Der Gott fährt in den Mund hinein
Münchens Staatliche Antikensammlungen haben sich zum Jubiläum ein schönes Geschenk gemacht
Bayerns Landeshauptstadt und ihre Kunstmuseen von Rang – wer denkt da nicht an die Pinakotheken oder ans Lenbachhaus? Dagegen steht eine andere Münchner Adresse, deren Sammlung ebenso Weltgeltung besitzt, weniger im Fokus der Wahrnehmung, vielleicht, weil die fensterlose Fassade etwas abweisend wirkt. Die Rede ist von den Staatlichen Antikensammlungen am Königsplatz, ein Museum, das vor 50 Jahren hier an der Südseite des Platzes die Tore öffnete.
Die Sammlung ist antiken Kunstwerken von kleinem Format gewidmet, und ihre Bedeutung beruht vor allem auf dem Schatz an griechischen Vasen. Die Geschichte dieses Bestandes reicht, wie die so vieler anderer Kunst in München, zurück auf Ludwig I. Die Ankäufe, die der Kronprinz und spätere Monarch auf Anraten kundiger Berater wie Johann Martin Wagner oder Leo Klenze vor allem in Italien tätigen ließ, sichern der Münchner Vasensammlung bis heute ihren bemerkenswerten Umfang und ihre Qualität. Doch auch an kleinformatigen Ton- und Bronzeskulpturen, an filigranen Goldschmiedearbeiten sowie an erlesener Glaskunst haben die Staatlichen Antikensammlungen Außergewöhnliches zu bieten, was auch bedeutenden Schenkungen zu verdanken war wie dem Vermächtnis des Antikensammlers James Loeb.
Nicht immer war das antike Kleinformat in München unter einem Dach vereint. Die Vasen hatten seit Ludwigs Zeiten ihren Platz im Erdgeschoß der Alten Pinakothek, weitere Kunst lagerte anderswo in der Stadt. Es war eine Folge des Weltkriegs und seiner Zerstörungen, dass die antike Kleinkunst schließlich am Königsplatz zusammenfand, in jenem von Georg Friedrich Ziebland entworfenen Bau, der seit seiner Errichtung als Ausstellungshaus für zeitgenössische Münchner Kunst gedient hatte. Im Frühjahr 1967 eröffneten hier dann die Staatlichen Sammlungen und bilden seither mit der Glyptothek gegenüber, die der großformatigen Skulptur vorbehalten ist, ein gewichtiges Antiken-Ensemble im Herzen Münchens.
Zum Jubiläum ist nun ein reich bebildeter Band über die Sammlungen erschienen, geschrieben von Florian Knauß, Direktor beider Häuser am Königsplatz. In hinreichender Ausführlichkeit werden hier die Meisterwerke des Bestandes vorgestellt, vorneweg natürlich die Vasen, ein Begriff, der, wie erklärt wird, die gesamte Formenvielfalt griechischer Tongefäße umfasst. Doch besticht diese Kunst nicht nur durch ihr Design, sondern ganz wesentlich auch durch ihre Malerei. Ein Glanzstück der Sammlung ist etwa die Dionysos-Schale des Meisters Exekias (um 530 v. Chr.). Auf orangeroten Grund schwimmt ein Segelschiff, darin liegt schwarzfigurig der Gott Dionysos. Um die Wirkung des Bildes begreifen zu können, erklärt Florian Knauß, müsse sich der Betrachter in einen Zecher versetzen, der, die Schale am Mund, desto mehr von der Darstellung erkennt, je mehr er den Wein in sich aufnimmt – bis am Ende der Gott geradezu in den Rachen hineinzufahren scheint. So anschaulich dem Leser nahegebracht, wird die Kunst der Antike lebendig, macht sie Lust auf weitere Vertiefung in dem schönen Band – und auf Inaugenscheinnahme der Originale im Museum.
Das Buch - Florian Knauß: Die Kunst der Antike. Meisterwerke der Münchner Antikensammlungen. C.H. Beck, 288 S., 28 €.
Das Museum - Die Staatlichen Antikensammlungen am Königsplatz sind Di bis So von 10 bis 17 Uhr (Mi bis 20 Uhr) geöffnet.
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