Der Mann mit vielen Eigenschaften
Leopold Mozart, das ist doch der Ehrgeizling, der seinen genialen Sohn streng unter der Fuchtel halten wollte… Weit gefehlt, erklärt Silke Leopold in ihrer Biografie.
Ihm hat die Nachwelt keine Kränze geflochten. Und wenn, dann waren sie mit Stacheln versetzt. Weil er doch seinem Sohn, dem genialen Wolfgang, so zugesetzt hat, wie das eine der großen Verdikte über den Vater lautet. Weil er, so geht das andere, als Komponist seinem Spross bei weitem nicht das Wasser reichen konnte. Muss man also überhaupt umfangreicher an Leopold Mozart erinnern, wie das jetzt im Jahr seines 300. Geburtstags geschieht?
Man sollte, denn dieser Mann ist es wert. Diese Erkenntnis verdankt sich der soeben erschienenen Biografie der Musikwissenschaftlerin und ausgewiesenen Mozart-Expertin Silke Leopold. Zwar gab es vor drei Jahrzehnten schon einmal eine solche Buch-Unternehmung von Erich Valentin, und gewiss ist seither von wissenschaftlicher Seite manches Licht auf Leben und Werk gefallen. An einer fachkundig-breitenwirksamen Darstellung aber hat es gefehlt. Die liegt nun vor, und man kann dem Buch nur möglichst viele Leser wünschen, rückt es doch nicht nur manche Sicht auf das Verhältnis zwischen Vater und Sohn zurecht – denn, so die Autorin, „wer über Leopold Mozart schreibt, kann nicht anders, als über Wolfgang mitzuschreiben“ –; es entwirft vor allem das farbige Bild einer Person von eigenem Wert.
Leopold empfand seine Heimatstadt Augsburg als zunehmend engstirnig
Leopold ist 36, als sein siebtes und letztes Kind, Wolfgang, zur Welt kommt. Etliches muss bis dahin im Leben des Vaters schon vor sich gegangen sein, und Silke Leopold trägt diesem Vor-Leben gebührend Rechnung. Ein Leben, das am 14. November 1719 in Augsburg beginnt. Die Situation der Stadt am Ende des ersten Drittels des 18. Jahrhunderts ist stark geprägt durch die geteilte Konfessionalität. Leopold ist Katholik, wird Zögling des jesuitischen Gymnasiums – und zeitlebens ein überzeugter Vertreter seines Glaubens bleiben.
Weshalb aber wechselt ein begabter Schüler wie er, der sich im jesuitischen Schultheater mit exponierten Rollen hervortut, nicht auf die Jesuiten-Hochschule in Dillingen, sondern geht zum Studieren zu den Benediktinern nach Salzburg? Über die Gründe dafür ist kaum etwas bekannt, allerdings spricht Leopold später einmal davon, dass er seine Heimatstadt Augsburg zunehmend als engstirnig empfand – kein Ort für einen wie ihn, der es, in den Grenzen des Zeitalters, mit einer selbstbestimmten Lebensführung hält. Leopold ist alles andere als obrigkeitshörig, er lässt sich nicht gerne etwas vorschreiben – ein früh entwickelter Charakterzug, den er beibehalten wird.
Den Vater mit dem Sohn zu vergleichen, hieße Äpfel mit Birnen zu vergleichen
In Salzburg hält es ihn nicht lange beim Philosophie-Studium. Er tritt in die Dienste eines Domherren und wird Kammerdiener. Eingestellt jedoch nicht „als Garderobier“ – eines der vielsagenden Details in Silke Leopolds Buch –, sondern „wegen seiner musikalischen und intellektuellen Fähigkeiten“. Grundkenntnisse der Musik hat Leopold bei den Jesuiten erhalten. Jetzt beginnt er, seine Kenntnisse zu vertiefen, und auf das Jahr 1740 datieren seine ersten nachweisbaren Kompositionen.
