortung wird dem Zuschauer überlassen. Der Film floppte wie sein Vorgänger. Aber vielleicht wird auch dieser Dystopie in einigen Jahren der Kultstatus zugesprochen und in 30 Jahren wird sich jemand mit unseren dunklen Visionen beschäftigen.
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