Der Klub 27: die früh Erloschenen um Jimi Hendrix
Vor 50 Jahren starben kurz nacheinander Jimi Hendrix und Janis Joplin. Beide waren erst 27 – und damit längst nicht die Einzigen. Ein rätselhaftes Pop-Phänomen.
Noel Redding wusste nicht, ob er einem bösen Scherz aufgesessen war. Gerade hatte er einen Anruf erhalten und so erfahren, dass Jimi Hendrix tot war – der Mann, mit dem Redding als Bassist des Trios The Jimi Hendrix Experience Popgeschichte geschrieben hatte. „Als ich auflegte, war ich wie betäubt. War das ein Scherz? Wenn ja, dann war er nicht witzig. Er konnte nicht tot sein. Man stirbt nicht mit 27 Jahren“, schreibt er später in seiner Autobiografie. Doch, Jimi Hendrix war tot. Am 18. September 1970, also vor 50 Jahren, ist nach kurzer Lebenszeit „die Sonne untergegangen“, wie es der Bruder Leon Hendrix damals formulierte. Man stirbt nicht mit 27? Doch.
Der Klub 27: eine Vereinigung, die als Mitgliedsbeitrag das Leben kostet
Dieses Schicksal hatte im Jahr zuvor den Rolling-Stones-Mitbegründer Brian Jones ereilt, der leblos in seinem Swimmingpool trieb. Nur gut zwei Wochen nach Hendrix setzte die Hippie-Ikone Janis Joplin ihrem Leben mit Alkohol und Heroin ein Ende. Jim Morrison, der schöne, düstere, selbstzerstörerische Sänger der Doors, eine der wichtigsten Bands der frühen Rockgeschichte, ließ 1971 sein Leben in einem Pariser Hotelzimmer. Sie alle wurden nur 27 Jahre alt – das Geraune über einen „Klub 27“ begann.
Eine merkwürdige Vereinigung, die als Mitgliedsbeitrag das Leben kostet und zu der nur ausgewählte Künstler Zutritt haben. Allerdings gehen da die Ansichten auseinander, denn es kursieren „Mitgliedslisten“ im Internet, auf denen je nach Version mehr als fünfzig Mitglieder verzeichnet sind, die vor allem eines eint: Sie wurden aus unterschiedlichen Gründen nur 27 Jahre alt. Die allermeisten Namen gehören in die Kategorie Schall und Rauch, sie sind eher dem Fußvolk der Pop- und Kulturgeschichte zuzurechnen – mit Ausnahme von Robert Johnson, dem König des Delta Blues. Er starb 1931 unter ungeklärten Umständen. Aus seiner Musik zogen viele später prägende Künstler und Bands der Rockgeschichte ihre Kraft: Eric Clapton, Keith Richards, Led Zeppelin oder die frühen Fleetwood Mac.
Gemeinhin werden aber zu den wirklich Auserwählten im Klub 27 nur die vier bereits erwähnten Stars aus den wilden Jahren der Rockmusik gezählt – und zwei, die sich in jüngerer Zeit Legendenstatus erworben haben: Kurt Cobain, der mit Nirvana zwar im übertragenen Sinne unsterblich wurde, der aber sein biologisches Leben 1994 mit einer Schrotflinte beendete, und Amy Winehouse. Die hoch talentierte britische Sängerin soff sich zu Tode und wurde wohl eher wegen ihrer in aller Öffentlichkeit zelebrierten unfassbaren Selbstzerstörung zum Klub-Mitglied erhoben.
Künstler, die Herausragendes in der Musik geleistet haben
Und nicht unwesentlich bei diesem Klub ist: Dass die herausragenden Mitglieder ihrem eigenen Lebensstil zum Opfer gefallen sind, den Exzessen, den Süchten. Obwohl sich Kurt Cobain erschoss, so war er doch die Jahre zuvor ein Junkie, einer, der seine Unsicherheiten und seine angeblich chronischen Bauchschmerzen mit einem Medikament behandelte, das zwar eine Zeit lang als Ego-Booster funktioniert, aber zügig furchtbaren Tribut fordert. Als er abdrückte, trieben durch seine Blutbahnen höchst ungesunde Mengen an Beruhigungsmitteln und Heroin. Doch mit Drogenmissbrauch allein wären etwa Morrison, Jones oder Cobain nicht auf der Liste gelandet: Sie alle hatten Herausragendes in ihrer Kunst geleistet. Der Nirvana-Frontmann war die prägende Figur der Grunge-Ära in den 90ern, ein Held für alle, die nach Antihelden und Systemverweigerern verlangten.