Den unter anderem komponierenden Leopold mit Wolfgang Amadé, der sich genuin als Komponist versteht, zu vergleichen: Das, wird Silke Leopold nicht müde zu betonen, heißt Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Leopold Mozart, seit 1743 Violinist der Salzburger erzbischöflichen Hofkapelle, schreibt seine Musik in einer Zeit, in der sich noch nicht jenes motivisch-thematische Komponieren herausgebildet hat, wie es für die reifen Werke seines Sohnes und überhaupt für die Wiener Klassik kennzeichnend ist. Leopold komponiert um die Mitte des Jahrhunderts in einem musikgeschichtlichen Moment, in dem die Gleichzeitigkeit des Vielfältigen vorherrscht. Er kennt die geläufigen Standards, und vor allem weiß er, für wen und welche Gelegenheit er schreibt. Wenn er für Instrumentalbesetzung komponiert, ist das meist Unterhaltungsmusik. Anders bei kirchlichen Anlässen, hier ist Leopolds Palette deutlich breiter, hier kann der stilistische Bogen innerhalb eines Werks von alten Stilen bis zu neueren Tendenzen reichen.
Doch wie gesagt, er versteht sich nicht allein als Komponist. Seine intellektuellen Interessen greifen in verschiedenste Richtungen aus, er interessiert sich für die sprachtheoretischen Schriften eines Gottsched ebenso wie er in Briefkontakt mit dem Leipziger Philosophieprofessor Gellert tritt. Denn der Wind der Aufklärung, das erkennt der Katholik sehr wohl, weht vor allem aus dem protestantischen Norden.
Und er ist ein praktisch denkender Mann, was seinen Niederschlag nicht zuletzt in der von ihm verfassten Violinschule findet. Es ist sein berühmtestes Werk, noch heute von versierten Geigern studiert, vor allem wegen der darin verhandelten Fragen der Interpretation.
1756, als die Violinschule im Selbstverlag erscheint, wird Wolfgang geboren. Rasch erkennt Leopold das Talent des Kindes. Wie aber darauf reagieren? Mit Reisen: Seinen Kindern – die ältere Nannerl ist ebenfalls hochtalentiert – will der Vater nach dem adeligen Vorbild ein Grand-Tour-Bildungserlebnis ermöglichen. Zugleich spekuliert er auf das Bekanntwerden in potenziellen Auftraggeber-Kreisen. Unter diesen Aspekten ist die große, drei Jahre dauernde Europa-Reise, zu der die komplette Familie 1763 aufbricht, keineswegs eine Zirkustour, wie die Nachwelt dem Vater oftmals vorwerfen zu müssen meinte, auch wenn die Route nach Frankreich, Holland und England gerade für die sieben und zwölf Jahre alten Kinder alles andere als unbedenklich war.
Die Beziehung zum flügge werdenden Sohn trübt sich zunehmend ein
Während das Verhältnis des Vaters zur Tochter zeitlebens unbelastet bleibt – Nannerl fügte sich in Leopolds Ratschlüsse, etwa bei der Wahl des Ehepartners –, trübt sich die Beziehung zum flügge werdenden Sohn zunehmend ein. Vollends, als der ohne den Vater nach Paris reisende Wolfgang die postalisch mitgeteilten Besorgnisse ignoriert. Leopolds seitenlange Brief-Ermahnungen verdunkeln bis heute das Bild des Vaters. Und doch, schreibt Silke Leopold, hatte der Lebenserfahrenere nicht unrecht – kehrt der Sohn von seiner Reise doch mit Schulden in Höhe von drei Jahresgehältern Leopolds zurück.
Vollends zerrüttet sich die Beziehung, als Wolfgang nach Wien geht und Constanze Weber heiratet, eine Frau, die Leopold mit Hinblick auf den selbst erreichten Status für ungenügend hält. „Das Hinnehmen aber ist Leopold Mozarts Sache nicht“, schreibt Silke Leopold. Und so sind seine späten Jahre bis zum Tod mit 67 Jahren gekennzeichnet von der Tragik eines Vaters, der vor lauter Sorge sein erwachsen gewordenes Kind nicht loslassen kann.
Auch das trübt, vor allem aus der Perspektive der Wolfgang-Biografik, bis heute unseren Eindruck von Leopold. Doch allein mit diesem Blickwinkel wird man dem Mann, der „weltmännisch und kultiviert gewesen war, der die Welt bereist und bei Kaisern und Königen zu Gast gewesen war“ (Silke Leopold), nicht gerecht, wie diese Biografie eindrücklich korrigierend darzulegen vermag.
" Silke Leopold: Leopold Mozart. „Ein Mann von vielen Witz und Klugheit“. Bärenreiter/Metzler, 280 S., 29,99 ¤
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