Der Abend der zwei Preise
ARD-Musikwettbewerb Wie die Jury den Finalauftritt der Augsburger Geigerin Sarah Christian bewertete – und wie das Publikum urteilte
München Höher, schneller, weiter – im Sportwettkampf sind die Kriterien klar und messbar. In der Musik sieht es anders aus. Denn wie soll die Wettbewerbsjury Ausstrahlung, Musikalität, Ausdruck oder Gestaltung messen? Parameter, die letztlich auch im Auge beziehungsweise Ohr des Betrachters liegen. Doch Tempo, Intonation und Fehlerlosigkeit lassen sich objektiv bewerten. Und so kann es durchaus sein, dass sich im Zweifelsfall die Waagschale senkt zugunsten der größeren Perfektion.
Vielleicht schlug sich beim diesjährigen Internationalen Musikwettbewerb der ARD die Jury unter dem Vorsitz von Mauricio Fuks in der Kategorie Violine vorgestern Abend auf die sichere Seite: Minimale Unsicherheiten der Favoritin mögen ausschlaggebend gewesen sein, dass im Finale der erste Preis nicht vergeben, stattdessen der zweite Preis zweimal verliehen wurde, an Sarah Christian und Andrea Obiso aus Italien. Der 23-jährige Violinist erhielt außerdem den Sonderpreis für die beste Interpretation der Auftragskomposition von Avner Dorman. Dem Publikum nach, darunter nicht wenige vom Fach, war die Augsburger Violinistin Sarah Christian jedenfalls weit vorne. Der Beifall im Münchner Herkulessaal war nach ihrem Auftritt am größten und auch die Verleihung des Publikumspreises an die 27-Jährige – die Besucher stimmten unmittelbar nach dem Finale ab – war ein Statement.
Gespielt wurde zufälligerweise dreimal dasselbe Werk, Prokofjews traumhaft schönes, aber auch höchst anspruchsvolles Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur. Doch bei jedem der drei Finalkandidaten klang es anders. Die elfenhafte Kristine Balanas aus Lettland, die den dritten Preis gewann, strich die lyrische Seite des Violinkonzertes heraus, spielte berührend innig, während der Italiener Andrea Obiso geradlinig-männlich den kraftvoll-grotesken Gehalt hervorhob. Beides steckt in diesem Konzert. Sarah Christian ihrerseits betörte mit einem beseelten, farbenreichen Ton, mit Noblesse im Spiel und einer überragenden Technik. Bereits der erste Einsatz gelang bewegend, facettenreich, versprach große Musik. Auch sie legte das Gewicht auf die lyrische Seite, gestaltete plastisch und lebendig. Schienen die beiden anderen Finalisten an manchen Stellen angestrengt, wirkte die Augsburgerin den enormen Anforderungen gewachsen. Vereinzelt war bei allen dreien allerdings das überaus knifflige Zusammenspiel nicht ganz nahtlos, denn auch das Orchester setzte nicht immer punktgenau ein. Es begleitete, dirigiert von Michael Francis, das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, hörbar eines der angesehensten Orchester weltweit, darin Agnès Clément an der von Prokofjew exponiert verwendeten Harfe, die erste ARD-Preisträgerin in der Kategorie Harfe im vergangenen Jahr.
Der internationale ARD-Musikwettbewerb ist weltweit einer der renommiertesten Wettbewerbe der klassischen Musik, die Ansprüche sind enorm hoch. Wer hier überhaupt einen Preis gewinnt, gehört zu den Besten seiner Generation und hat gute Chancen für die Karriere. Denn es winken nicht nur Prämien, sondern auch Konzertengagements und CD-Aufnahmen. Einen zweiten Preis im Fach Violine gewannen etwa Christian Tetzlaff (1984) und Dora Schwarzenberg (1975), beide heute Geiger von internationalem Rang. Um Sarah Christian, eh schon Konzertmeisterin bei der hochmögenden Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, muss einem also nicht bange sein.
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