Kritik zu "Chaos Walking": Männer ohne Geheimnisse
Der dystopischer Thriller "Chaos Walking" erzählt über ein interessantes Gedankenexperiment, das allerdings hinter seinen Möglichkeiten bleibt.
Die Gedanken sind frei – von solch wohlklingenden Volkslied-Weisheiten können die Männer in der Neuen Welt des Jahres 2257 nur träumen. Als erste Siedlerwelle sind sie auf dem 64 Reisejahre entfernten Planeten gelandet, nachdem die Erde zunehmend unbewohnbar geworden war. Dort erwarteten sie frische Luft, Wasser, Wälder, ewiges Tageslicht, eine wenig gastfreundliche, einheimische Spezies und ein Phänomen, durch das ihr Leben grundlegend verändert wird. In der Atmosphäre der neuen Heimat werden alle Gedanken durch eine innere Stimme nach außen transportiert und teilweise auch visuell sichtbar gemacht.
Betroffen sind ausschließlich Männer, die stets von einer Klangwolke der eigenen Denkströme umgeben sind. Was wird aus einem Mann, wenn alle um ihn herum hören, was er denkt? Was macht diese totale Geheimnislosigkeit mit einer Gesellschaft? Welche Auswirkungen hat es auf das Geschlechterverhältnis, wenn das Bewusstsein der Männer ein offenes Buch und die Gedanken der Frauen weiterhin versiegelt sind?
Dieses futuristische Gedankenexperiment verfolgte Patrick Ness in seinem dreiteiligen Young-Adult-Roman „Chaos Walking“ (dt. Titel „New World“), der nun nach einer langwierigen Produktionsgeschichte unter der Regie von Doug Liman („Edge of Tomorrow“) ins Kino kommt. Wie „Die Tribute von Panem“ oder „Die Bestimmung“ lebt auch diese dystopische Fantasie von einer klaren Prämisse, die viele interessante Fragen nicht nur über die Zukunft der Menschheit, sondern auch über das persönliche Verhalten unter radikal veränderten Lebensbedingungen aufwirft.
Die Kritik: Erst ist man neugierig, dann nicht mehr so sehr
In der ersten Kinostunde ist man neugierig auf diese archaische Welt von Prentistown, wo alle Frauen verschwunden sind und der Bürgermeister (Mads Mikkelsen) als oberster Gedankenmanipulator mit harter Hand regiert. Der junge Todd Hewitt (Tom Holland) ist hier geboren und aufgewachsen und hat noch nie eine Frau gesehen – bis eines Tages Viola (Daisy Ridley) nach der Bruchlandung ihrer Raumfähre vor ihm steht. Schon bald ist klar, dass die Überlebenschancen der einzigen Frau in der Männerdomäne niedrig sind und Todd mit ihr flüchten muss, um die nachfolgenden Siedler auf dem Mutterschiff zu warnen. Und so brechen die beiden auf in die unbekannte Welt des Restplaneten, aber mit dem Reisebeginn scheint der Film sein Interesse an seiner vielversprechenden Prämisse zunehmend zu verlieren.
Holland („Spider-Man: Homecoming“) und Ridley („Star Wars: Das Erwachen der Macht“) machen dank einschlägiger Genre-Erfahrung in den Kampf- und Actionszenen zwar eine gute Figur, aber die angehende Liebesgeschichte zwischen dem Mann mit dem transparenten Bewusstsein und der geheimnisvollen Frau bleibt weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. „Chaos Walking“ baut ein interessantes intellektuelles Setting auf, um dann im Fluchtmodus hindurchzuhetzen, ohne das narrative Potenzial zu beachten. Die ursprünglich geplante Weiterführung als Franchise ist nach dieser spektakulären Fehlzündung wohl nicht zu erwarten.
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