Einer ragt allerdings heraus, er müsste zum Präsidenten des Klubs gekürt werden, Jimi Hendrix. Der schwarze Musiker aus Seattle hat die E-Gitarre nicht nur in völlig neue Klangsphären gehoben, er hat sie geradezu in den Weltraum katapultiert. Wenn Eric Clapton für seine Fans ein Gott war, so war Hendrix nicht weniger als der Göttervater. Für ihn war die Gitarre nicht einfach ein Handwerkszeug. In seinen Händen wurde sie zu einem Kultgegenstand. Er stellte mit ihr Sachen an, die niemand zuvor gewagt hatte. Er kopulierte mit ihr, er zündete sie an, er betete sie an. Er lud sie mit Effekten auf und spielte Läufe, die nicht von dieser Welt waren. Mit Hendrix wurde die Gitarre endgültig zur Axt, mit der sich Revolutionen oder zumindest Rebellionen anführen lassen. Während sich Clapton immer wieder mit diesem Drang zum Puristischen am Blues abarbeitete, raste Hendrix auf einem Feuerstrahl über die Grenzen hinweg.
Außerdem passte er als Typ perfekt in die Hippie-Zeit, mit seinem zeitweise wilden Afro, den bunten Klamotten. Der perfekte Poster-Boy für die Ära von „Love, Peace and Music“. Das wollte er allerdings kurz vor seinem Tod nicht mehr sein, er wollte als Künstler und nicht mehr als Clown wahrgenommen werden, wie er 1969 dem Rolling Stone offenbarte. In welche Höhen hätte er sich noch aufgeschwungen? Das lässt sich nur erahnen, denn eine Mischung aus Alkohol und Tabletten führte ihn aus dem Himmel geradewegs unter die Erde. Er war wohl der hellste Stern unter all den früh Erloschenen des Klub 27.
Er überstrahlte selbst Janis Joplin, die in der Hippiezeit eine der prägenden weiblichen Künstlerinnen war. Ihre kratzende, schabende Stimme konnte harsch und schmutzig klingen wie in dem unsterblichen A-cappella-Stück „Mercedes Benz“ oder schmachtend, berührend, zerbrechlich und verletzlich wie in „Cry Baby“. Sie konnte emotional singen bis zur völligen seelischen Selbstentblößung. Die Texanerin mit ihrem fatalen Hang zu süßem Whiskey ist ein wunderbares Beispiel für die befreiende Wirkung der Kunst. Als Kind und Teenager wurde das pummelige, picklige Mädchen gehänselt, doch als Sängerin hat sie der Welt gezeigt, dass sie sich mit Talent erobern lässt. Doch gegen ihre inneren Dämonen kam sie nicht an. Janis Joplin starb kurz nach Jimi Hendrix am 4. Oktober 1970 an einer Überdosis Heroin. Sie war sozusagen das erste weibliche Mitglied in diesem fatalen 27er-Klub.
Wenn Stars übergroß gemacht werden, wachsen auch die Mythen
Aber: Sind Musiker tatsächlich in einem gewissen Alter besonders gefährdet? Ein Forscherteam der Universität Queensland in Australien ist der Sache mit statistischer Gründlichkeit nachgegangen. Demnach bestehe für Musiker im Alter zwischen 20 und 40 Jahren ein zwei- bis dreimal höheres Sterberisiko. Das liege nun mal am ungesunden Lebenswandel. Das Phänomen sei vor allem in den 70er und frühen 80er Jahren zu beobachten. Allerdings fanden die Autoren der Studie, die 2011 im British Medical Journal veröffentlicht wurde, keinen Beleg dafür, dass ausgerechnet im Alter von 27 Jahren besonders viele das Zeitliche segnen. Die Forscher hatten 1046 Einzelkünstler und Bands untersucht, die zwischen 1956 und 2007 ein Nummer-eins-Album in den britischen Charts platzieren konnten. Das Ergebnis: Es fanden sich keine Auffälligkeiten. Die Gefahr, den Rockstar-Tod zu sterben, sei mit 26 oder 32 Jahren genauso groß. Die Studie enthielt auch einen winzigen Schönheitsfehler. Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison tauchten dort nicht auf – sie hatten in der fraglichen Zeit in Großbritannien kein Nummer-eins-Album. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der Klub 27 ein Mythos sei.
Richtig, aber die Popkultur liebt solche Mythen, die vor allem in Zeiten des Internets, diesem riesigen Raum für Geraune, immer weiter wachsen. Wenn Stars überlebensgroß gemacht werden, dann wuchern auch die Mythen. Kein Wunder, dass es sogar eine 2018 gestartete, ziemlich lustige kleine Comicserie des Cartoonisten Luke McGarry gab, in der Jimi Hendrix, Janis Joplin, Brian Jones, Robert Johnson, Amy Winehouse, Jim Morrison und Kurt Cobain als Popstars mit Superkräften aus dem Rock-Himmel herabsteigen, um die Welt zu retten. Zur Seite steht ihnen dabei Stones-Haudegen Keith Richards. Der lebt zwar noch, sieht aber nicht mehr gut aus. Der Mann ist unsterblich, vielleicht sogar in biologischer Hinsicht.
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