Bunter Tanz durch 60 Jahre deutsche Geschichte
Trier (dpa) - Es ist die Zeit der Petticoats, der großen Handtaschen und der Badeanzüge mit Bein. Die Frauen wirbeln mit neuen Staubsaugern durchs Haus und fahren mit ihren Familien in Italien-Urlaub. Und vor dem ersten Fernseher wird Deutschland Fußball-Weltmeister.
Die Rückblende in die 1950er Jahre ist eine Station auf einer tänzerischen Zeitreise durch die deutsche Geschichte, mit der der Berliner Choreograph Lars Scheibner am Samstagabend in seinem uraufgeführten Tanzstück "Deutschland tanzt!" am Theater Trier begeisterte. Das Publikum belohnte den Ausflug in die Vergangenheit - vom Ende der Weimarer Republik bis zum wiedervereinigten Deutschland - mit tosendem und langem Applaus.
Die Tanz-Reise war rundherum stimmig. Musikalisch versetzten Lieder wie "Die Capri-Fischer" (Rudi Schuricke), "Immer wieder geht die Sonne auf" (Udo Jürgens) und "Freiheit" (Marius Müller-Westernhagen) in die jeweilige Zeit - und lösten bei manchem Zuschauer ein "Ach ja"-Erlebnis aus. Tänzerisch ließ die bunte Revue nichts aus, vom flotten Swing der 1930er Jahre über Rock 'n' Roll bis zum Techno-Gezucke. Und auch modemäßig war das Tanzstück eine Art deutsche Bestandsaufnahme: Reifröcke, Miniröcke, erste Jeans, erste Krawatte, Business-Dress und Banker-Anzug.
Das Stück erhebe keinen Anspruch auf historische Vollständigkeit, sagte der Dramaturg von "Deutschland tanzt!", Peter Oppermann. "Es ist kein Geschichtsunterricht." Es handele sich vielmehr um "Bruchstücke, die sich da auftun, Assoziationssplitter zwischen Anpassung, Spießigkeit, Aufbegehren und Selbstzweifeln", fügte Choreograph Scheibner hinzu.
Dennoch - die wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte sind ausdrucksstark verarbeitet. So erscheinen mitten im ausgelassenen Swing-Tanz Nationalsozialisten in Ledermänteln auf der Bühne und nehmen die Männer - ausgestattet mit Stahlhelm und Trinkflasche - mit. Die Frauen überziehen ihre Kleider mit langen grauen Strickjacken und fallen bei Bombenalarm zu Boden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgt bunt und fröhlich das sogenannte Wirtschaftswunder - in dem Männer die "Bild"-Zeitung für 10 Pfennige lesen. Dann der Mauerbau, die 1968er-Bewegung und "Flower Power" über die Spaßgesellschaft ("Ich will Spaß") bis hin zum Börsencrash und der Finanzkrise. Im Mittelpunkt der Zeitreise stehen ein Mann (David Scherzer) und eine Frau (Juliane Hlawati), die ständig auf der Suche sind, sich immer wieder verlieren und immer wieder finden. Am Ende des Stücks liegen sie sich bei Herbert Grönemeyers "Mensch" in den Armen. Die Lieder wurden live gesungen von Michael Kiessling.
Der Tanz eigne sich am besten, um sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen, sagte Oppermann. "Er kann die Atmosphäre einer Zeit besser zum Ausdruck bringen und bebildern als Worte." Die Revue hat das Theater Trier zum Doppeljubiläum 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre Mauerfall auf die Bühne gebracht.
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